Drittimpfung: Widersprüchliche Botschaften

Die Zahl der Impfmuffel riskiert in den kommenden Monaten anzusteigen, denn auch die Drittimpfung erfreut sich keiner großen Beliebtheit. Warum gerade jetzt eine andere Kommunikationsstrategie nötig wäre.

CC-BY 2.0 Tim Reckmann

„Lasst euch impfen.“ War dieser Aufruf Anfang des Jahres noch mit einem optimistischen Grundton unterlegt, so hat er zunehmend etwas Müdes. Erst am Mittwoch richtete Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) zusammen mit Santé-Direktor Jean-Claude Schmit und der Präsidentin des Conseil supérieur des maladies infectieuses (CSMI) Thérèse Staub anlässlich einer Pressekonferenz wieder einen solchen Appell an die Bevölkerung. Natürlich untermauerten die drei ihren Appell mit Argumenten. Sie erinnerten daran, dass das Infektionsrisiko für Ungeimpfte doppelt so hoch ist wie für Geimpfte und dass von den wegen Covid-19 ins Krankenhaus Eingelieferten drei Viertel ungeimpft seien. Besonders besorgt zeigten sie sich darüber, dass 16 Prozent der über 60-Jährigen noch gar keine Impfung erhalten haben.

Doch diese Argumente sind hinlänglich bekannt. Alle, die sie hören wollten, hatten dazu schon Gelegenheit. Schwer einzuschätzen, ob Lenert, Staub und Schmit selbst daran glauben, bisher freiwillig Ungeimpfte mit ihren Aussagen noch umstimmen zu können. Irgendetwas scheinen sie sich jedenfalls von der konstanten Wiederholung der gleichen Phrasen zu erhoffen.

Bei besagter Pressekonferenz zeichnete sich ab, dass es bald schon die Appelle zur Drittimpfung sein könnten, die derart omnipräsent sind, dass man sie eigentlich schon gar nicht mehr richtig wahrnimmt. Die meisten der zu einer Drittimpfung Berechtigten verzichteten nämlich bisher darauf: Bei den über 75-Jährigen immerhin 60 Prozent, bei denjenigen, die mit Johnson & Johnson erstgeimpft wurden, ganze 70 Prozent. Alarmiert oder zumindest besorgt ist Lenert eigenen Aussagen zufolge deshalb nicht. Auf die Nachfrage einer Journalistin antwortete sie lediglich: „Mehr geht immer.“

Auch wenn Panikmache zweifellos fehl am Platz wäre, so kann man sich über die scheinbare Gelassenheit der Ministerin nur wundern. Wenn schon die über 75-Jährigen, also die Altersgruppe mit der höchsten Impfquote, sich vor der Drittimpfung drücken, wie niedrig wird dann erst die Adhärenz in jüngeren Altersgruppen sein?

Die Notwendigkeit einer Auffrischungsimpfung ergibt sich aus der Situation in den Krankenhäusern: Wie Staub am Mittwoch erklärte, sei eine steigende Anzahl an Erstgeimpften auf den Normal- und Intensivstationen festzustellen. Aus Studien gehe hervor, dass der Schutz schon sechs bis acht Monate nach der zweiten Dosis deutlich schwächer wird. Am Montag weitete der CSMI deshalb seine Empfehlung für Boostershots auf Menschen ab 65 Jahren sowie Gesundheitspersonal aus.

Virolog*innen empfehlen, erst nach drei Dosen von einer vollständigen Impfung zu sprechen.

Eine spezielle Informationskampagne für die Auffrischungsimpfung sei jedoch nicht geplant, antwortete Lenert auf eine Frage der woxx. Man fahre fort wie bisher. Dass die Informationsstrategie für Erstimpfungen zu wünschen übrig lässt mal beiseitegestellt: Es ist schwer vorstellbar, dass für die Drittimpfung die gleiche Kommunikationsstrategie angebracht ist. Hier ist es vor allem wichtig, vergangene Fehlinformationen zu benennen und zu berichtigen. Zu lange hatte die Regierung vermittelt, dass ein vollständiges Impfschema nach einer (im Falle von Johnson) oder zwei Impfungen abgeschlossen sei.

Durch die Delta-Variante hat sich diese Faktenlage jedoch geändert: Virolog*innen wie etwa Christian Drosten von der Berliner Charité empfehlen mittlerweile, erst nach drei Dosen von einer vollständigen Impfung zu sprechen. Damit ist Covid-19 keine Ausnahme: Auch die Japan-Enzephalitis-, und Hepatitis-B-Impfung erfordern grundsätzlich drei Dosen.

Bis heute hält die Regierung jedoch an ihrem anfänglichen Narrativ fest: Wer zweimal geimpft wurde, hat seinen Teil zur Überwindung der Pandemie beigetragen. Parallel bringt sie die Drittimpfung jetzt aber als wirklich allerletzten Schritt zur Überwindung der Pandemie ins Spiel. Es ist zu hoffen, dass diese chaotische Kommunikation nicht nach hinten losgeht.


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