Großbritanniens neue Regierung: Fehlstart mit Ansage

Die Finanzpläne der neuen Premierministerin Großbritanniens, Elizabeth Truss, führen zu Turbulenzen an den Finanzmärkten und Streit innerhalb ihrer Konservativen Partei. Sie kommen vorwiegend den Allerreichsten zugute und treiben gleichzeitig die Staatsverschuldung in die Höhe.

Demonstration während des Parteitags der konservativen Tories am 2. Oktober in Birmingham: Viele Abgeordnete der Partei, darunter vor allem jene aus den ärmeren Wahlkreisen im Norden, wurden für das sozialpolitisch vergleichsweise moderate Programm der alten Regierung gewählt; die neue Premierministerin Liz Truss hingegen steht für knallharten Neoliberalismus. (Foto: EPA-EFE/Tolga Akmen)

Der erste Parteitag als neue Vorsitzende der Konservativen Partei und neue britische Premierministerin sollte für Elizabeth „Liz“ Truss in der vorigen Woche eigentlich ein leichter Gang werden. Schließlich war sie kaum einen Monat zuvor mit deutlicher Mehrheit von den Parteimitgliedern ins Amt gewählt worden. Doch Truss und ihre Minister erlebten ein Desaster. Statt der erhofften Aufbruchstimmung nach den letzten lähmenden Monaten, die von den Skandalen um Truss’ Vorgänger Boris Johnson geprägt waren, brachte der Parteitag Chaos und Streit.

Begonnen hatte alles mit dem Mitte September verkündeten „fiskalischen Event“, das als „Minibudget“, also als eine Art Zwischenhaushalt, vom neuen Finanzminister Kwasi Kwarteng vorgestellt wurde. Die Regierung wollte mit dem größten Steuersenkungsprogramm seit einem halben Jahrhundert zum einen die Verbraucher bei den hohen Energiepreise weiter entlasten, zum anderen der Wirtschaft einen „Stimulus“ verpassen, wie es Kwarteng ausdrückte.

Viele Maßnahmen waren bereits vor der offiziellen Bekanntgabe angekündigt worden: Die Energiepreise in Großbritannien werden für Haushalte und Unternehmen gedeckelt, sodass ein durchschnittlicher britischer Haushalt für die nächsten zwei Jahre jährlich nur circa 2.500 Pfund im Jahr für Heizung und Heißwasser zahlen soll, wogegen Truss sich anfangs gewehrt hatte. Die erst im April von der alten Regierung eingeführte Erhöhung der Sozialversicherungsabgaben um 1,25 Prozentpunkte, gedacht, um der unterfinanzierten Altenpflege Mittel zukommen zu lassen, nahm Kwarteng wieder zurück. Das gilt auch für die Körperschaftssteuer, die Gesellschafter von Unternehmen zu zahlen haben. Hier war eigentlich eine Erhöhung von 19 auf 25 Prozent geplant. Hingegen sollte der Basissteuersatz um einen Prozentpunkt auf 19 Prozent gesenkt werden.

Nicht erwartet hatte die britische Öffentlichkeit indes zwei weitere Maßnahmen, von der insbesondere Reiche profitierten. Zum einen sollte der Spitzensteuersatz von 45 Prozent für Einkommen über 150.000 Pfund, zum anderen die infolge der Finanzkrise 2008 eingeführte gesetzliche Obergrenze für Banker-Boni gestrichen werden.

Viele Hausbesitzer, die als klassische Klientel der Konservativen gelten, müssen nun deutlich mehr für ihre Hypothekenzinsen bezahlen.

Vor allem diese beiden Maßnahmen erwiesen sich als überaus unbeliebt in der britischen Öffentlichkeit. Truss und Kwarteng schienen sich zunächst nicht um die Kritik zu kümmern, Truss sagte gar, ihr liege nicht daran, populär zu sein, sie wolle das Richtige tun. Doch das Vertrauen von Finanzmärkten und Anlegern fehlte, zu sehr fürchteten sie eine zu hohe Staatsverschuldung und eine rasante Abwertung des Pfunds, weil Kwarteng und Truss nicht sagten, wie sie diese Geschenke finanzieren wollten. Infolge des angekündigten Minibudgets fiel zunächst der Wert des Pfunds an den internationalen Geldhandelsplätzen. Gleichzeit stiegen die Zinsen für britische Staatsanleihen rasant an und übertrafen zeitweise sogar die Italiens.

Das hatte direkte Effekte auf die Pensionskassen, die oft viele Staatsanleihen besitzen. Deren Wertverlust gefährdete die Zahlungsfähigkeit der Kassen. Die Bank of England intervenierte und garantierte einen Ankauf von Staatsanleihen im Wert von 65 Milliarden Pfund, was die Märkte stabilisierte.

Als weitere Reaktion auf Truss’ Minibudget nahmen britische Banken ihre Hypothekenangebote vom Markt und erhöhten die Zinskosten für ihre verbliebenen Produkte in Erwartung einer deutlichen Leitzinserhöhung durch die Bank of England. Innerhalb einiger Tage stiegen die Kosten zur Finanzierung von Immobilien von vier auf sechs Prozent per annum und lagen damit bis zu viermal so hoch wie noch vor einem Jahr.

Dass ausgerechnet die Finanzmärkte so allergisch auf das Minibudget reagierten, hat auch mit dessen Präsentation zu tun. Normalerweise werden britische Staatshaushalte zusammen mit einer Stellungnahme der Finanzaufsichtsbehörde „Office for Budget Responsibility“ (OBR) veröffentlicht. Das OBR ist unabhängig von der Regierung, es wurde 2010 vom damaligen konservativen Finanzminister George Osborne gegründet, um die Fiskalpolitik der Regierung zu evaluieren. Kwarteng und Truss hatten ihrem ersten Haushalt den Namen „fiskalisches Event“ gegeben, um zu rechtfertigen, dass sie den bereits vorliegenden Report des OBR zu ihren Plänen nicht veröffentlichen würden. Die Kombination aus Mehrausgaben und Steuerkürzungen jeweils in Milliardenhöhe, fehlenden Plänen für Einsparungen und das Unterverschlusshalten des OBR-Reports ging den Anlegern offensichtlich zu weit.

Die Turbulenzen an den Märkten sind für die Tories politisch verheerend. Viele Hausbesitzer, die als klassische Klientel der Konservativen gelten, müssen nun deutlich mehr für ihre Hypothekenzinsen bezahlen. Einen Wertverfall des Pfunds fürchten gerade Wähler der Konservativen. Zu Beginn des Parteitags sahen Meinungsumfragen die Tories denn auch nur bei 20 Prozent – die konkurrierende sozialdemokratische Labour-Partei hingegen bei fast 50 Prozent. So ein großer Abstand zwischen beiden Parteien bei einer seriösen Umfrage gilt als Novum. Truss’ persönliche Beliebtheitswerte sanken unter die von Boris Johnson kurz vor dessen Rücktritt.

Entsprechend schlecht war die Stimmung unter den Delegierten beim Parteitag. Sie forderten Änderungen des Programms, was sowohl Truss als auch Kwarteng die ganze Woche lang abgelehnt hatten. Besonders die geplante Streichung des Spitzensteuersatzes, fiskalisch vergleichsweise unbedeutend, war vielen ein Dorn im Auge. Vor den Delegierten forderten prominente Tories wie Michael Gove eine Kehrtwende. Gove war unter Boris Johnson Minister für Wohnungsbau, hatte Liz Truss im Wettbewerb um dessen Nachfolge nicht unterstützt und daher seinen Posten im Kabinett verloren. Andere Abgeordnete schlossen sich ihm an. Bald wurde deutlich, dass eine Mehrheit der Fraktion den alten Spitzensteuersatz wiederhaben wollte. Noch während des Parteitags mussten Truss und Kwarteng einlenken.

Zur EU will die neue Regierung offenbar ein besseres Verhältnis bekommen.

Auf diese erzwungene Richtungsänderung folgten weitere. Kwarteng hatte geplant, Ende November einen kompletten Haushaltsplan mit OBR-Analyse zu veröffentlichen; während des Parteitags musste er die Veröffentlichung schon für Ende Oktober versprechen. Umstritten ist auch der sogenannte Universal Credit. Durch diese Art allgemeiner Sozialhilfe bekommen 4,5 Millionen Briten Arbeitslosengeld, aber auch Beihilfen zur Aufstockung niedriger Gehälter. Die Regierung ließ anklingen, dass die Höhe der Auszahlungen sich dieses Jahr nicht an der Inflation orientieren solle, sondern an der Entwicklung der Löhne. Das wäre die Abkehr von einem Versprechen der Regierung Johnson; die Staatskasse würde circa fünf Milliarden Pfund an den Ärmsten sparen, um damit Steuersenkungen zu kompensieren.

Dagegen regte sich schon beim Parteitag derartiger Widerstand, dass die neue Regierung die Maßnahme wohl kaum durchsetzen kann. Die gegenwärtigen Abgeordneten der Tories wurden für Johnsons sozialpolitisch gemäßigtes Programm gewählt – nicht zuletzt in den ärmeren Wahlkreisen im Norden –, Truss hingegen steht für knallharten Neoliberalismus. Weitere Konflikte zeichnen sich ab. Die Kräfte um Kwarteng wollen die Immigration liberalisieren, da sie ihnen als Schlüssel zu mehr Wachstum gilt, die meisten Tories mögen die Grenzen lieber dicht. Im Umweltbereich und beim Landschaftsschutz sollen Regularien aufgeweicht werden, um Wachstum auch im Wohnungsbau voranzutreiben, doch viele Konservative wehren sich gegen solche Projekte.

Auch zur EU will die neue Regierung offenbar ein besseres Verhältnis bekommen. Das geht nur über eine Einigung im Streit über das Nordirland-Protokoll, bei dem es um die Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland geht. Die Kompromisse, die hier nötig sein werden, könnten „Brexit“-Hardliner gegen die Regierung aufbringen. Nach dem Parteitag wird keiner dieser Widersprüche leicht zu lösen sein. Truss ist nach nur vier Wochen im Amt bereits politisch angeschlagen.

Fabian Frenzel berichtet als freier Journalist und lehrt an der Oxford Brookes University.

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