Wenn in puncto Genderungleichheit dieselbe Energie, die in Ablenkungsmanöver und Schuldzuweisungen fließt, dem konkreten Umsetzen von Maßnahmen zugutekäme, wäre die Gesellschaft zweifelsohne schon ein wenig gerechter.
„Wie sollen wir jemals Geschlechtergerechtigkeit erreichen, wenn fast alle wichtigen Positionen mit weißen Männern besetzt sind?“ Diese Aussage – wahrscheinlich mehr Provokation als ernst gemeinte Frage – fiel am Montag im Konferenzraum des Luxembourg Lifelong Learning Center in Esch-Belval. Die Frage aus dem Publikum richtete sich dabei an ein mehrheitlich männliches Panel, zu welchem mit Jean-Paul Olinger, Zentralsekretär der Union des entreprises luxembourgeoises (UEL), und Sylvain Hoffman, Direktor der Handelskammer, zwei Männer in zentralen Positionen zählten.
Immer wieder schlüpfte Bofferding in die Rolle einer machtlosen Beobachterin.
Es war eine von vielen Gelegenheiten, bei denen sich manche der Diskussionsteilnehmer*innen, zu denen auch Gleichstellungsministerin Taina Bofferding (LSAP), Tina Koch von der Association nationale des infirmier(e)s luxembourgeois(es) und Claus Vögele, Professor an der Universität Luxemburg, zählten, an die eigene Nase hätten fassen können. Wenig überraschend kam es dazu aber nicht.
Offizielles Thema der Table-ronde war der Einfluss der Covid-Krise auf Geschlechtergerechtigkeit. Das inoffizielle Thema: Wie lenke ich von meiner eigenen Verantwortung beim Kampf um mehr Geschlechtergerechtigkeit ab?
Taina Bofferding fühlte sich in dieser Gesprächsrunde offensichtlich pudelwohl: Dass bisher in Luxemburg noch keine gendersensible Krisenpolitik betrieben wurde, begründete sie damit, dass die entsprechende Studie jetzt erst fertiggestellt worden sei.
Doch bedurfte es keiner Studie, um festzustellen, dass in den letzten zwei Jahren mehr Frauen als Männer in Teilzeit arbeiteten, den Congé pour raisons familiales anfragten, gänzlich aus der Arbeitswelt ausstiegen und Homeschooling, Hausarbeit und Kinderbetreuung stemmen mussten.
Wurde die Ministerin auf anhaltende Ungleichheiten und unterlassene Maßnahmen aufmerksam gemacht, hatte sie immer schnell eine Antwort parat. Wie man es mittlerweile von ihr gewohnt ist, schlüpfte sie in solchen Momenten in die Rolle einer machtlosen Beobachterin. Sie selbst finde es auch sehr schlimm, dass immer noch keine völlige Gendergerechtigkeit erreicht sei. Abwechselnd schob sie die Verantwortung dafür dem Bildungs- und Privatsektor, den Sozialpartnern, anderen Ministerien oder der Zivilgesellschaft („das dürfen wir als Gesellschaft nicht hinnehmen“) zu. Wer öfters öffentliche Auftritte Bofferdings miterlebt, dürfte mittlerweile noch eine weitere ihrer Ablenkungstaktiken kennen: Der wiederholte Verweis auf reaktionären Gegenwind. „Ich werde immer gefragt: Wieso brauchen wir überhaupt einen Observatoire pour l’égalité?“, erklärte Bofferding zum Beispiel. Anlass war einzig Selbstbeweihräucherung, führte Bofferding doch anschließend an, was sie solchen Menschen entgegne. Damit hängt eine weitere Spezialität dieser Ministerin zusammen: Fragen, die ihr gestellt werden, konsequent nicht zu beantworten, in manchen Fällen sogar einfach nur die Frage zu paraphrasieren.
Die Frage, die Bofferding dazu veranlasste, das Observatorium zu verteidigen, war übrigens: „Sind Sie von den Ergebnissen der Liser-Studie überrascht und welches sind die wichtigsten Lehren, die Sie aus diesen ziehen?“ Ihre Antwort auf den zweiten Teil der Frage: „Das Wichtigste ist, dass wir Lehren aus der Studie ziehen“.
Der Direktor der UEL seinerseits hatte, wie zu erwarten, nicht viel zum Thema beizutragen. Geschlechtsungleichheiten am Arbeitsmarkt führte er vor allem auf persönliche Entscheidungen zurück, da würden Gesetze nicht viel ändern. Flexible Arbeitszeiten für Arbeitnehmer*innen stellten kleine Betriebe vor zu große Herausforderungen. Von Arbeitszeitverkürzungen sei in Zeiten von Digitalisierung und Energietransition abzuraten. Zwar sprach er sich pauschal für mehr Diversität in Unternehmen aus, ohne aber darauf einzugehen, wie diese erreicht werden könne.
Wenn Bofferding ohne Anlass antifeministischen Gegenwind anspricht, hat sie womöglich Menschen wie Olinger im Sinne. Vielleicht sollte sie stattdessen verstärkt auf diejenigen eingehen, die Gendergerechtigkeit tatsächlich wollen. An entsprechenden Anregungen mangelte es bei dem Rundtischgespräch wahrlich nicht.