Alltagssexismus: Gefährliches Chamäleon

Sexismus wird zu oft mit dem Hinweis auf Humor oder Meinungsfreiheit verharmlost und entschuldigt.

Foto: pxhere

„Est-ce que tu sais twerker?“, fragte der französische DJ Martin Solveig 2018 die Fußballerin Ada Hegerberg während der Preisverleihung des Ballon d’or. Twerken ist eine laszive Tanzbewegung, die sich durch ihre stoßenden Hüftbewegungen und eine tiefe, hockende Haltung auszeichnet. Hegerberg entgegnete ein knappes „Non“. Sie ist die erste Frau, die mit dem Preis für die beste Spielerin des Jahres ausgezeichnet wurde. Solveig fiel in diesem historischen Moment nichts Besseres ein, als Hegerberg Twerken als Freudentanz vorzuschlagen. Das tat er bei den männlichen Preisträgern nicht. Später hieß es dann, das sei ein Scherz gewesen.

Wenn man Sexismus generell als Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität versteht, dann bleibt einem auch bei der diesjährigen Büttenrede der CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer das Lachen im Halse stecken. Die witzelte: „Wer war denn von euch vor Kurzem mal in Berlin? Da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Das ist für die Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehen dürfen beim Pinkeln oder schon sitzen müssen.“

Sexismus kommt nicht nur durch große Missstände, wie die sexualisierte Gewalt gegen Frauen oder den gender pay gap, zum Ausdruck. In den zuvor genannten Fällen tarnt er sich als Witz. Politisch kann sich noch so sehr um die Gleichberechtigung bemüht werden: Wenn solche Späße salonfähig bleiben, kommt der Mentalitätswechsel nicht in der Gesellschaft an. Kritik an sexistischem Humor wird bis dahin mit einem Augenrollen abgetan, von wegen: „Jetzt lach doch mal“.

Aggressiver sind Reaktionen auf feministische Forderungen. Erst kürzlich wagte es die Voix de jeunes femmes (VJF), in einem offenen Brief nach einem diversifizierten Lektüreplan auf den Abschlussklassen zu verlangen. Die Hysterie ließ nicht lange auf sich warten. Sowohl die Jugendfraktion der ADR als auch der Philosoph Norbert Campagna und Facebook-User*innen fürchteten gleich um die Meinungsfreiheit und um das Verschwinden großer Autoren auf den Lehrplänen. Dabei hatte die VJF nichts dergleichen gefordert.

Ein weiteres Beispiel ist die Resonanz auf den letztjährigen Tag gegen die sexualisierte Gewalt gegen Frauen: Der Wort-Journalist Gaston Carré regte sich in einem Edito über die unsäglichen Berichte über weibliche Sexualopfer auf, die er als übertrieben und ketzerisch empfand. Die ADR-Frauen verwiesen darauf, dass auch Männer Opfer häuslicher Gewalt seien. Darüber würde nur wenig gesprochen.

Die Zivilgesellschaft muss mitziehen, damit Sexismus aufhört.

Auch so manche Reaktion auf die Senkung der Mehrwertsteuer auf Menstruationsprodukte ist fragwürdig. Tageblatt-Journalist Robert Schneider kann beispielsweise nicht verstehen, warum die TVA-Senkung um drei Prozent einen Jubel auslöst, spricht sich aber gleichzeitig für die Gleichberechtigung von Frauen in allen Bereichen aus. Sein Unverständnis ist per se nicht sexistisch, zwischen den Zeilen aber schon: Es war eine dringende Notwendigkeit, dass die Produkte aus der Klassifizierung der Luxusartikel zum lebensnotwendigen Gut erhoben wurden. Schneider aber denkt, die Frauen hätten die „moralische Aufwertung über die Anerkennung der periodischen Monatsregel im 21. Jahrhundert nicht nötig“. Getreu dem Motto: Muss das sein? Der Umklassifizierung anhand dieser Argumentation ihre Notwendigkeit abzusprechen, ist verkappt sexistisch.

Es sind Formen von Sexismus, die über die strukturelle Diskriminierung von Frauen und Minderheiten hinausgehen. Sie fügen sich oft fast unbemerkt in den gesellschaftlichen Diskurs ein, weil sie nicht direkt und explizit als gegen Frauen und Minderheiten gerichtet wahrgenommen werden. Der Sexismus schwingt aber im Subtext mit. Auch deshalb ist der „Weltfrauenkampftag“ an diesem Freitag, dem 8. März nach 100 Jahren Wahlrecht für Frauen und erreichten Meilensteinen in Luxemburg unabdinglich.


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