Golfkrieg 1990: Für Werte und Öl


Ein Blick ins woxx-Archiv erinnert an die Aufbruchstimmung nach dem Fall der Mauer. Und an die aggressive westliche Reaktion während der Golf-Krise, die ungeahnte Folgen für die Region und für die Welt haben sollte.

Mit dem M728-„Mähdrescher“ auf Minensuche. 1990 bereitete man sich darauf vor, in einem konventionellen Krieg zu siegen. Mittlerweile mussten sich westliche Truppen an „schmutzige“ Kriege mit Sprengfallen, Autobomben und Selbstmordattentate gewöhnen. Und an Niederlagen. (Foto: Spc. Henry, US DOD / PD)

Mit dem M728-„Mähdrescher“ auf Minensuche. 1990 bereitete man sich darauf vor, in einem konventionellen Krieg zu siegen. Mittlerweile mussten sich westliche Truppen an „schmutzige“ Kriege mit Sprengfallen, Autobomben und Selbstmordattentate gewöhnen. Und an Niederlagen. (Foto: Spc. Henry, US DOD / PD)

Sollte der Westen, statt zuzuschauen, im Irak intervenieren? Eine brennende, aber keineswegs neue Frage. Bereits vor 25 Jahren stellte sie sich – nachdem Saddam Husseins Truppen Anfang August Kuwait besetzt hatten. Es sollte bis Januar 1991 dauern, bevor es zum Krieg kam, doch als direkte Reaktion auf die Besetzung ließen die USA bereits im Sommer ihre Truppen in der Region aufmarschieren. Für die nicht-kommunistische Linke, die große Hoffnungen mit dem Ende des Kalten Krieges verbunden hatte, war dies ein Schock.

Die woxx, erst 1988 als „Gréngespoun“ gegründet, pflegte damals noch – als größtenteils ehrenamtliches, von der Pressehilfe ausgeschlossenes Projekt – die Tradition des Sommerurlaubs. Das Editorial der Rentrée-Nummer vom 7. September widmete sie aber dann gleich dem „Neuen Feindbild“. Saddam Hussein habe sich nicht erst mit der Besetzung Kuwaits als rücksichtsloser, mörderischer Diktator geoutet, schrieb damals Richard Graf, heute dienstältestes Mitglied der Kern-Redaktion. „Sein waffenstrotzendes Regime wurde während der letzten 10 Jahre künstlich hochgezüchtet – von eben jenen Kräften, die ihm jetzt den Garaus machen wollen.“

Doppelmoral

Der Spoun-Editorialist übte Kritik ad den Aktionen des Irak wie der USA, um zu schlussfolgern, dass die milliardenschweren Rüstungsbudgets leider auch über das Ende des Kalten Krieges hinaus erhalten bleiben würden. Damit erwachse der Friedensbewegung ein neues Arbeitsfeld – „Saddam Hussein spielt die Rolle des neuen Feindbildes bis zur Perfektion – die nächsten zehn Rambo-Folgen sind gesichert.“ Die Metapher war stimmig, die Prognose jedoch nicht ganz zutreffend: Dem Feindbild Hussein wurden nicht so viele Filme gewidmet – und kein einziges Rambo-Sequel. Dafür sorgte die amerikanische Besetzung des Irak nach 2003 für eine Flut von – zum Teil recht kritischen – Kriegsfilmen. Und: Die Golf-Krise von 1990 läutete eine „Neue Weltordnung“ ein, in der die USA ihre Stärke zu nutzen versprachen, um weltweit das Recht statt der Gewalt regieren zu lassen. So stellte es zumindest George Bush – der Vater des später so verhassten George W. – in einer Rede am 
11. September 1990 dar. Kritiker sahen in der Neuen Weltordnung eher ein Mäntelchen, das sich die US- und die westliche Vorherrschaft umhängen wollte, – die Debatte dauert bis heute an.

Mit „Satan Hussein“ war auf Seite 3 eine Kolumne der „United Guys“ – Guy Rewenig und Guy Stoos – überschrieben. Die beiden bereicherten über lange Jahre den Spoun mit einer bitterbösen und brillanten Kombination von satirischen Texten und Karikaturen – Karikaturen von Guy Stoos illustrieren auch jetzt noch das jeweilige Thema der Woche in der woxx. Rewenig befasste sich mit dem Sinn der Darstellung von Hussein als „Irrer“ in den westlichen und insbesondere den luxemburgischen Medien: „Der Diktator ist ein verrückter, ungemein gefährlicher Dämon. Logischer Schluss? Einsperren oder totbomben.“ Wer sich von solchen Raisonnements nicht täuschen lasse, erkenne: „Unter der Maske des brutalen Diktators erscheint der freundlich und friedlich lächelnde Waffenfabrikant aus der ‚freien Welt‘.“

Doch nicht nur die westliche Doppelmoral stand in der Kritik. „Der Imperialismus will ein Exempel statuieren“, verkündete ein in derselben Gréngespoun-Nummer abgedrucktes Pressekommuniqué der „Revolutionär sozialistesch Partei“. So nannte sich die damals noch bestehende luxemburgische Sektion der trotzkistischen Vierten Internationale – mittlerweile ist diese politische Ausrichtung im Sammelbecken von „Déi Lénk“ aufgegangen. Messerscharf stellte sie damals fest, die Aussagen der Medien und Politiker zielten nicht darauf ab, das Recht, die Demokratie oder die Unabhängigkeit eines Landes zu verteidigen. Schließlich habe man an Saddam Husseins Massaker an der linken Opposition keinen Anstoß genommen, seinen mörderischen Angriffskrieg gegen Iran sogar unterstützt und den Gasangriff gegen irakische Kurden totgeschwiegen. Doch diesmal gehe es um Öl und um die neokoloniale Ordnung – „[Hussein] wird zum blutrünstigen und faschistischen Wahnsinnigen, sobald er die Interessen der Finanzwelt oder die vom Imperialismus vorgegebene ‚Weltordnung‘ bedroht“.

Was ist ein Imperialist?

In der Tat: In den 1980er Jahren hatte der Westen Allianzen geknüpft, an die er heute nicht mehr erinnert werden möchte. Er ermutigte den Irak, das revolutionär-islamische Iran anzugreifen, ließ dabei die heute als „beste Freunde“ geltenden Kurden im Stich und verbündete sich mit afghanischen Islamisten, um die sowjetische Armee ausbluten zu lassen. Letzteres mit Erfolg – und ungeahnten Folgen, denn der afghanische Bürgerkrieg mündete Ende der 1990er in die Taliban-Herrschaft.

Die Idee, dass es bei der US-Intervention im Golf nicht um humanistische Werte, sondern um „Imperialismus“ und Öl gehe, lag für die damalige Linke – zu der Grüne und Spoun sich selber zählten – nahe. Aus der Zeit des Kalten Krieges hatte sie einen scharfen Blick für Interessenpolitik und Lügenpropaganda westlicher Regierungen geerbt – mittlerweile ist er eher die Ausnahme. Einen scharfen Blick hatte schon damals Romain Hilgert, heute „secrétaire général“ des „Lëtzebuerger Land“, der seinerzeit gerade der KPL den Rücken gekehrt hatte und als freier Autor für den Spoun schrieb. Statt nach Skandalen zu suchen, wie jenem, dass Saddam Hussein vielleicht „Mitglied des Super-J-Clubs“ gewesen sei, empfahl er in seiner Kolumne, sich für die ganz „normalen“ Beziehungen zwischen Luxemburg und Irak zu interessieren. Und brachte die Natur dieser Beziehung gekonnt auf den Punkt: „Droht die Pipeline zwischen unseren Erdölkolonien und unserer Tankstelle an der Ecke zu verstopfen, müssen leider Soldaten im Namen von Freiheit und Democracy für sich und für uns die Pipeline freischießen gehen.“

Wie heute die woxx bemühte sich damals der Gréngespoun, eine Vielzahl von Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Abgedruckt wurden im Herbst 1990 eine besorgte Stellungnahme der israelischen sozialistischen Gruppe Shasi, ein um Verständnis für den Irak werbendes Plädoyer des ehemaligen türkischen sozialdemokratischen Premiers Bülent Ecevit und ein Appell der australischen Grünen. Letzterer forderte zwar einen irakischen Rückzug und bejahte die UN-Sanktionen, befürwortete aber einen Abzug der westlichen Truppen – und war von der damals noch lebenden Grünen-Politikerin und pazifistischen Galionsfigur Petra Kelly unterzeichnet worden. Zum Thema Aufrüstung des Irak durch den Westen steuerte Marc Schmitz die Expertise des Brüsseler „Groupe de recherche et d’information sur la paix et la sécurité“ (Grip) bei – er dient der woxx auch heute noch als wichtiger Kontakt und gelegentlicher Autor.

Fatale Spätfolgen

Wie folgenreich die Krise und der darauffolgende erste Irakkrieg sein würden, konnte man damals nur erahnen. Im oben angeführten Editorial schrieb Graf über die USA: „Auch wenn sie völkerrechtlich korrekt von den Saudis ins Land gerufen wurden, so sind sie doch für viele Araber Aggressoren, die nur gekommen sind, um ihre ureigensten Interessen zu wahren.“ Diese „Entweihung“ eines als heilig angesehenes Land sollte die Herausbildung von Al-Qaida als internationale islamistische Terrororganisation beschleunigen. Die Spannungen in und zwischen den Staaten des Mittleren Ostens wurden durch den Blitzkrieg von 1990 nicht gelöst. 2003 führte ein weiterer Blitzkrieg zum Fall Saddam Husseins, worauf ein mörderischer Bürgerkrieg ausbrach. Das dort – unter Mitwirkung der Islamisten – entstandene Chaos und die gegenseitige Verstärkung des Islam und des Westens als Feindbilder dürften einiges zur Entstehung des „Islamischen Staates“ im Jahre 2013 beigetragen haben.

Für die im Kalten Krieg erstarkte Friedensbewegung stellte die Golf-Krise eine Herausforderung dar. Wie konnte man gegen den „imperialistischen“ Krieg sein, ohne Partei für Saddam Hussein zu ergreifen? Manche begannen, am Sinn des Pazifismus zu zweifeln, einige schworen ihm sogar ganz ab: Der linke Autor Hans Magnus Enzensberger sollte viele Friedensbewegte schockieren, als er im Februar 1991 Saddam Hussein mit Hitler gleichsetzte und den amerikanischen Bombenkrieg rechtfertigte. Doch im Herbst 1990 war die Friedensbewegung erst einmal gelähmt. Das Thema verschwand auch von den Gréngespoun-Seiten, und zu einer Friedensdemo raffte man sich erst im Januar auf. Noch hoffte man, dass es zu einer Verhandlungslösung kommen werde. Und blätterte weiter.


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