Eigene Währung für die Brics-Länder: Das Geld der Aufsteiger

Die Gruppe der Brics-Länder wird wirtschaftlich immer leistungsfähiger. Nun will man sich auch eine eigene Währung verschaffen, um die Hegemonie des US-Dollars zu beenden. China hat in dem Staatenbündnis eine dominierende Position.

Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geopolitisch sind die Brics-Staaten eine Macht: Treffen der Außenminister*innen Brasiliens (Mauro Vieira, zweiter von links), Russlands (Sergei Lawrow, rechts), Indiens (Subrahmanyam Jaishankar, zweiter von rechts) und Südafrikas (Naledi Pandor, Mitte) Anfang Juni in Kapstadt; China hatte den stellvertretenden Außenminister geschickt (Ma Zhaoxu, links). (Foto: EPA-EFE/Halden Krog)

Im August soll es – nach etlichen mehr oder weniger konkreten Ankündigungen seit 2012 – endlich so weit sein: Die Gruppe der Brics-Länder will auf ihrem kommenden Gipfel in Südafrika die Pläne zum Aufbau einer eigenen Währung konkretisieren, um der globalen Hegemonie des US-Dollar offen entgegenzutreten.

Der 2009 gegründete Zusammenschluss der (damaligen) Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, dessen Name sich aus den Anfangsbuchstaben dieser Länder bildet, will zudem über die Aufnahme weiterer Staaten in das lose Bündnis beraten. Inzwischen liegen 19 Mitgliedsanträge vor, auch von Regionalmächten wie Ägypten, Saudi-Arabien, Indonesien, Iran, Argentinien, Thailand und Venezuela.

Zum Greifen nah scheint, dass die Allianz ihr strategische Ziel erreicht, die Hegemonie des Westens und der USA zu brechen und eine sogenannte multipolare Weltordnung zu etablieren. Einen ersten Schritt zur Entdollarisierung sollen die Abmachungen einzelner Brics-Staaten bilden, im Handel untereinander die heimischen Währungen zu verwenden.

Die Brics-Staaten streben nicht nur den Aufbau einer eigenen Währung an, sondern auch die Schaffung einer eigenen Entwicklungsbank.

Auf den ersten Blick scheint eine Ablösung des US-Dollars als Weltleitwährung durchaus realistisch zu sein, befinden sich doch die überschuldeten USA seit Jahren geopolitisch und wirtschaftlich auf dem absteigenden Ast, während die Brics-Allianz im Aufstieg begriffen ist. Die diesbezüglichen Zahlen sprechen vordergründig eine eindeutige Sprache: So ist der Anteil der G7-Länder (USA, Deutschland, Japan, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada) am globalen Bruttoinlandsprodukt von 50 Prozent zu Beginn der 1980er-Jahre auf 30 Prozent gesunken, während der Anteil der Brics-Staaten im selben Zeitraum von rund zehn Prozent auf 31,5 Prozent stieg. Das ambitionierte Bündnis hat somit selbst vor einer etwaigen Erweiterung schon eine größere Wirtschaftsleistung als die G7-Staaten.

Dieser Aufstieg ist aber zum größten Teil auf China zurückzuführen. Die Disparitäten und Ungleichgewichte in dem potenziellen Währungsblock besäßen eine ungeheure Dimension. Von 2008 bis 2021 ist das chinesische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf um 138 Prozent gestiegen. In Indien waren es immerhin 85 Prozent, während Russland nur einen leichten Zuwachs von 14 Prozent verzeichnete. Brasilien stagnierte faktisch mit einem mageren Anstieg von vier Prozent und in Südafrika sank das Bruttoinlandsprodukt sogar um fünf Prozent.

Inzwischen entfallen 70 Prozent des Bruttonationaleinkommens der Brics-Staaten auf China, während das Pro-Kopf-Einkommen in Russland fünfmal so hoch ist wie in Indien. Diese gigantischen Unterschiede lassen selbst die berüchtigten Ungleichgewichte in der Euro-Zone verblassen, wie sie während der Euro-Krise zum Vorschein kamen. Zudem weist die Brics-Gruppe bislang eine sehr lose Struktur auf, die kaum mit den Ergebnissen des langwährenden Prozesses der Institutionsbildung und Standardisierung vergleichbar ist, wie er der Einführung des Euro in der EU vorangegangen ist. Die Allianz verfügt über keine Exekutive und Legislative, sie hat nicht einmal ein zentrales Sekretariat aufgebaut.

Das Bündnis ist mit der Intention gegründet worden, die Hegemonie des Westens und die imperialen Praktiken der Hegemonialmacht USA zu beenden. Der Angriff auf den US-Dollar als Weltleitwährung ist ein zentrales Vorhaben innerhalb dieser Strategie. Doch zugleich bemühen sich die Brics-Länder nicht um eine grundlegende Veränderung des Welthandels, sie trachten letztlich nur danach, im Rahmen des kapitalistischen Weltsystems den Westen und die USA zu beerben – und dieselben imperialistischen Praktiken zu nutzen, die den USA angekreidet werden. Dies wird nicht nur am imperialistischen Krieg Russlands in der Ukraine evident, sondern auch an den Konflikten innerhalb der Allianz: China und Indien stehen beispielsweise immer wieder aufgrund von Grenzstreitigkeiten im Himalaya am Rande kriegerischer Auseinandersetzungen.

Die gemeinsamen ökonomischen Interessen wirken indes mindestens genauso stark wie die skizzierten Zentrifugalkräfte. Dabei geht es nicht nur um die Intensivierung von Handelsbeziehungen und geopolitischer Kooperation, die die Abhängigkeit von den westlichen Zentren verringern soll. Die Brics-Staaten streben nicht allein den Aufbau einer eigenen Währung an, sondern auch die Schaffung einer eigenen, in China ansässigen Entwicklungsbank. Denn die Staaten der Semiperipherie müssen in einem spätkapitalistischen Weltsystem agieren, dessen Strukturen und Institutionen westlich dominiert sind, von der Leitfunktion des US-Dollar bis zur westlichen Vormacht bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds.

Wozu diese westliche Vormachtstellung führt, macht gerade die Inflationsbekämpfung durch die Notenbanken in den Zentren deutlich, die in vielen ärmeren Ländern zu regelrechten Wirtschaftszusammenbrüchen führt. Wegen der Zinsanhebung der US-Notenbank „Federal Reserve“ hätten ein Viertel aller Schwellen- und Entwicklungsländer „im Effekt Zugang zu den internationalen Anleihemärkten verloren“, warnte die britische Tageszeitung „Financial Times“ Mitte Juni. Die Wachstumsprognose der Weltbank für diese Ländergruppe mit besonders schlechtem Kreditzugang sei von 3,2 auf 0,9 Prozent abgesenkt worden.

Diese durch die Inflationsbekämpfung in den westlichen Staaten ausgelöste Kreditklemme bildet eine wichtige Ursache für den großen Andrang bei der Brics-Gruppe. Viele Krisenländer wie etwa Argentinien oder Venezuela, die sich derzeit um die Aufnahme bemühen, hoffen schlicht darauf, sich alternative Finanzierungsquellen zu erschließen – vor allem aus China. Perspektivisch soll nicht nur der Handel zwischen diesen Ländern in der künftigen Brics-Währung abgewickelt werden, diese soll auch Fundament eines neuen Finanzsystems werden, das sich an den Interessen der Semiperipherie orientiert.

Eine neue Weltleitwährung ändert nichts an den Ursachen des ökonomischen wie ökologischen Krisenprozesses, bei dem das Kapital an seine inneren und äußeren Schranken stößt.

Soweit die schöne Theorie. In der Praxis würde das darauf hinauslaufen, dass sich die Schwellenländer in finanzieller Abhängigkeit von China wiederfinden, das mit der Schaffung einer Brics-Währung und eines alternativen Finanzsystems auch alternative Investitionsmöglichkeiten aufbauen will, um die Anfälligkeit gegen US-Sanktionen abzumildern. Die potenzielle Brics-Währung wäre somit nur als monetäres Vehikel einer chinesischen Hegemonie denkbar, ähnlich dem US-Dollar.

Noch immer bestehen die globalen Währungsreserven zu 60 Prozent aus Dollarbeständen, was nicht allzu weit unter dem historischen Höchstwert von 70 Prozent zu Beginn des 21. Jahrhunderts liegt. Rund 74 Prozent des internationalen Handels, 90 Prozent der Währungsgeschäfte und nahezu 100 Prozent des Ölhandels werden in US-Dollar abgewickelt. Um die Führung zu übernehmen, müsste China letztlich die Hegemoniekosten tragen, die im krisengeplagten, an seiner Produktivität erstickenden Spätkapitalismus zwangsläufig anfallen: Die chinesischen Handelsüberschüsse müssten abgebaut werden und sich in Defizite verwandeln, während der chinesische Finanzmarkt geöffnet werden müsste.

Die Hegemonie des Dollars beruht seit den 1980er-Jahren in ökonomischer Hinsicht gerade auf den globalen Defizitkreisläufen, bei denen die enormen US-Handelsdefizite kreditfinanzierte Nachfrage generieren, während der US-Finanzmarkt die daraus resultierenden Gewinne in Form von Wertpapieren absorbiert. China hält immer noch Unmengen von US-Wertpapieren und war eine Zeitlang größter Gläubiger der USA.

China müsste also werden, was derzeit die USA sind: eine Art Schwarzes Loch der Weltwirtschaft, dessen Anziehungskraft mittels Handelsbilanz- und Haushaltsdefiziten die Überschussproduktion einer an ihrer Hyperproduktivität erstickenden spätkapitalistischen Weltwirtschaft aufsaugt – um den Preis von Deindustrialisierung und destabilisierender Spekulationsblasenbildung. Und das ist kaum denkbar, da der chinesische Finanzsektor bereits von schweren Finanz- und Schuldenkrisen zerrüttet wurde und wird. Eine neue Weltleitwährung ändert nichts an den Ursachen des ökonomischen wie ökologischen Krisenprozesses, bei dem das Kapital an seine inneren und äußeren Schranken stößt.

Dies machen auch die derzeitigen Handelsbeziehungen zwischen Russland und Indien deutlich, in denen der US-Dollar nicht mehr als Zahlungswährung dient. Russland wurde nach Beginn der Invasion der Ukraine zum mit Abstand größten Öllieferanten Indiens, das ein hohes Handelsdefizit zu verzeichnen hat. In den ersten elf Monaten nach Kriegsausbruch beliefen sich die russischen Exporte nach Indien auf umgerechnet 41,5 Milliarden Dollar, die indischen Exporte nach Russland erreichten nur 2,8 Milliarden Dollar.

Faktisch handelt es sich hierbei um eine klassische „beggar thy neighbour“-Politik, wie sie auch der langjährige „Exportweltmeister“ Deutschland praktizierte: Mit Handelsüberschüssen werden auch Schulden, Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit exportiert. Der Unterschied: Derzeit müssen russische Banken und Ölkonzerne ihre sich auf Billionen Rupien summierenden Einnahmen auf indischen Bankkonten parken, da keine Möglichkeiten zum Währungstransfer oder zur Reinvestition offenstehen.

Tomasz Konicz arbeitet als freier Journalist mit Schwerpunkt Osteuropa.

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