Im Kino
: Killers of the Flower Moon


In seinem neusten Film rückt Martin Scorsese eine Mordserie an indigenen Nordamerikaner*innen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Vordergrund. Obwohl der Film handwerklich überzeugt, ist die Entscheidung, aus der Perspektive eines weißen Mannes zu erzählen, nicht nachvollziehbar.

Robert De Niro und Leonardo DiCaprio können sich freuen: Obwohl Martin Scorseses neuster Film von einer Mordserie an indigenen Menschen handelt, ergatterten sie die Hauptrollen. (Quelle: Apple)

Die Darstellung indigener Nord-
amerikaner*innen im Hollywoodfilm ist seit jeher problembehaftet. Besonders in den ersten Jahrzehnten nach der Erfindung der Filmkunst war ihre Repräsentation wenig nuanciert: Bei indigenen Figuren handelte es sich entweder um Bösewichte oder aber um „edle Wilde“. Erst in den 1990er-Jahren waren auf der großen Leinwand auch komplexere Darstellungen zu sehen. Filme, die gänzlich aus einer indigenen Perspektive erzählt sind, bilden bis heute jedoch eine Ausnahme.

„Killers of the Flower Moon“ ist keine davon. Das war auch schon in der 2017 erschienenen Buchvorlage von David Grann so, auf welcher Martin Scorseses 206-minütiger Streifen basiert. Darin geht es um die Mordinvestigation des FBI-Agenten Tom White in Osage County, Oklahoma. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren dort dutzende indigene Einwohner*innen unter mal mehr, mal weniger mysteriösen Umständen ums Leben gekommen.

Scorsese seinerseits stellt nicht White, sondern einen der damaligen Hauptverdächtigen ins Zentrum seiner Verfilmung: den von Leonardo DiCaprio gespielten Ernest Burkhart. Nachdem dieser aufgrund einer Verletzung von seiner Funktion als Koch im Ersten Weltkrieg freigestellt wurde, zieht er zu seinem Onkel, dem Rancher William Hale (Robert De Niro), in der Hoffnung dort einen Job zu finden. Letzterer wohnt in Fairfax, einer Stadt, in der Mitglieder der Osage Nation dank Erdölvorkommen zu den reichsten Menschen des Erdballs zählen. Hale aber ist der Ansicht, dass dieser Reichtum nicht der indigenen Bevölkerung, sondern Weißen wie ihm zusteht – und um dieses Ziel zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht.

„Killers of the Flower Moon“ rückt die lange Zeit in Vergessenheit geratenen Osage-Morde in den Fokus, tut dies jedoch in erster Linie anhand einer Charakterstudie von Ernest Burkhart, der 1917 die indigene Mollie Kyle (Lily Gladstone) heiratete. Ernest wird als kaltblütiger, wenn auch nicht besonders schlauer Serienmörder dargestellt, der seine Ehefrau zugleich aufrichtig liebt. Ganz bewusst, scheint sich Scorsese, der das Drehbuch gemeinsam mit Eric Roth schrieb, gegen das Subgenre des Whodunnit entschieden zu haben. Dadurch, dass sich so nicht nur die Frage nach dem Wer, sondern auch die nach dem Wieso erübrigt, bleibt also nur noch die nach dem Wie.

Wenig realistische Figur

Dass die Figur Ernest nie richtig Sinn macht, liegt vor allem an der Besetzung. Als Figur ist Ernest sowohl naiv als auch impulsiv, diese Seite gelingt es DiCaprio, der 30 Jahre älter ist, als es die historische Person zu jener Zeit war, nicht zu vermitteln. DiCaprio ist aber nicht nur zu alt, um Ernest auf glaubwürdige Weise zu verkörpern, sondern auch zu sehr daran interessiert, die ganze Bandbreite seines Könnens unter Beweis zu stellen, um eine solch einfach gestrickte Figur zu spielen. Dass Ernest, ein Mann, der eine indigene Frau mit dem alleinigen Ziel heiratete, sie und ihre Familie ihres Wohlstands zu berauben, derart komplexe Gefühle und Gedankengänge gehabt haben soll, wie es DiCaprio durch sein Schauspiel nahelegt, ist zu bezweifeln.

DiCaprio ist natürlich nicht alleine verantwortlich für diese Schwäche des Films. Seit Beginn seiner Karriere interessiert sich Scorsese für das, was Philosophin Hannah Arendt mit der Bezeichnung „Banalität des Bösen“ auf den Punkt brachte. Gleichzeitig verfügen viele Figuren des Filmemachers über zwei verschiedene Identitäten, ein moralisches Dilemma, das ihnen mal mehr, mal weniger zu schaffen macht. Dass Scorsese jedoch das historische Ereignis der Osage-Morde zum Ausgangspunkt für einen weiteren Film über einen moralisch korrupten weißen Mann nimmt, ist eine fragwürdige Entscheidung. Opferfiguren nur als Kollateralschaden darzustellen, ist nicht weiter schlimm, wenn es sich dabei um fiktionale Menschen handelt. In diesem Fall sind die Opfer jedoch real und gehören noch dazu einer marginalisierten Bevölkerungsgruppe an, die im Film ohnehin meist nur als Mittel fungieren, um die Handlung des weißen Hauptfigur voranzubringen.

Vereinzelte Szenen tragen zwar dazu bei, Mollie und ihren Schwestern als Figuren Leben einzuhauchen, im Vergleich zu Ernest verblassen sie jedoch im Hintergrund. Tatsächlich ist Ernest die einzige Figur, der Scorseses Interesse gilt: Sein Onkel, sein Bruder und die anderen Mittäter sind kaum mehr als karikatureske Schurken. Der Fokus auf Ernest ist umso bedauerlicher, weil es sich bei Mollie um die sehr viel interessantere Figur handelt. Mit ihr im Zentrum hätte sich eine Geschichte erzählen lassen, wie man sie im Kino nicht oft zu sehen bekommt.

Es ist schwer, über das Paradox im Herzen dieses Projekts hinwegzusehen: Scorsese will dem historischen Ereignis der Osage-Morde gebührende Aufmerksamkeit zollen, tut dies jedoch, indem er seinen häufigen Kollaborateur DiCaprio ins Zentrum stellt. Durch den selbstreferenziellen Schluss scheint Scorsese immerhin zuzugeben, dass es sich bei seinem Film nur um eine unvollständige Version der historischen Ereignisse handelt.

Sowohl inhaltlich als auch handwerklich, ist „Killers of the Flower Moon“ ein typischer Scorsese-Film – wenn auch nicht sein bester. Wer den Kinosaal mit genau dieser Erwartungshaltung betritt, wird auf seine*ihre Kosten kommen.

In allen Sälen außer im Le Paris.


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