Um den Ablauf der Klimaverhandlungen zu verstehen, muss man die Rahmenbedingungen berücksichtigen. Bei der Bewertung der Ergebnisse gilt es, auch Vorgeschichte und Geophysik einzubeziehen.
Am Morgen des 13. Dezember wurde in Dubai die in der Nacht zuvor überarbeitete Abschlusserklärung der 28. Weltklimakonferenz einstimmig verabschiedet. Der als „Global Stocktake“ (weltweites Inventar) bezeichnete Text stellt fest, dass die bisherigen Anstrengungen beim Klimaschutz nicht ausreichen und insbesondere die Nutzung fossiler Energien gesenkt werden muss. Viele Teilnehmer*innen und Beobachter*innen sind enttäuscht vom Ausgang der COP28, weil das Abschlussdokument nicht weit genug gehe. Dabei ist dieser Ausgang der COP28 eigentlich eine gute Nachricht, wenn man nur die richtige Geschichte erzählt.
… verhandeln sie noch heute
Es war einmal ein Sultan, der hörte zu viel auf seine Freundinnen, die Lobbys für fossile Energien. Als Gastgeber der Klimakonferenz von 2023 hatte er wochenlang an einem Dokument gefeilt, das den Erkenntnissen der Wissenschaft gerecht wurde, doch am vorletzten Tag strich er die Teile, die seinen Freundinnen nicht behagten. Die kleinen Inselstaaten im Pazifik, wortwörtlich vom Untergang bedroht, klagten: Ein Ausstieg aus den fossilen Energien, Hauptursache für den Anstieg von atmosphärischem CO2-Anteil und Meeresspiegel, war nicht mehr vorgesehen. Die Länder der freien westlichen Welt empörten sich, stellten sich vor die Schwachen und boten den Lobbys die Stirn. Am Ende lenkte der Sultan ein: In der Abschlusserklärung wurden die Länder aufgefordert, zu einem „Übergang weg von den fossilen Energien“ beizutragen. Alle waren zufrieden, kehrten nach Hause zurück, auch die Vertreter*innen der kleinen Inselstaaten – und wenn ihre Atolle nicht überschwemmt wurden, dann leben sie noch heute.
Eine andere Geschichte fängt früher an und geht so: Es war einmal eine Weltgemeinschaft, die organisierte seit 1995 jährlich eine Klimakonferenz. Jede davon wurde im Monat davor als „letzte Chance“ bezeichnet und im Monat danach als kleiner, großer oder herausragender „Schritt, um den Prozess voranzubringen“. Im Dezember 2015 sprach man sogar von einem „Durchbruch“: Das Abkommen von Paris wurde geschlossen, mit dem die Weltgemeinschaft sich verpflichtete, das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten – „soweit möglich“ – und die eigenen Anstrengungen zum Klimaschutz kritisch zu prüfen und zu überarbeiten – im Jahre 2023.
Acht Jahre nach Paris lag im Frühjahr ein sehr kritischer Bericht des Weltklimarates vor, der Sommer war von Wetterkatastrophen gekennzeichnet und im Herbst häuften sich die wissenschaftlichen Studien über die Mängel der weltweiten Klimapolitik und die voraussichtlichen Folgen. Trotzdem schien für viele Beobachter*innen die COP28 in Dubai unter einem guten Stern zu stehen. Zwei Wochen vor ihrem Beginn teilte die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) mit, das 100-Milliarden-Dollar-Ziel sei, anders als bisher gedacht, bereits 2022 erreicht worden. Es ging um ein Versprechen der Industrieländer bei der Klimakonferenz von 2009, ab 2020 jährlich diese Summe für Klimaschutz im globalen Süden zu stellen.
Langwieriger Ausstieg
Die Wogen in den Nord-Süd-Beziehungen wurden weiter geglättet, als gleich am ersten Tag der Klimakonferenz die Schaffung eines Fonds für „Loss and Damage“ angekündigt wurde. Dabei geht es um Unterstützung nach Klimadesastern, allerdings beinhaltet der englische Ausdruck auch die Idee von Reparaturzahlungen. Insbesondere die USA aber hatten die Idee einer historischen Verantwortung des Nordens für Klimaschäden im Süden stets abgelehnt und in den am 30. November beschlossenen Fonds soll denn auch auf freiwilliger Basis eingezahlt werden. Damit waren die finanziellen Fragen abgehakt – zumindest in den Augen der reichen Länder. Eigentlich war in den Vormonaten auch über globale Steuern diskutiert worden, mit denen man diese Fonds speisen könnte: Abgaben auf Flugreisen oder Erdölgeschäften, auf Finanztransaktionen oder einfach nur auf den großen Vermögen. In Dubai, einem beliebten Ferien- und Zufluchtsort für Superreiche, war davon kaum mehr die Rede.
Dafür sah es lange so aus, als solle ausgerechnet in einem Erdölstaat der konsequente Ausstieg aus allen fossilen Energien beschlossen werden, nachdem die COP26 in der ehemaligen Kohlemetropole Glasgow 2021 ein Zurückfahren (phase-down) der Kohleenergie angekündigt hatte. Gewiss, es herrschte großes Misstrauen gegenüber Sultan Al Jaber, Präsident der COP28 und CEO der staatlichen Ölgesellschaft Adnoc. So enthüllte der Guardian am 3. Dezember, was Al Jaber zwei Wochen zuvor in einer Online-Debatte behauptet hatte: Es gebe keine wissenschaftliche Grundlage dafür, dass ein Ausstieg aus den fossilen Energien für das 1,5-Grad-Ziel notwendig sei. Angesichts der Welle der Empörung ließ der COP-Präsident dann wissen, er habe immer wieder gesagt, der Ausstieg aus den fossilen Energien sei unvermeidbar und „essenziell“. In der Tat enthielten die bis zum Morgen des 11. Dezember nacheinander vorgelegten Textvorschläge für die Abschlusserklärung ausnahmslos (optionale) Textpassagen zum Ausstieg aus den fossilen Energien. Das änderte sich am Nachmittag jenes Tages mit der vierten Textfassung: Statt eines Ausstiegs war nur noch die Rede von einem Ersetzen von „unverminderten“ („unabated“) fossilen Energien, und auch dies nur als eine von mehreren Handlungsoptionen zum Klimaschutz.
Diese Formulierung trägt die Handschrift der OPEC, insbesondere Saudi-Arabiens und überraschte durch ihre Einseitigkeit viele Beobachter*innen. Und sie machte es einfach, dass fast alle Länder am gleichen Strang zogen, nachdem in den Tagen zuvor vielfältige Diskussionen über einen Interessenausgleich zwischen Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern bei den Themen Emissionssenkungen, Zurückfahren fossiler und Ausbau erneuerbarer Energien sowie Klimafinanz stattgefunden hatten. Gemessen an der pro-fossilen Textvorlage sahen auf einmal alle gut aus: die EU trotz ihrer läppischen Reduktionsziele, die USA trotz ihrer zweifelhaften Rolle bei Klimafinanz und Gasförderung, und sogar die Internationale Energieagentur mit ihrer zweideutigen Haltung zu fossilen Energien.
2023-2025, kurzes Jahrzehnt
Unklar bleibt, wie es zu dieser Textvorlage kam, klar war allerdings, dass sie keine Chance hatte, angenommen zu werden. Für die Verhandlungen war es eine Art Reset-Knopf: Unter Zeitdruck (die COP28 sollte dienstags abschließen) wurden völlig neue Formulierungen ins Spiel gebracht und Kompromisse gesucht. Dabei ging es natürlich nur noch um die fossile Frage, weniger „spannende“ Aspekte wie die Klimafinanz traten völlig in den Hintergrund. Am Ende lag am Mittwochmorgen ein Dokument vor, das kaum jemand gut fand, das aber für niemand schlecht genug war, um es abzulehnen.
Ja, die Abschlusserklärung bezieht sich auf das in Paris eingeführte 1,5-Grad-Ziel und auch die Liste der zu ergreifenden Maßnahmen – „Übergang weg von“, Verdreifachung der erneuerbaren Energien, Zurückfahren der Kohle – ist damit kompatibel. Die Erklärung ist allerdings auch mit einer 3-Grad-Erwärmung kompatibel, in dem Sinne, dass unklar ist, welches Land seine Reduktionsziele wie stark anpasst – schlimmstenfalls passiert in den nächsten Jahren gar nichts, weil sich Schwellen- und Industrieländer gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Daran ändert auch die beschwörende Herausstellung des „kritischen Jahrzehnts“ nichts, im Gegenteil: Neue nationale Ziele sollen erst 2025 eingereicht werden, doch bis dahin zu warten, würde einen Entwicklungspfad für das 1,5-Grad-Ziel quasi unerreichbar machen – bis 2030 bleibt sicherlich keine Zeit.
Ein Abschlussdokument wie dieses, das sich auf 1,5 Grad bezieht, auch wenn es nicht alles bei fossilen Energien und Finanz klärt, hätte man sich bei der Klimakonferenz 2009 gewünscht; 2015 in Paris wäre es gerade noch akzeptabel gewesen. Vermutlich wurde die „letzte Chance“ damals verpasst – gewissermaßen auf 2023 vertagt, wo es politisch, wenn auch nicht physikalisch wohl zu spät ist. Jetzt ein so unzureichendes Dokument zu verabschieden, zeugt einfach nur von der Überforderung der internationalen Klimainstitutionen.
Ölpest verklebt Flügel
Interessant ist, dass dennoch ein Teil der Klimabewegung und der Wissenschaft das COP28-Ergebnis begrüßen. Als „starkes Signal“ bezeichnete Christoph Bals von Germanwatch im Deutschlandfunk die Absage an fossile Energien. Zwar könne man sich verbindlichere Aussagen wünschen, doch es seien auch viele Verbesserungen am ursprünglichen Text durchgesetzt worden. Auf France Inter bezeichnete der Politologe François Gemenne das Ergebnis als „historisch“, vor allem in Anbetracht der Ausgangsposition und der Ausrichtung des Gastgeberlandes. Die grundsätzliche Kritik eines Hörers kanzelte der engagierte, aber hitzköpfige Klimaschützer gar mit einem „Es gibt immer Leute, die nicht zufrieden sind“ ab. Doch wenn dieses unzureichende, nicht zielführende Verhandlungsergebnis Respekt verdient, wie Gemenne sagt, wenn es also für die Diplomatie so schwierig ist, so wenig zu erreichen, dann stellt sich eine grundlegende Frage: Führt diese Klimadiplomatie mit ihren zu kleinen Schritten nicht ins Desaster, braucht es nicht einen Bruch mit den Methoden der Vergangenheit?
Allerdings charakterisieren sich Dubai und die Vereinigten Arabischen Emirate nicht nur durch ihr fossiles Wirtschaftsmodell, sondern auch durch ihr autoritäres Regime. Vielleicht erklären sich die mageren Verhandlungsergebnisse und die fragwürdigen Positionierungen von Teilen der Klimabewegung durch die Rahmenbedingungen der letzten vier Klimakonferenzen: Die Zivilgesellschaft blieb, zuerst wegen Covid, dann wegen der Repression, zu großen Teilen außen vor.
Die zum Beispiel 2015 in Paris groß angelegten Gegenveranstaltungen zur COP verändern die Diskussionsstrukturen. Fehlt diese Dimension, so sind die NGOs einer „Expertisierung“ ausgesetzt, ihre abgezählten Vertreter*innen sehen die Verhandlungen vor allem „von innen“, und messen das Ergebnis an den politischen Hindernissen statt an den geophysikalischen Notwendigkeiten. Dass, wie Anfang der Woche in Dubai beschlossen, die nächste COP im autoritären Erdölstaat Aserbaidschan stattfindet, ist da gewissermaßen die abschließende schlechte Nachricht dieser Klimakonferenz.
Empfehlenswert für einen umfassenden Überblick: Carbon Brief on key outcomes