Luxemburg stellt ein halbes Istar-Bataillon, macht Front gegen Russland und rettet die westliche Weltordnung. Das wird teuer.
Wer viel hat, soll auch viel ausgeben. Das ist die Idee hinter der Vorgabe, jedes Nato-Land solle Militärausgaben von mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) tätigen. Beschlossen wurde dies 2014 beim Nato-Gipfel in Wales. Seither seien die luxemburgischen Militärausgaben um 230 Prozent gestiegen, so das Armeeministerium am 24. Juni. Doch die Pressekonferenz am vergangenen Freitag war nicht wegen dieser „Erfolgsmeldung“ einberufen worden, sondern um eine weitere, „substanzielle“ Erhöhung dieser Ausgaben anzukündigen. Dies sei „eine Folge der sicherheitspolitischen Entwicklung in Europa und des politischen Kontexts, insbesondere in Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine“. So könne man das Militärbudget bis 2028 verfünffachen (gegenüber 2014) und immerhin ein Prozent des BIP erreichen.
Genug für den Generalsekretär?
Es geht um 1 Milliarde Euro – so viel sollen nämlich die Militärausgaben im Jahr 2028 betragen. Viel Geld, für das es auch anderweitig Verwendung gäbe. Allerdings fängt die Erhöhung des Militärbudgets ja nicht bei null an: Die bisherige Planung sah vor, bereits 2023 573 Millionen zu erreichen. Ab 2024 werden dann, verteilt über fünf Budgets, 793 Millionen mehr ausgegeben, als bisher vorgesehen. Die detaillierte Auflistung durch das Armeeministerium schafft hier eine vorbildliche Transparenz.
Weniger transparent wird die Frage beantwortet, wofür dieses Geld ausgegeben werden soll. Weil der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim Nato-Gipfel ab dem 28. Juni in Madrid einen Fortschrittsbericht zu den „Rüstungsanstrengungen“ der Mitgliedstaaten vorstelle, sei es „wichtig, dass Luxemburg neue Ausgaben ankündigt“, hieß es auf der Pressekonferenz. Mehr Details gab es dann zum Berechnungsmodus der Nato und zu den Faktoren, nach denen die Ausgabensteigerungen festgelegt wurden. Warum das Geld aber überhaupt ausgegeben werden soll und wofür, blieb unklar. Keine leichte Frage, denn derzeit wird die strategische Ausrichtung der europaweit expandierenden Militärbudgets unter Expert*innen heftig diskutiert und auch die taktischen Lektionen aus dem Krieg in der Ukraine scheinen alles andere als eindeutig zu sein.
Bestätigt wurde, was schon vergangenes Jahr angekündigt wurde: Luxemburgische Soldat*innen werden künftig in ein gemeinsames Aufklärungsbataillon mit Belgien integriert. Im vergangenen Jahrhundert standen solche Verbände häufig an vorderster Front, werden noch bis heute oft als „Kavallerie“ bezeichnet, auch wenn sie längst auf Panzerfahrzeugen „reiten“. Doch mittlerweile ist diese Truppengattung auch für Hightech zuständig und trägt den schönen Namen Istar, für „Intelligence, surveillance, target acquisition, and reconnaissance“. Die Istar-Einheiten werten Daten von Drohnen, Radaren, Flugzeugen und sogar Satelliten aus und reichen sie weiter an andere Verbände und an die Generalstäbe. Ein Teil der Datenerfassung findet aber immer noch in Frontnähe statt, was erklärt, warum das bestehende belgische Istar-Bataillon mit den relativ schweren Pandur-Radpanzern ausgerüstet ist.
Luxemburg hat seit einem Jahrzehnt die Dingos im Einsatz, leichte Transportpanzer, deren Ablösung bereits vor einem Jahr angekündigt wurde (online-woxx: „Karneval der Tiere“). Damals genehmigte man per Gesetz Ausgaben von 367 Millionen, die Wahl des neuen Fahrzeugmodells wurde aber offengelassen. Weil Luxemburg, wie Belgien, sich ins französische Programm „Synergie du contact renforcée par la polyvalence et l’infovalorisation“ (Scorpion) einklinken wollte, kamen leichte Panzer der Armée de terre der Typen Griffon, Jaguar und Serval in Frage. Und das amerikanische „Light Combat Tactical All-Terrain Vehicle“ (L-ATV) von Oshkosh (ohne Tiernamen), das ebenfalls von Belgien eingesetzt wird – eigentlich der Favorit, weil besonders preisgünstig. Mit dem Istar-Projekt sieht das anders aus: Belgien plant nämlich, seine Panduren ausgerechnet durch die Jaguare zu ersetzen – die teuerste Option. Dabei handelt es sich um einen leichten Kampfpanzer mit 40mm-Kanone, für den noch Mehrausgaben fällig werden, um ihn für die Hightech-Aufklärungsmissionen auszustatten. Dass der Dingo-Ersatz teurer werden könnte als geplant, wird vom Ministerium wohl nicht mehr als Nachteil angesehen, hilft es doch, die Ausgaben nach oben zu treiben.
Superstiefel und Scheckheft
Neben den „Boots on the ground“ in ihrer Superstiefel-Ausführung wird Luxemburg aber auch weiterhin „mit dem Scheckheft“ mitkämpfen: Erwähnt wurden bei der Pressekonferenz die Luftüberwachung, das militärische Weltraumprogramm und die Cyberkrieg-Fähigkeiten – alles multilaterale Projekte, bei denen Luxemburg bestenfalls Teilaspekte selber betreuen kann. Diese Bereiche entziehen sich so der nationalen Kontrolle und können das Land ganz schnell zum unfreiwilligen Mittäter bei Verstößen gegen das Völkerrecht machen.
Die Erhöhung der Rüstungsausgaben wird hierzulande wie anderswo begründet mit der Gefahr, die von Russland ausgeht. Das ist einerseits nachvollziehbar, hat Wladimir Putin mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine doch bewiesen, dass er bereit ist, sich über Völkerrecht und ökonomische Eigeninteressen hinwegzusetzen. Andererseits hat der Kriegsverlauf gezeigt, dass die russische Armee schnell an ihre Grenzen stößt. Das ist nicht verwunderlich, sieht man sich die Zahlen an: Schon jetzt geben alleine die europäischen Nato-Staaten zusammengerechnet ein Vielfaches mehr für Rüstung aus als die Russische Föderation; für die USA ist es sogar das Zwölffache. Es ist schwer nachvollziehbar, warum das nicht mehr als genug ist und wozu die vorgesehenen Ausgaben dienen sollen.
Eigentlich könnten der Angriff gegen die Ukraine und die Sorgen der östlichen Mitgliedstaaten eine Rückbesinnung der Nato auf ihre ursprüngliche Natur fördern, nämlich die eines Bündnisses zur Territorialverteidigung. Doch eine kritische Bewertung ihrer seit Ende des kalten Krieges eingenommenen Rolle einer – selektiv operierenden – Weltpolizei steht beim Madrider Gipfel nicht auf der Tagesordnung. Im Gegenteil, die Erwähnung Chinas im Schlussdokument – als Widersacher – bejaht die Zuständigkeit des Nordatlantikpakts bis ins Südchinesische Meer hinein. Es ist sicher wichtig, China als Großmacht mit einer geopolitischen Agenda wahrzunehmen, statt wie allzu lange als eine Billiglohnzone im Global Village. Doch wenn der Nato die Doppelrolle der Verteidigung Europas und der globalen Eindämmung Chinas zufällt, ist eine weltweite Polarisierung vorprogrammiert. Ein so ambitiöses Militärbündnis möglichst weit nach Osteuropa auszuweiten, steht in Konkurrenz zum Aufbau eines kontinentalen Systems der kollektiven Sicherheit. Derzeit sind Russland und China auch keineswegs isoliert auf der internationalen Ebene, wie der Brics-Gipfel der fünf größten Schwellenländer vergangene Woche zeigte, an dem Indien, Brasilien und Südafrika teilnahmen.
Bausch: halb Taube, zwei Drittel Falke
Luxemburg stellt gerne sein globales Verantwortungsbewusstsein zur Schau, indem es auf die „Drei D“ verweist. Doch die derzeitige Politik des grünen Armeeministers ist im Grunde ein budgetäres Überholmanöver der „Defense“ auf Kosten von „Diplomacy“ und „Development“. So wurde 2020 bei letzterem Budgetposten aufgrund der Covid-Rezession geknausert, während man zeitgleich 600 Millionen Euro für das A330-MRTT-Militärflugzeug programmierte (online-woxx: „Grand D et petit d“). François Bausch übernimmt auch den in der westlichen Außenpolitik beliebten Diskurs der Verteidigung „unserer Werte“ durch weltweite Interventionen, der auf die Ersetzung der Uno durch die Nato hinausläuft.
Andererseits positioniert er sich nicht als Maximalist, was die Aufrüstung angeht – so, wie derzeit die Debatten in den Medien geführt werden, braucht es alleine schon dafür Mut. Das 2-Prozent-Ziel der Nato sei für Luxemburg nicht realistisch, hatte er schon kurz nach dem russischen Einmarsch erklärt. Im Pressedossier von Freitag geht er weiter: Zwar bekundet er den Willen, mit dem erhöhten Militärbudget „ein verantwortungsvoller und zuverlässiger Partner in der Allianz“ zu sein, doch er weist auch auf den Zwist in der Nato hin, zwischen denen, für die zwei Prozent des BIP ein Minimum darstellen, und anderen, darunter „Deutschland, Kanada und Luxemburg“.
Anders als beim Nato-Gipfel war Bausch beim bis Dienstag andauernden G7-Gipfel nicht dabei. Dort wurden die Weichen für eine von westlichen Idealen – und vor allem Interessen – dominierte Weltordnung gestellt, zu der auch Luxemburg durch seine sicherheitspolitischen Entscheidungen beiträgt. Der Zusammenschluss der sieben reichsten Staaten des globalen Westens (was Japan ein- und China ausschließt) bekräftigte, er unterstütze die Ukraine auch in einem lange andauernden Krieg. Die anderen weltbewegenden Themen wie Klimakrise, Ernährungssicherheit, Staatsverschuldung oder Pandemie seien dabei zu kurz gekommen, schreibt der Guardian. Konkret haben die G7 fast 30 Milliarden Dollar aufgebracht, um die Ukraine vor dem Staatsbankrott zu bewahren, aber nur 4,5 Milliarden für den Welternährungsfonds, der angesichts der Hungerkrise zusätzliche 28,5 Milliarden gefordert hatte.