Das Superwahljahr in Luxemburg rückt näher und das feministische Zentrum CID Fraen an Gender fühlt vor: Welchen Stellenwert haben Genderfragen für die Parteien? Von klaren Positionen, leerem Gerede und Zuversicht.
„Wie gendersensibel sind die Parteien?“, lautet die Gretchenfrage des feministischen Zentrums CID Fraen an Gender im Vorfeld der Parlamentswahlen 2023 an die luxemburgische Politik. Das CID gab neun Parteien (LSAP, DP, CSV, Déi Gréng, ADR, Piratepartei, Déi Lénk, Fokus, KPL) Hausaufgaben mit in den Sommerurlaub: Sie hatten im Hinblick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung in der kommenden Legislaturperiode bis zum Herbst Zeit, um 30 Fragen zur Umsetzung feministischer und auf Gender bezogene Forderungen zu beantworten. Fokus und KPL meldeten sich nicht zurück, die Antworten der restlichen Parteien liegen jetzt vor und sind ähnlich vage, wie die von Goethes Faust zu Gott und Religion.
Der Fragenkatalog wurde von einer Arbeitsgruppe des CID zusammengestellt und später durch die Mitglieder des Verwaltungsrats ergänzt. Dabei wurde Wert auf einen umfassenden Katalog gelegt, dessen Beantwortung noch zu bewältigen ist. Die Fragen beziehen sich auf acht Lebensbereiche: Bildung, Arbeit, Familie, Gesundheit, Politik, Gesellschaft sowie Außenpolitik und Kultur. Konkret fallen darunter Themen wie die Bekämpfung der Armut unter Alleinerziehenden, die Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Ansprüche an die Verkehrspolitik, der Ausgleich von Rentenunterschieden genauso wie Intersektionalität oder die Förderung queerer Künstler*innen.
Bei der Auswertung der Bögen hat sich das CID mehrfach intern beraten, um einheitliche und objektive Kriterien anzuwenden. Die sieben Bewertungskategorien, die am Ende übrig geblieben sind, orientieren sich an den Antworten, die das CID erhalten hat. Sie spiegeln demnach in etwa den Inhalt der von den Parteien getätigten Aussagen: Manche Parteien äußern konkrete Maßnahmen, andere teilen diese gleich Akteur*innen zu, einige Antworten fallen eher unklar aus. Geschlossene Fragen wurden bejaht oder verneint, teilweise blieben weiterführende Erläuterungen zu den Positionen aus. Wer besonders viele Maßnahmen vorschlug, erhielt vom CID einen erhobenen Daumen. Für menschenrechtsfeindliche Vorschläge wechselt der Daumen die Richtung.
Keine Überraschungseier …
Dieses Zeichen ist in der tabellarischen Auswertung des CID, die am Montag an die Presse ging, glücklicherweise kaum vertreten. Es wurde einzig der ADR zugeteilt und das zur Frage, wie die Partei bezahlbaren Wohnraum für besonders benachteiligte Personengruppen zu schaffen gedenkt: Einerseits schlägt die ADR die Erstellung einer einzigen nationalen Liste für den Zugang zu Sozialwohnungen nach klaren und transparenten Kriterien vor, andererseits holt sie gegen Asylbewerber*innen aus und verspricht eine Erhöhung verfügbarer Unterkünfte durch eine „andere“ Asylpolitik.
Während sich die amtierenden Regierungsparteien eher vage zu dem Thema äußern, punkten CSV, Déi Lénk und die Piraten mit konkreten Ideen und der Benennung von Akteur*innen. Der CSV schwebt unter anderem vor, bei einer Erweiterung des Bauperimeters 30 Prozent für bezahlbaren Wohnraum bereitzustellen und private Investor*innen einzubinden. Déi Lénk fordern neben weiteren Maßnahmen auch eine gesetzlich festgelegte Quote, nach der Wohnungen prioritär an die am stärksten benachteiligten Personengruppen vermittelt werden sollen. Die Piraten verlangen mehr staatlichen Wohnungsbau. Die so entstandenen Unterkünfte sollen für 10 Euro pro Quadratmeter vermietet werden. Die Partei verweist in dem Kontext auch auf ein Gesetzesprojekt zur Grundsteuer auf leer stehendes Bauland, das die Abgeordneten Sven Clement und Marc Goergen im Oktober 2021 in der Abgeordnetenkammer vorgestellt hatten. Die Commission du logement bearbeitet das Dossier zurzeit.
Isabelle Schmoetten und Claire Schadeck, beide politische Mitarbeiterinnen beim CID, verrieten der woxx per Mail, dass die Reaktivität der Parteien stark variiert habe. Die ersten Antworten seien nicht etwa von den Regierungsparteien oder LGBTIQA+-freundlichen Oppositionsparteien eingegangen, sondern von der ADR. „Als eher antifeministische Partei fiel ihr die Beantwortung der Fragen natürlich auch nicht besonders schwer“, schreiben sie. Es dürfte dann auch nur die wenigsten verwundern, dass sich die ADR beispielsweise klar gegen die Behandlung von Genderthemen in der Ausbildung des Lehrpersonals und gegen Maßnahmen zur Parität politischer Mandate ausspricht. Überraschungen gab es für Schmoetten und Schadeck an anderer Stelle.
… dafür aber Unstimmigkeiten
Schmoetten zeigt sich verwundert über die Positionen der LSAP zur Arbeitszeitverkürzung und zum „Congé de naissance“. „Die LSAP fordert in einem ersten Schritt eine Arbeitszeitverkürzung von nur zwei Stunden und antwortet unklar auf die Frage nach dem Congé de naissance, obwohl sie Teil der Jif ist“, führt sie den Gedanken aus. Schmoetten bezieht sich dabei auf die „Femmes socialistes“, eine Untergruppe der LSAP. Die feministische Aktionsplattform Jif (Journée Internationale des Femmes), die 2011 gegründet wurde, fordert unmissverständlich eine viertägige Arbeitswoche und tritt für einen „Congé de naissance“ von drei Monaten für alle Elternteile ein. Die LSAP, deren Untergruppe die Forderungen der Jif mitträgt, ringt in ihrer Antwort auf die Frage, um wie viele Wochen die Partei den entsprechenden Sonderurlaub verlängern würde, um Worte. Sie verweist auf die Erhöhung des „Pappecongé“ von zwei Tagen auf zwei Wochen im Jahr 2018 und verbucht dies als großen Fortschritt. „Für uns ist klar, dass in jedem Fall das zweite Elternteil ein Recht auf diesen Sonderurlaub haben soll, unabhängig vom Geschlecht“, schreibt die Partei weiter. „Entsprechende gesetzliche Änderungen müssten schnellstmöglich umgesetzt werden.“ Konkreter wird es jedoch nicht.
Ähnlich widersprüchlich sind die Positionen der Parteien zur Endometriose. Abgesehen von ADR und CSV sprechen sich alle dafür aus, Endometriose als Krankheit anzuerkennen. Was zunächst positiv klingt, entpuppt sich als scheinheilige Geste. Das zeigt ein Blick auf die derzeitige Klassifizierung der Erkrankung und auf die Debatten rund um den Menstruationsurlaub. So gilt Endometriose nach den Richtlinien der „International classification of diseases“ der Weltgesundheitsorganisation zwar bereits als Krankheit, doch taucht sie in Luxemburg nicht auf der Liste des „Code de la sécurité sociale“ der Erkrankungen mit Langzeitfolgen auf, wie Recherchen der woxx letztes Jahr offenbarten. Sie zählt auch nicht zu den „barèmes officiels“, nach denen in Luxemburg ermittelt wird, ob einer Person der „statut de salarié handicapé“ oder die „reprise progressive du travail pour raisons thérapeutiques“ zusteht. Unklar ist auch, ob Endometriose nach dem Code unter Krankheiten fällt, die sich progressiv verschlimmern. Dabei verläuft die Krankheit, die schätzungsweise 10 bis 15 Prozent aller menstruierenden Personen betrifft, oft chronisch und kann mehrere Organe angreifen.
Vermitteln die Parteien in ihren Antworten an das CID den Eindruck, das Thema sei eine Priorität, sprechen die rezenten Debatten um den Mens- truationsurlaub und die Anerkennung der Endometriose als Langzeiterkrankung eine andere Sprache. 2021 gab es zwei Petitionen zum Thema: Ornella Romito reichte Ende April eine Petition zur zweitägigen Dispens bei starken Regelschmerzen und Endometriose ein; Liliana Rodrigues zog im August mit einer Petition zur Anerkennung der Endometriose als Langzeiterkrankung und „maladie handicapante“ nach. Romitos Petition erhielt die nötigen Unterschriften, die von Rodrigues nicht.
Die Abgeordnetenkammer, aber auch feministische und queer-feministische Organisationen, wie der Conseil national des femmes du Luxembourg oder die Pink Ladies, diskutierten hitzig über die Möglichkeit einer Dispens für betroffene Mens- truierende. Die LSAP-Politiker*innen Taina Bofferding, Gleichstellungs- und Innenministerin, und Dan Kersch, Ex-Arbeitsminister, sprachen sich der woxx gegenüber damals gegen eine Dispens aus. Bofferding befürchtete Ungerechtigkeiten gegenüber nicht menstruierenden Personen; Kersch ließ über einen Pressesprecher mitteilen, eine Dispens sei schwer umzusetzen. Im „Procès verbal“ zur Debatte in der Abgeordnetenkammer lautet der letzte Satz dann auch: „Les membres présents ont (…) retenu que des jours de congé légaux supplémentaires pour personnes menstruées ne sont pas envisageables.“ Das macht die Bereitschaft, Endometriose als Krankheit anzuerkennen, zum bloßen Lippenbekenntnis.
Ein weiterer Punkt hat Schmoetten und Schadeck im Zuge der Auswertung negativ überrascht: die Antworten zum Thema Intersektionalität. Das CID hakte bei den Parteien nach, wie sie sich für rassifizierte, queere und Frauen mit Behinderung einsetzen. „Das Konzept scheint größtenteils gar nicht verstanden zu werden, beziehungsweise fehlt es definitiv an konkreten Ideen, wie gegen intersektionale Diskriminierungen vorgegangen werden kann“, schreiben die CID-Mitarbeiterinnen. Lediglich die LSAP und die Linken haben hierzu konkrete Pläne. Die LSAP will entsprechende Dienste und Organisationen stärken, zum Thema sensibilisieren und weiterbilden. Déi Lénk beschreibt ihre Politik als grundsätzlich feministisch und anti-rassistisch. Die Partei macht sich für die Infragestellung kapitalistischer und patriarchaler Systeme durch queere Personen stark und tritt für den erhöhten Schutz mehrfach diskriminierter Personen ein. Im Hinblick auf Menschen mit Behinderung sei es außerdem wichtig, den öffentlichen Transport anzupassen.
Allgemein stellen Schmoetten und Schadeck fest, dass sich die Antworten der amtierenden Regierungsparteien und der derzeitigen Opposition stark voneinander unterscheiden. Die Antworten der Regierungsparteien seien vorsichtiger und oft unklar formuliert, würden sich eher auf Errungenschaften der letzten Jahre beziehen als Zukunftsvisionen zu vermitteln. „Die Antworten von Déi Gréng sind in dem Sinne am ambitioniertesten und am konkretesten“, schreiben Schmoetten und Schadeck. „Die Partei leitet aktuell aber auch nicht die einflussreichsten Ministerien, wenn es um die Gleichstellung geht.“ Sie könne sich vielleicht deshalb mutigere Aussagen erlauben. Am Ende zeige die Tabelle aber auch, dass die aktuellen Regierungsparteien unterschiedliche Vorstellungen feministischer Politik hätten – und das wiederum erkläre, warum es in diesem Bereich teilweise „nicht vorangeht“. Unstimmigkeiten gibt es vor allem zum bereits erwähnten „Congé de naissance“ und der Arbeitszeitverkürzung.
„In einer Regierung mit der DP und der CSV erhalten wir de facto keine Arbeitszeitverkürzung, was eine wichtige Maßnahme zur besseren Verteilung der Care-Arbeit wäre“, schlussfolgern die beiden und wagen damit einen Blick in die Zukunft. Sie gehen dennoch optimistisch ins Wahljahr. Immerhin hätten die Parteien sich die Zeit genommen und sich Mühe gegeben, auf ihre Fragen zu antworten. Sie seien sich der Wichtigkeit feministischer Themen und Genderfragen also bewusst. „Es sind interessante und konkrete Ansätze unter den Antworten und es wird dem CID eine Freude sein, die Wahlprogramme der Parteien mit ihren Antworten abzugleichen sowie sie an ihre Ideen, an ihre Versprechen zu erinnern“, kündigen Schmoetten und Schadeck abschließend an.