EU-Korruptionsskandal: Spitze des Eisbergs

Die Aufklärung des Korruptions- skandals um eine mögliche Einfluss- nahme von Katar auf Vertreter*innen des Europaparlaments dürfte noch ganz am Anfang stehen. Für mögliche Schmiergeldgeber zahlt er sich aber jetzt schon aus.

Quelle: Police fédérale/Twitter

Nicht allein das Europäische Parlament (EP), sondern gleich die gesamte „europäische Demokratie“ wollte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Montag bei der Eröffnung der Sitzungswoche in Straßburg angegriffen wissen. Da hatte sie vermutlich noch kaum den Schock dessen verdaut, was über sie und alle anderen Parlamentsmitglieder hereingebrochen war.

Bereits am Freitag vergangener Woche hatte es in Belgien mehrere Verhaftungen und Hausdurchsuchungen gegeben. Am darauffolgenden Montag ging es dann hurtig weiter: Insgesamt 19 Wohnungen und Büros von gegenwärtigen und ehemaligen EU-Parlamentsmitgliedern sowie deren Mitarbeiter*innen wurden unter die Lupe genommen, Durchsuchungen gab es zudem im Parlament selbst. Sechs Personen wurden verhaftet, darunter die griechische Sozialdemokratin Eva Kaili, eine der stellvertretenden Parlamentspräsident*innen. Zwei der Festgenommenen wurden inzwischen wieder freigelassen. Die Vorwürfe: Korruption, Geldwäsche und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung – die Betreffenden hätten Hunderttausende von Euro angenommen, mutmaßlich aus dem Golfstaat Katar, um sich für dessen Interessen stark zu machen. Mittlerweile wird auch Marokko als möglicher Schmiergeldzahler genannt.

Auch wenn sich Vertreter*innen von EU-Parlament und -Kommission seitdem in Schadensbegrenzung versuchen, wurde umgehend klar: Im Kern besteht das Problem nicht in der charakterlichen Verfehlung einzelner Personen, sondern ist strukturell. Alberto Alemanno, Professor für EU-Recht in Paris, will EP-Präsidentin Robertas eingangs zitierte Aussage daher auch nicht gelten lassen. „Nein, dies ist kein Angriff auf die EU-Demokratie“, entgegnete er ihr auf Twitter, es handle sich vielmehr um einen „selbstverschuldeten Schaden“. Die meisten Parlamentsmitglieder hätten sich in der Vergangenheit schärferen Transparenzregeln und deren wirksamer Durchsetzung widersetzt. Die Berufung auf die Freiheit des Mandats dürfe nicht von einer Berichtspflicht über Kontakte und Aktivitäten entbinden. Neben einem fehlenden Ethiksystem für Europaabgeordnete sieht Alemanno auch das Fehlen von Regeln für die Zeit nach dem EU-Abgeordnetenmandat als großes Problem, denn viele „Ehemalige“ nehmen ihre Kontakte und ihr Wissen in die Privatwirtschaft mit oder dienen sich sonstigen Interessen an.

Auch NGO’s eingespannt

Deutlich wird das etwa anhand der Tätigkeit des ehemaligen italienischen Abgeordneten Pier Antonio Panzeri, der bis 2019 der sozialdemokratischen Fraktion „S&D“ im EP angehörte und einer der Köpfe der mutmaßlichen kriminellen Vereinigung sein soll. Die von ihm nach seinem Ausscheiden aus dem Parlament gegründete und gegen Straflosigkeit von Menschenrechtsverletzungen engagierte NGO „Fight Impunity“ nennt etwa den Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege und die ehemalige EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini als Mitglieder eines „Ehrenpräsidiums“. „Fight Impunity“ könnte von Panzeri für die Einflussnahme durch Länder wie Katar eingespannt worden, womöglich gar allein zu diesem Zweck gegründet worden sein.

Erleichtert wird so etwas auch, weil das Transparenzregister der EU, in dem die auf EU-Ebene agierenden Personen und Organisationen sowie die von ihnen vertretenen Interessen und verwendeten Finanzmittel aufgeführt werden, voller Schlupflöcher ist. So konnte beispielsweise der Unterausschuss für Menschenrechte des EP mit „Fight Impunity“ kooperieren, obwohl die NGO nicht in dem Register aufgeführt war. Die Registrierung erfolgt nämlich auf freiwilliger Basis.

Die Aufklärung der Affäre um Schmiergelder an EU-Bedienstete und gewählte Vertreter*innen dürfte wohl erst am Anfang stehen. Ins Blickfeld rückte zuletzt auch EU-Kommissar Margaritis Schinas. Im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft hatte er in einer Reihe von Tweets die arbeitsrechtlichen Reformen in Katar gelobt. Schinas sagte am Dienstag in Straßburg, seine Tweets gäben lediglich die Haltung der EU-Kommission und der Internationalen Arbeitsorganisation in dieser Sache wieder.

Unterdessen kündigte die Europäische Volkspartei (EVP) am Mittwoch an, jede Mitwirkung an Resolutionen auszusetzen, die sich mit außenpolitischen Belangen befassen, ehe nicht sicher sei, dass die Integrität dieser Arbeit „nicht durch Drittländer wie Katar beeinträchtigt wird“. Die EVP forderte die anderen Fraktionen auf, es ihr gleichzutun. Zahltag also für alle, die sich solche Einflussnahme etwas kosten lassen: Die Arbeit des EU-Parlaments wird nicht nur diskreditiert, sondern auch paralysiert.


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