Die COP27 wird überschattet vom Krieg in der Ukraine und dessen Folgen. Geopolitische Interessen könnten die Verhandlungen scheitern lassen.
Klimagipfel in Ägypten? Das Klima ist auch ein Thema in Luxemburg, in Form eines ungewöhnlich warmen und sonnigen Oktobers, wie in großen Teilen Westeuropas. Zumindest zum Teil dürfte dies dem Klimawandel geschuldet sein, weshalb man sich wohl an warme Herbstmonate, aber auch an Dürresommer, Orkane und Jahrhunderthochwasser gewöhnen muss. Klimawandel und vor allem die COP27 sind allerdings in Luxemburg derzeit kaum Thema. Anders als vor Klimagipfeln der Vergangenheit haben bisher weder Zivilgesellschaft noch Regierung viel dazu kommuniziert. Man ist eher darauf eingestellt, „die Hausaufgaben“ zu machen, also den Verbrauch fossiler Energien in Luxemburg zu senken. So hat die Regierung unlängst eine – von ihr selbst als „gut“ benotete – Klimabilanz sowie die – noch besseren – Empfehlungen des Klimabiergerrots vorgestellt.
Das ist verständlich, denn anders als 2015 in Paris wird Luxemburg bei der am Sonntag beginnenden COP27 kaum etwas bewirken können. Der diesjährige Gipfel steht im Zeichen der Geopolitik, des Ringens der Großmächte um Allianzen und strategische Vorteile sowie des Austauschs gegenseitiger Schuldzuweisungen. Man erinnert sich: Bei der COP26 vor einem Jahr war es Indien gewesen, das von westlichen Politiker*innen und Medien als Bösewicht dargestellt wurde, weil es ein Bekenntnis zum Ausstieg aus der Kohle verhinderte. Eine unerfreuliche Textänderung, die allerdings zuvor bereits in einer gemeinsamen amerikanisch-chinesischen Erklärung aufgetaucht war.
Vieles hat sich seither geändert. Was die Kohle angeht, so ist ihre Nutzung Ende 2022, im Zuge der Energiekrise, kurzfristig überlebensnotwendig für Wirtschaft und Entwicklung in den Ländern, die nicht, wie die EU, auf das kostspielige Flüssigerdgas (LNG) setzen können. Bei der COP27 dürfte Indien, als Alliierter des Westens gegen China, verschont werden. Im Gegenzug sind gemeinsame Erklärungen der USA und Chinas eher unwahrscheinlich geworden. Nicht zuletzt steht die COP27 im Schatten des Kriegs in der Ukraine – der geopolitische Bösewicht Russland soll an den Pranger gestellt werden. Kaum jemand wird das Land unter völkerrechtlichen oder klimapolitischen Gesichtspunkten verteidigen wollen, aber die Fokussierung auf geopolitische Freundschaften und Feindschaften wird die COP27-Verhandlungen zusätzlich erschweren.
„Wir als verantwortungsvolle Diplomaten fordern alle auf, sich der klimatischen Herausforderung zu stellen und Leadership zu zeigen“, so der Appell des ägyptischen COP27-Sonderbeauftragten Wael Aboulmagd. Auch wenn Ägypten sein eigenes „Bösewichts-Potenzial“ hat (siehe unten), steht Aboulmagd mit seinem Aufruf, sich auf die Klimaverhandlungen zu konzentrieren und geopolitische Differenzen zurückzustellen, nicht allein. In einem Editorial erinnert der Guardian an die wachsende Ungeduld des Globalen Südens angesichts der, letztendlich vom Norden verursachten, Folgen des Klimawandels wie den katastrophalen Überschwemmungen in Pakistan. Die Chancen auf Fortschritte bei Themen wie Klimafonds und Loss and Damage seien allerdings reduziert angesichts der internationalen Spannungen durch den Krieg in der Ukraine und des Kollisionskurses von China und den USA.
Gewinnt die Republican Party die Midterms, so ist John Kerrys China-Dilemma gelöst.
Die USA sind der historisch größte Emittent von CO2, China der aktuelle Spitzenreiter. Unter Verweis auf die Verantwortung des jeweils anderen können sich beide der Forderung nach massiven Reduktionen verweigern – statt gemeinsam zu reduzieren. Seit dem offiziellen Besuch der Sprecherin des House of Representatives Nancy Pelosi in Taiwan im August hat die Volksrepublik China den Klimadialog mit den USA auf Eis gelegt. Doch der Riss geht tiefer: Bereits kurz nach Joe Bidens Amtsantritt kam es bei einem offiziellen Treffen in Alaska zu einem heftigen Wortgefecht zwischen amerikanischen und chinesischen Diplomaten.
Zwar verzichtete Biden auf die Anti-China-Parolen seines Vorgängers, dafür schmiedete er wirksame Allianzen zur „Eindämmung“ Chinas im indopazifischen Raum. Die durch den Konflikt mit Russland verstärkte Akzeptanz für die Abkopplung des Westens von als „unfreundlich“ eingestuften Staaten wird von den USA genutzt für eine Art Wirtschaftskrieg gegen die Volksrepublik. Auch die Einstufung Chinas als die große „geopolitische Herausforderung“ in der jüngsten „National Security Strategy“ von Anfang Oktober signalisiert de facto den Eintritt in einen neuen Kalten Krieg. Dabei dürfte es weniger um die Verteidigung westlicher Werte als westlicher Interessen gehen – den planetaren Interessen ist diese Konstellation allerdings wenig zuträglich. Und sie stellt US-Klimapolitiker*innen wie John Kerry, die einen Dialog mit China für notwendig halten, vor ein Dilemma.
Gewinnt die Republican Party die Midterm-Wahlen am 8. November, so ist das Dilemma gelöst. Was China angeht, ist sie mindestens so aggressiv wie die Democratic Party; was das Klima angeht, würde eine republikanische Mehrheit in einem der beiden Häuser Maßnahmen gegen fossile Energien und die Ratifizierung internationaler Abkommen für mindestens zwei Jahre verhindern. Nach dem Wahlsieg Lulas in Brasilien am 30. Oktober könne die grüne Lunge der Erde aufatmen, schrieb die britische Times. Doch ein Wahlsieg der Republican Party würde den internationalen Klimabemühungen wieder die Luft abdrehen.
Theoretisch könnte dann die EU das Klima-Leadership übernehmen. Trotz ihrer stetig verbesserten Klimapolitik kommt die Union allerdings nicht als Musterschüler zur COP27. Eine überfällige Erhöhung der Reduktionsziele wurde vertagt und die Aussagen zur Klimafinanz sind vage. Vor allem aber wird es in den kommenden Jahren schwieriger werden, Kompromisse zwischen den Mitgliedstaaten zu finden. Osteuropäische Klima-Bremser wie Polen können neue Allianzen mit den ultrarechten Regierungen in Schweden und Italien suchen, und der Alleingang Deutschlands in Sachen Energiehilfen könnte angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage den Zusammenhalt der Union an sich gefährden. Nicht zuletzt hat die fossile Lobby sich den Krieg in der Ukraine zunutze gemacht, um ihren Einfluss in Brüssel zu verstärken, wie das Corporate Europe Observatory berichtet.
Eigentlich ist der große Bösewicht der COP27 nicht Russland, Saudi-Arabien oder China, sondern: die Geopolitik.
Was den Umgang mit dem völkerrechtsbrüchigen Russland angeht, so wird die COP27 eine Art Generalprobe für das G20-Treffen am 15. und 16. November auf Bali. Indonesien, das den Vorsitz innehat, hat sich geweigert, Wladimir Putin auszuladen, dafür wurde aber zusätzlich Wolodymyr Selenskyj eingeladen. Im Gegensatz zu den G7-Treffen, bei denen der Westen unter sich ist, um weltpolitische Entscheidungen zu treffen, ist das 20-Länder-Format, mit Beteiligung von unter anderem Brasilien, Indien, Südafrika, Russland und China eher für einen globalen Interessenausgleich geeignet. Weil das Treffen kurz vor dem Abschluss der COP stattfindet, könnte es sogar die dortigen Verhandlungen beschleunigen – vorausgesetzt, es wird beim Klimagipfel überhaupt verhandelt.
Eigentlich heißt der große Bösewicht der COP27 nicht einfach Russland, und auch nicht Saudi-Arabien oder China. Haupthindernis bei der Bekämpfung des Klimawandels waren bisher die Interessen des „einen Prozents“ (der reichsten Erdenbürger*innen), der fossilen Konzerne und des globalen Nordens. Neues Haupthindernis aber ist die Geopolitik. Durch die Alleingänge der Großmächte seit 1999 und den Krieg in der Ukraine 2022 ist die Organisatorin der Klimagipfel, die Uno, als Instanz zur Lösung internationaler Probleme schwächer geworden. Die sich jetzt abzeichnende Deglobalisierung und Blockbildung werden diesen Trend weg von weltgemeinschaftlichen Strukturen weiter verstärken. Durch die Aufrüstungsdynamik wird das für Entwicklung und Klimaschutz verfügbare Geld knapper werden. Wenn die Wirtschaftskrise und die Machtpolitik die internationalen Beziehungen dominieren, wird der Stellenwert des Klimaschutzes geringer – auch wenn dessen Folgen immer unübersehbarer werden.
Einen Vorgeschmack hiervon bieten die Reaktionen auf die größtenteils dem Krieg geschuldete Energiekrise. Als direkte und indirekte Folge der drastischen Wirtschaftssanktionen gegen Russland sah sich Europa mit einer Energieknappheit konfrontiert. Die vielfältigen Antworten darauf umfassen eine verstärkte Nutzung von Kohle- und Atomkraftwerken sowie das Zusammenkaufen von Flüssigerdgas aus den – den westlichen Werten mehr oder weniger verpflichteten – USA, aber auch aus nicht unproblematischen Staaten am Golf, in Zentralasien und in Afrika. Dabei entstehen auch neue Infrastrukturen für fossile Energien, obwohl die Internationale Energieagentur (IEA) schon 2021 eine radikale Abkehr von diesen Energiequellen gefordert hatte, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Das heißt aber nicht unbedingt, dass die Chance auf eine Energiewende im Zuge der russischen Aggression verpasst wurde: Im neu erschienenen World Energy Outlook geht die IEA laut Carbon Brief davon aus, dass der weltweite Verbrauch fossiler Energien durch Krieg und Krise binnen fünf Jahren – früher als erwartet – seinen Höhepunkt überschreiten wird. Für das 1,5-Grad-Ziel wird das aber immer noch nicht reichen.
Die COP27-Verhandlungen werden von staatlichen Vertreter*innen geführt, betreffen aber die Gemeinschaft der Erdenbürger*innen.
Über die 1,5 dürfte aber bei der COP27 in Sharm el Sheikh weniger geredet werden als über die 100 Milliarden. So viel Geld, in Dollar, hatten nämlich die Industrieländer dem Globalen Süden auf der 2009er-COP versprochen – ab 2020 jährlich. Das Versprechen ist bisher nicht erfüllt, doch das nächste steht bereits an. Über die Mittel für Milderung des Klimawandels und Anpassung hinaus müssen die am meisten betroffenen Länder auch die Schäden bewältigen. Diese Debatte läuft unter dem Begriff Loss and Damage, Details finden sich im Beitrag auf den Seiten 6 und 7.
Was man ob aller Geopolitik nicht aus dem Blick verlieren sollte, ist, dass die COP27-Verhandlungen von staatlichen Vertreter*innen geführt werden, aber eigentlich Probleme lösen sollen, die die Gemeinschaft der Erdenbürger*innen betreffen. Studien über den Zusammenhang zwischen Einkommen und CO2-Emissionen erinnern daran, dass nicht unbedingt das Land China oder „der“ globale Norden es sind, bei denen die Veränderungen ansetzen müssen. Der Lebensstil der reichsten „ein Prozent“ gehört aufgrund des Klimawandels in Frage gestellt – unter anderem durch eine drastische Umverteilung innerhalb der Länder, und vor allem von Nord nach Süd.
Das wiederum stellt die Frage nach Grundrechten und Demokratie. Bereitwillig wurde weiter oben ein ägyptischer Diplomat zitiert, der die Großmächte zur Ordnung ruft. Doch Wael Aboulmagd ist Teil eines repressiven Staatsapparates, wie viele andere, von denen man nicht erwarten kann, dass sie sich konsequent für die Interessen ihrer Bürger*innen einsetzen. Eine Mobilisierung der Klimabewegung für die Menschenrechte in Ägypten und anderswo ist deshalb keine nebensächliche Angelegenheit. Dass ein Teil der internationalen Eliten, auch wenn sie den Klimawandel ernst nehmen, diese Aspekte ausblenden, überrascht nicht. Noch immer suchen viele die Lösung nicht im Politischen und Sozialen, sondern bei technologischen und ökonomischen Kunstgriffen. Der Alptraum der COP27 ist nicht ihr Scheitern, sondern ihr Erfolg unter Rückgriff auf undemokratisch-technokratisch-marktliberale Scheinlösungen. Wer anders als die Zivilgesellschaft kann uns davor bewahren?