Frauenfußball-WM in Frankreich: Und der Ball rollt doch

Noch nie war der Frauenfußball so mediatisiert wie bei der Frauen-WM, die am Sonntag in Lyon zu Ende kommt: viel wurde über wie und warum Frauen eigentlich Fußball spielen geredet. Schöne Tore und spannende Spiele gab es auch.

Die Niederländerin Desiree Van Lunteren im Zweikampf mit der Schwedin Julia Zigiotti im Halbfinalspiel vom 3. Juli. Die Niederländerinnen zogen mit 1:0 ins Finale ein. (Foto: EPA-EFE)

Als ich vor 20 Jahren dem lokalen Fußballverein beitreten wollte, erklärte die Frau des damaligen Präsidenten meiner Mutter, dass ich donnerstags beim Training vorbeischauen könnte – sie meinte … zuschauen, nicht mittrainieren. Mädchen spielen doch keinen Fußball.

Meiner Liebe zum Sport tat dies keinen Abbruch. 2011 reiste ich nach Frankfurt, um mir das Finale der Frauen-Weltmeisterschaft zwischen den USA und Japan anzuschauen – ein Spiel, bei dem es alles gab, was man sich als Fußballfan wünschen konnte: Tore, Gegentore, rote Karten und einen japanischen Erfolg im Elfmeterschießen.

Eine der Torschützinnen des damaligen Finales sorgt auch bei der hiesigen WM für Furore: Alex Morgan krönte ihre Leistung beim 13 – 0 Kantersieg im Gruppenspiel gegen Thailand mit nicht weniger als fünf Toren. Man kann über den ausgiebigen Torjubel der Amerikanerinnen nachdem das Spiel längst entschieden war, debattieren. Vor allem verbildlichten diese 90 Minuten aber, dass die Leidenschaft für den Sport die gleiche sein kann, es aber auch auf höchstem sportlichen Niveau ungleiche Bedingungen gibt.

Besagte Alex Morgan hat heute allein auf Instagram 5.8 Millionen Follower, dazu Sponsorendeals mit Nike, Coca-Cola und McDonalds, ihr Haarband einen eigenen Twitteraccount. Die thailändischen Spielerinnen müssen sich auf Nualphan Lamsam verlassen. Die Trainerin der Nationalmannschaft ist Vorsitzende einer der größten Versicherungsgesellschaften des Landes, hat die Nationalspielerinnen bei ihrer eigenen Firma eingestellt und kann nur dadurch sichern, dass diese auch genügend Zeit fürs Fußballspielen aufbringen können.

Populärer, aber schlechter bezahlt

In den USA ist Frauenfußball populärer als jener der Männer. Die Nationalspielerinnen sind beim Verband angestellt, die heimische Profiliga floriert, pro Spiel kommen etwa 6.000 Zuschauer*innen, Jahresgehälter erreichen bis zu 46.000 Dollar und der Nachwuchs ist über die High Schools gesichert. Ein Package, das auch für ausländische Spielerinnen attraktiv ist: 73 der 552 Spielerinnen bei diesem Turnier spielen in der amerikanischen Profiliga. Klingt alles rosig? Die Spielerinnen reichten am Weltfrauentag eine Klage ein: Obwohl sie mehr Einnahmen verzeichnen können als die Männer, gibt es am Ende des Tages doch weniger Kohle und schlechtere Trainings-, Reise- und Spielbedingungen. Die Debatte des gleichen Lohnes ist nicht neu im Frauensport – die letzten Winter als weltbeste Fußballspielerin ausgezeichnete Norwegerin Ada Hegerberg (die bei der Preisüberreichung vom Moderator Martin Solveig gleich „Est-ce que tu sais twerker?“ gefragt wurde) boykottiert die Nationalmannschaft und diese WM. Obwohl es 2017 eine Vereinbarung gab, wodurch die Nationalspieler*innen beider Teams gleich bezahlt werden, ist sie überzeugt, dass der Verband in Sachen Gleichberechtigung noch mehr machen könnte.

Die amtierenden Weltmeisterinnen USA treten am Sonntag um 17 Uhr in Lyon im WM-Finale gegen die Niederlande an. Der Aufschwung im holländischen Frauenfußball ist noch jung, doch angetrieben durch ihren Sieg bei der Europameisterschaft 2017 hat das kleine Land als eins von fünf weiteren in Europa mehr als 100.000 lizenzierte Spielerinnen, etliche mitreisende Fans in Frankreich, und 30.000 Zuschauer*innen bei dem ersten Gruppenspiel gegen Australien in Eindhoven im PSV-Stadion.

Dabei wird das Fußballtrikot zum obskuren Emanzipationsobjekt: Seit 2017 ziert nun eine Löwin anstatt eines Löwen die Trikots der holländischen Nationalmannschaft. Bei dieser WM bekamen die Mannschaften zum ersten Mal ein von den Sportausrüstern speziell für sie designtes Kit. Auf den Spielerinnenrücken sind nun auch Namen gedruckt, wie es etwa auch in der spanischen Liga üblich ist, wodurch man sich erhofft, dass man die Namen der Spielerinnen lernt und sich später mit ihnen identifizieren kann.

Spanien ist neben Frankreich und England eines der europäischen Länder, die ihre Ligen in den letzten Jahren durch Investitionen aufwerten konnten und jeweils ein Kontingent von 50 Spielerinnen zu dieser WM schicken. Allen dreien gelang es zumindest das Viertelfinale zu erreichen, für England besteht sogar die Möglichkeit, ihren dritten Platz von 2015 zu bestätigen.

Feministischer Fußball 
oder Frauenfußball?

In Spanien halfen dabei unterschiedliche Faktoren zum Aufschwung: In der Zeit einer allgemeinen feministisch angehauchten Grundstimmung wurde die Frauenliga, anstatt auf das Wohlwollen des Verbandes zu warten, in die Struktur der kommerziellen La Liga integriert, und hatte damit direkten Zugriff auf professionelle Organisation und Kommunikation. Fernsehrechte wurden, wie bei den Männern üblich, an Fernsehstationen verkauft. Dabei half, dass viele bekanntere Clubs wie Atlético Madrid und der FC Barcelona sich zum Frauenfußball bekannten – das Duell zwischen den beiden konnte im März einen Zuschauer*innenrekord von 60.739 Fans verbuchen. Mit Iberdrola kam darüber hinaus ein corporate Sponsor ins Spiel, der bereit ist, Geld zu investieren, und dabei Steuervorteile entgegenzunehmen. Durch diese neuen Möglichkeiten ist die Spielerinnenanzahl in Spanien seit 2012 um mehr als 60 Prozent gestiegen, bei den internationalen Turnieren der Juniorinnenteams konnte Spanien sich für das Finale qualifizieren.

Doch nicht jedes Land kann sich bislang über einen solchen strukturellen Umbruch freuen: Die Schritte sind oft kleiner, besonders dort wo die (doch an der WM teilnehmenden) Fußballerinnen keinen professionellen Berufsstatus haben. 2017 etwa hatte Nigeria keinen Trainer und spielte kein einziges Spiel – besonders im muslimischen Norden des Landes ist es schwierig, überhaupt spielen zu dürfen. Dies änderte sich 2018 mit der Ankunft eines schwedischen Trainers, der binnen 18 Monaten eine Mannschaft auf die Beine stellte. Dürftig war auch die Unterstützung des argentinischen Verbandes, als man 2017, nach zwei Jahren ohne irgendein Spiel, den Spielerinnen 8,50 Dollar pro Tag für Training verweigerte. Die Spielführerin Estefanía Banini attestiert dem Feminismus eine wichtige Rolle in der positiven Entwicklung. Ab der kommenden Saison sind die Fußballerinnen offiziell Profis mit einem Mindestgehalt von 365 Dollar im Monat. Kein Wunder also, wenn die Argentinierinnen lieber von „fútbol feminista“ und weniger von „fútbol femenino“ reden wollen. Last but not least fanden die Jamaikanerinnen in Bob Marleys Tochter Cedella ihre Mäzenin, die 2014 die nach verpasster WM-Qualifikation vom Fußballverband gerade aufgelöste Fußballmannschaft mit dem Erlös ihrer Single „Strike Hard“ unterstützte.

Es gibt auch weiterhin Stimmen – meistens online – die glauben, dass Frauen gar nicht so viel Aufmerksamkeit verdient haben. Sie sollten doch froh sein, ein Spiel, das von Männern für Männer gemacht worden ist, überhaupt spielen zu dürfen. So weit gingen Philipp Köster und Cathrin Gilbert in ihrem Meinungsartikel „Frauen sind anders“ in der Zeit nicht. Trotzdem ist es bedenklich, was der Gründer und Chefredakteur des „Magazin für Fußballkultur“ 11 Freunde und die Leiterin der Fußballseite der Zeit schreiben. Angefangen damit, dass es „falsch ist (…) den Frauenfußball als Rammbock für feministische Reformen zu gebrauchen.“, fordern sie eine „radikal neue Ausrichtung und ein Selbstbewusstsein, sich als eigenständige Sportart zu verstehen“, da die „körperliche Leistungsfähigkeit (…) bei Frauen geringer ist als bei Männern.“ Diese Nachricht dürfte viele Athletinnen freuen, die schneller als ihr männliches Pendant unterwegs sind. Lösungen laut Köster und Gilbert wären etwa, dass „das Spielfeld verkleinert oder die Spielzeit verkürzt werden sollte“.

Elf Freunde, null Freundinnen

Dass man am Tag des letzten Halbfinales nach Runterscrollen auf der Hauptseite von 11freunde.de nur einen Artikel „Warum wir den Frauenfußball lieben: Ohne Eier“, datiert vom Mai 2019 finden kann, spricht Bände. Die deutschen Spielerinnen hatten vor der WM mit einem selbstbewussten, viralen Video auf sich aufmerksam gemacht, bei denen sie bedauernd sagen „Ich spiele für ein Land, das nicht mal meinen Namen kennt.“, aber dann feststellen „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze“. Der Videosponsor Kommerzbank wusste damit sein Image zu pflegen. Etwas, was dem deutschen Fußballverband nur schwerlich gelingen mag: So beschrieb Thilo Komma-Pöllath in einem Artikel, dass er mit der Spielerführerin Alexandra Popp über „Augenhöhe und Gleichbehandlung“ und Mündigkeit sprach, der vom DFB autorisierte Beitrag jedoch auf „Wäre schön, wenn wir etwas mehr Aufmerksamkeit bekommen könnten“ heruntergespielt wurde.

Zwischen all den Diskussionen war der Unterhaltungswert des eigentlichen Fußballs hoch: Abgesehen davon, dass das im Männerfußball so beliebte Lamentieren und Sich-Auf-Dem-Boden-Wälzen fast kaum vorkam, gab es dramatische Spiele, wie Schottland – Argentinien, wobei den Schottinnen der Einzug ins Achtelfinale doch noch in der letzten Hälfte der zweiten Halbzeit entrissen wurde, als Argentinien binnen 25 Minuten drei Tore schießen konnte. Die gefeierte australische Mannschaft um den neuen Superstar Sam Kerr scheiterte in einem nervenzerreißenden Elfmeterschießen gegen Norwegen, Japan und Holland boten sich eine Fußballschlacht auf höchstem Niveau. Das vielleicht beste Spiel der diesjährigen WM war wohl das Ausscheiden der Gastgeberinnen gegen die USA.

Die Begeisterung für das aktuelle Turnier spiegelt sich auch in den Zahlen wider: Zehn Millionen französische Zuschauer*innen sahen sich das Eröffnungsspiel Frankreich – Südkorea an. Das Halbfinale zwischen den USA und England wurde live auf BBC One übertragen und war mit 11,7 Millionen Zuschauer*innen das meist angeschaute Fernsehprogramm 2019. Leider versemmelte die FIFA den Ticketverkauf, da man Tickets nur online und nicht mehr im Stadion kaufen konnte, sodass es zeitweise wenig gefüllte Stadien gab.

Fußballfest Frauenfinale

Das Finalspiel am Sonntag ist ausverkauft, eine Public Viewing Zone ist eingerichtet. In Luxemburg organisieren Voix de jeunes femmes und das CID Fraen an Gender ein Public Viewing mit Live-Kommentar und anschließender Party bei der Gëlle Fra. Gespannt sind die Augen nach Lyon gerichtet, wo die Amerikanerinnen eine große Chance auf ihre vierte Weltmeisterschaft seit dem Turnierbeginn 1991 haben. Megan Rapinoe, Star der Mannschaft mit Aussicht auf den Titel der besten Spielerin des Turniers, hatte ihre Teamkolleginnen aufgefordert nach einem Gewinn eine Einladung Donald Trumps ins Weiße Haus auszuschlagen.

Letztens, auf dem Weg zum Bäcker, fiel mein Blick auf ein Poster: mein ehemaliger Fußballverein sucht gerade aktiv nach Frauen, um Teil ihrer neu gegründeten Frauenmannschaft zu werden. Die Welt bewegt sich langsam, aber sie bewegt sich doch.


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