In dieser Folge seiner Kolumne geht der letzte linke Kleingärtner mal nicht auf die protestierenden Bauern los, dafür aber sehr ins Detail. Manche hielten an dieser Stelle wohl eine Triggerwarnung für angebracht.
In einem Garten verdichten sich, wie in einem Brennglas, die großen Ereignisse der Menschheitsgesichte ebenso wie die Extreme des eigenen Seins. Obwohl ich noch nie mit einem Gewehr geschossen habe, mit Ausnahme meiner Cowboy- und Indianerspielerei als kleiner Bub an Karneval – aber das darf man ja heute nicht mehr sagen, da es unter kulturelle Aneignung fällt, also halte ich mich daran –, streife ich zurzeit zweimal täglich als Jäger durch meinem Garten und sammele fleißig Jagdtrophäen. Mit einem Küchenmesser bewaffnet, gehe ich die Gemüse- und Salatbeete ab und befördere Nacktschnecken in die ewigen Jagdgründe. In der Tat, das ist brutal und herzlos. Aber es muss sein. Wenn ich sie nicht ins Jenseits befördere, fressen sie meine zarten Rucola- und Pflücksalatpflänzchen.
Es ist in der menschlichen wie in der pflanzlichen Natur ziemlich gleich. In den ersten Lebenstagen sind die Geschöpfe, die auf die Welt kommen oder sich als aufgehendes Samenkorn durch den Boden gen Himmel strecken, am empfindlichsten. Sprich, sie müssen behütet und geschützt werden: Gegen Kälte, gegen Hitze und gegen Fressfeinde. Und das sind nun mal für Pflanzen unter anderem Nacktschnecken. Die gibt es bevorzugt dann, und noch dazu im Überfluss, wenn Feuchtigkeit und Wärme sich aufs Intimste verbinden.
Ehe hier jemand meine dem Leben zugewandten Gartenplaudereien aus dem Alltag an die recht lebensfremde Fraktion der Tierrechtler*innen durchsteckt, bitte ich darum, innezuhalten. Denn was ist die Alternative? Wenn ich Salat und Gemüse ernten will, was ja nach dem Aufgehen der Pflanzen noch ein bisschen dauert, setzt dies voraus, dass sie nicht weggefressen werden. Entweder bekommen die Nacktschnecken ihre Mahlzeit oder ich.
Wer sich mal den Rücken mit Gartenarbeit wie dem Jäten und Anlegen von Beeten und Ähnlichem wenn nicht ruiniert, so doch zumindest etwas ramponiert hat, weiß wovon ich rede und hat angesichts des Schicksals der armen Tiere keine Tränen der Rührung in den Augen. Wozu soll man all diese Mühen auf sich nehmen? Doch nicht, um am Ende erntetechnisch mit leeren Händen und ohne Ergebnis dazustehen! Also mutiere ich in der kurzen Phase des Anwachsens der Nutzpflanzen lieber zum umtriebigen Jäger, der morgens und abends auf die Pirsch geht und alles wegmetzelt, was Nacktschnecke genannt wird.
Natürlich kommen trotzdem welche durch. Es wäre ein Ausdruck von klassisch männlicher Selbstüberheblichkeit, ginge man davon aus, man könne seinen Gemüsegarten nacktschneckenfrei halten. Man kann den Bestand zwar ordentlich reduzieren, muss sich jedoch soweit mit den Schnecken arrangieren als man ihre Existenz akzeptiert, ihnen aber eben ihre Grenzen aufzeigt.
Allerdings muss ich zugeben, dass sich unter den Kleingärtnern und Kleingärtnerinnen jede Menge Flachpfeifen befinden.
Meistens setze ich zusätzlich zum Messer noch ein chemisches Hilfsmittel ein: Schneckenkorn mit dem Wirkstoff Metaldehyd. Das sind kleine blaue Körner, die etwas eckig sind. Die Schnecken werden davon angezogen, fressen ein Korn und schleimen sofort aus. Und dann geht die Nachhaltigkeit bei der Schneckenbekämpfung richtig los!
Angesichts dessen muss ich zugeben, dass sich unter den Kleingärtnern und Kleingärtnerinnen jede Menge Flachpfeifen befinden, die schon damit überfordert sind, vom Anfang bis zum Ende ihres Gartens zu denken. Die streuen das Schneckenkorn grobflächig aus und erreichen damit das gleiche wie der letzte linke Kleingärtner, der mal wieder deutlich klüger ist. Ich weiß nämlich, dass Schnecken Kannibalen sind und benötige für das gleiche Ergebnis daher nur einen Bruchteil des Materials: Man kauft sich für wenig Geld einen Zehner- oder Zwanzigersatz Schneckenfallen, die viele Jahre halten, und klemmt in jeder dieser Fallen zwei bis vier Schneckenkörner fest. Die Schnecken kommen und lecken an dem Korn, schleimen aus, die nächsten Schnecken kommen, fressen den Schleim der anderen, schleimen ebenfalls aus und so weiter. Diese Methode hat zudem den Vorteil, dass die Körner vor Regen geschützt sind und nicht von Igeln gefressen werden können, was diese bei größerer Menge verenden lassen kann.
Was meine geistig arg beschränkten Kollegen und Kolleginnen machen, ist in etwa so, als wolle man drei während eines romantischen Tête-à-Tête angezündete Kerzen durch die Feuerwehr löschen lassen. Um auf Nummer sicher zu gehen, setzt die mit ihren Hochdruckpumpen gleich das ganze Haus unter Wasser. Die Kerzen sind dann zwar aus, aber mit der Romantik ist es ebenfalls vorbei. Das war die Geschichte, wie aus dem ursprünglich friedliebenden und handzahmen letzten linken Kleingärtner ein nimmermüder Nacktschneckenjäger wurde.
Drei Praxistipps:
1. Ein bisschen Chemie im Gemüsegarten kann durchaus hilfreich sein. Lass das Hyperventilieren.
2. Nacktschnecken musst du jagen. Das sichert dir viele Portionen Salat.
3. Zart sprießende Pflänzlein brauchen Schutz und Zuneigung. Kümmere dich um sie.