Cybermobbing: Augen auf

Präventionsarbeit allein reicht im Kampf gegen Cybermobbing nicht aus. Die ganze Gesellschaft ist gefragt. Barbara Gorges-Wagner, die Leiterin des Kanner-Jugendtelefon und Verantwortliche der Bee Secure Stopline und Bee Secure Helpline verrät, worauf es ankommt, und wo Betroffene Hilfe finden.

„Jeder ist gefordert, Mitverantwortung für die (Schul-)Gemeinschaft zu übernehmen.“ 
(Barbara Gorges-Wagner) (© KJT)

woxx: Die Initiative Bee Secure besucht landesweit Schulklassen, um auf Internetgefahren und Cybermobbing aufmerksam zu machen. Im Sommer 2018 tauchten trotzdem Plattformen bei Instagram auf, auf denen Schüler*innen Lehrkräfte und Mitschüler*innen mobbten. Was läuft schief, Frau Gorges-Wagner?


Barbara Gorges-Wagner: Das zeigt, dass es nicht alleine damit getan ist, dass ein Präventionsdienst von BEE SECURE die Schulen besucht. Alle – Schüler, Lehrer, Eltern und so weiter – sind gefordert, Mitverantwortung für die (Schul-)Gemeinschaft zu übernehmen. Empathie und Zivilcourage müssen entwickelt werden.

Sind Ihnen viele Fälle von Cybermobbing in Luxemburg bekannt?


Über die Helpline von Bee Secure haben wir letztes Jahr in 34 Fällen von Cybermobbing beraten, über das Kanner-Jugendtelefon waren es ähnlich viele. Das sind weniger als im Bereich E-Crime, wo es um die hundert sind, doch bei Cybermobbing gilt: Jeder Fall ist ein Fall zu viel. Die Folgen reichen bis hin zu Suizid-Gedanken und tiefgreifenden Traumata. Auch Eltern wenden sich immer wieder über das Elterentelefon an uns, wenn sie sich hilflos fühlen, weil ihr Kind gemobbt wird.

Mobbing ist kein Phänomen der Neuzeit.


Das Mobbing in der Schule, wie man es von „früher“ kennt, war anders. Man hatte meist noch einen Freundeskreis außerhalb der Schule, beispielsweise in einem Verein, und war durch die Familie geschützt. Beim Cybermobbing gibt es keine Grenzen. Kinder und Jugendliche haben keinen Schutzraum mehr. Man hat keine Kontrolle. Meistens weiß man nicht mal, wo die Täter sitzen und wer die Täter sind.

Die Digitalisierung und hohe Mediennutzung wirft ohnehin neue Erziehungsfragen auf, oder?


Die Kinder müssen in die Mediennutzung Schritt für Schritt hineinwachsen und dabei von ihren Eltern begleitet werden. Der unkontrollierte Zugriff auf Smartphones beispielsweise birgt Gefahren. Eltern müssen Erziehungsverantwortung übernehmen und ihre Kinder schützen und unterstützen, zum Beispiel durch die eingeschränkte oder altersgerechte Nutzung von sozialen Medien.

Gibt es Menschengruppen, die besonders stark von Cybermobbing betroffen sind?


Es sind deutlich mehr Mädchen, die sich an unsere Helplines wenden, als Jungs. Grundsätzlich sind die Anrufer zwischen elf und siebzehn Jahre alt.

Das Cybermobbing beginnt erschreckend früh.


Ein Großteil der Kinder besitzt im Grundschulalter ein voll funktionsfähiges Smartphone und ist vernetzt. Aus dem Grund muss die Präventionsarbeit auch schon in der Grundschule beginnen. Hier setzt Bee Secure durch landesweite Schulungen an.

Wo finden Betroffene Hilfe?


Die Bee Secure Helpline (8002 1234) und das Kanner-Jugendtelefon (116111) sowie das Elterentelefon (26 64 05 55) bieten anonym und vertraulich Information und Beratung. Kinder und Jugendliche können sich jederzeit auch an die Online-Beratung www.kjt.lu des Kanner-Jugendtelefon wenden. Die Berater wissen auch, an welche Stellen man sich wenden kann, wenn man weitere Hilfe braucht.

Wie sieht es mit den Täter*innen aus?


Wir haben wenig Kontakt mit den Tätern. Wenn, dann sind es besorgte Eltern oder Lehrer, die sich über die Folgen der Täterschaft informieren.

Spielt die Anonymität für die Anrufer*innen eine große Rolle?


Die Möglichkeit anonym anzurufen ist eine große Hilfe, weil viele, die Cybermobbing ausgesetzt sind, Angst und Scham empfinden, wenn sie über die Situation reden sollen. Diese niederschwellige Hilfestellung, das Angebot einer anonymen Kontaktaufnahme, ist eine Tür, durch die jeder eingeladen ist zu gehen; jeder ist willkommen. Es ist oft der erste Schritt, um aktiv zu werden, und damit aus dem ungleichen Machtgefälle zwischen Opfer und Täter herauszutreten.

Es ist davon auszugehen, dass viele dennoch aus Schamgefühl schweigen. Was sind Symptome, bei denen alle Alarmglocken läuten sollten?


Oft machen sich Probleme bei Kindern und Jugendlichen durch einen plötzlichen Leistungsabfall in der Schule, Verweigerung der Unterrichtsteilnahme, Rückzug vom Freundeskreis, psychosomatische Auffälligkeiten wie Kopfschmerzen, Bauchschmerzen etc. bemerkbar. Das sind Symptome, die natürlich auch auf andere Konflikte hinweisen können … aber eben auch auf Cybermobbing.

Wie können sich Erwachsene einbringen?


Erwachsene können ebenfalls Rat bei Bee Secure suchen. Es ist wichtig, dass sie den Kindern, deren Selbstwert oft geschwächt ist, beistehen und ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie in dieser Welt willkommen sind.

Wie sieht es mit der Schule aus?


Die sollte ein Konzept haben, wie sie mit Cybermobbing umgeht. Jeder Schüler muss wissen, an wen er sich wenden kann; potenzielle Täter müssen wissen, mit welchen Sanktionen zu rechnen ist. Stop Mobbing (Anm.d.R.: Mediationsgruppe vom „Service de Coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques“) kann kontaktiert werden. Darüber hinaus steht einem die Stelle für Jugendschutz der Polizei beratend zur Seite.

Womöglich auch dann, wenn es zur Anzeige kommt.


Wenn eine Straftat vorliegt, kann die Polizei Maßnahmen ergreifen, um die oft anonymen Täter ausfindig zu machen. Es ist wichtig, Screenshots als Beweismaterial zu sichern und Handys sowie Laptops oder Tablets zum Polizeiamt mitzunehmen. (Anm.d.R.: Als Straftat gelten Belästigung/Stalking; Verleumdung, üble Nachrede, Beleidigung; Angriffe auf die Privatsphäre; Veröffentlichung persönlicher Daten; Verstoß gegen Kinder- und Jugendschutz; rassistische oder diskriminierende Äußerungen sowie Computerkriminalität.)

Auf den meisten Plattformen kann man anstößige oder illegale Inhalte melden, damit sie von den Website-Betreiber*innen nach Prüfung gelöscht werden. Funktioniert das in der Praxis?


Die EU-Kommission beobachtet derzeit intensiv, wie lange die Take-Downs von Plattformen dauern, die illegale Inhalte zeigen. Es lohnt sich in jedem Fall, den Betreibern diese Seiten zu melden. Wenn das im Sande verläuft, kann man die Bee Secure Helpline kontaktieren.

Macht man sich eigentlich strafbar, wenn man die rechtswidrigen Inhalte ‚liked‘ oder teilt?


Ja, damit macht man sich zum Mittäter.


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