Im Kino: The Whale

In „The Whale“ weiß Brendan Fraser zum ersten Mal seit langem in einer Hauptrolle zu überzeugen – mit Abstand das Beste an einem ansonsten misslungenen Film.

In den letzten Monaten stieß „The Whale“ bei Publikum und Presse auf gemischte Reaktionen. (Copyright: A24)

Der 270 Kilogramm schwere Charlie (Brendan Fraser) hat seit Jahren seine Wohnung nicht mehr verlassen. Seinen Lebensunterhalt verdient er mit Online-Schreibkursen, sein einziger konstanter sozialer Kontakt ist Liz (Hong Chau), zugleich seine Krankenpflegerin und beste Freundin. Als sie bei ihm eines Tages einen Blutdruck von 238 zu 134 misst, prognostiziert sie ihm, die laufende Woche nicht zu überleben. „The Whale“ handelt von diesen paar Tagen, in welchen Charlie vor allem darum bemüht ist, eine Verbindung zu seiner entfremdeten Tochter Ellie (Sadie Sink) aufzubauen.

Während der fast zweistündige Film auf diesen einen Schauplatz beschränkt bleibt, ergibt sich die Handlung durch das Kommen und Gehen der Figuren – neben Liz und Ellie, ist dies zudem der Missionar einer Sekte namens Thomas (Ty Simpkins). Der Eindruck, dass sich aus dem Stoff leicht ein Theaterstück machen ließe, kommt nicht von ungefähr: Tatsächlich beruht Darren Aronofskys Film auf dem gleichnamigen Werk von Samuel D. Hunter. Der Film fühlt sich aber keineswegs wie ein abgefilmtes Theaterstück an, vielmehr trägt die Beschränkung auf eine Location dazu bei, uns besser in Charlies einengende Lebensrealität hineinzuversetzen.

„The Whale“ wird gemeinhin als Frasers Comeback gefeiert. Bekannt geworden war dieser in den 1990er-Jahren mit Filmen wie „Encino Man“, „George of the Jungle“ oder der „Mummy“-Franchise. Seither spielte Fraser zwar jedes Jahr in mehreren Filmen und Serien, dabei bewegte er sich aber abseits vom Rampenlicht. In „The Whale“ hat er zum ersten Mal seit langem eine Hauptrolle in einem Kinofilm.

Darin ist er kaum wiederzuerkennen. Grund dafür ist der Fatsuit, der ihn auf glaubwürdige Weise in einen 270-Kilo-Mann verwandelt. Trotz Ganzkörperprothese liefert Fraser dabei eine nuancierte Darstellung des sterbenden Charlie, einer so komplexen wie frustrierenden Figur. Deren leidenschaftliches Interesse für Literatur und Mitgefühl für andere Menschen, stehen in starkem Kontrast zu ihrem Selbsthass. Über den Suizid seines einstigen Partners Alan kam Charlie nicht nur nie hinweg: Er gibt sich selbst die Schuld daran.

Fraser spielt diese Widersprüchlichkeit beeindruckend glaubhaft. In den vergangenen Monaten erhielt er dafür zahlreiche Preise und wurde zum ersten Mal in seiner Karriere für einen Oscar nominiert. „Hollywood loves to reward actors who dare to take on roles that require them to abandon the good looks that enabled their careers“, kommentierte die Autorin und Aktivistin Roxane Gay im Dezember treffend in der New York Times.

Leider ist Frasers Darstellung das mit Abstand beste an Aronofskys Film. Das liegt zum einen daran, dass „The Whale“ drei verschiedene Filme in einem zu vereinen scheint. In dem ersten geht es darum, wie ein Mann und dessen Umfeld zusammenfinden und ein zunehmendes Verständnis füreinander entwickeln. Auf dieser ersten Ebene ist der Film dem Genre „Melodrama“ zuzuordnen.

Im zweiten Film geht es um einen Teenie außer Rand und Band, der seine Eltern immer wieder zur Verzweiflung bringt. Diese Ausprägung von „The Whale“ kommt einer Satire gleich. Schuld daran ist vor allem die Figur Ellie beziehungsweise ihre Verkörperung durch Sadie Sink. Ellie ist eine einzige Ansammlung an Stereotypen über weibliche Jugendliche, gespielt wird sie auf eine theatralische Weise, die ganz im Gegensatz zu dem naturalistischen Spiel von Fraser steht.

Ausbeuterische Darstellung

Weitaus problematischer ist jedoch, dass Aronofsky Charlies Körper auf einer dritten Ebene als eine Art wandelndes Horrorkabinett in Szene setzt. Vor allem in der ersten Filmhälfte verweilt die Kamera oft minutenlang auf Charlies Körper oder Teilen davon, während dieser isst, sich wäscht, sich mühevoll aus dem Sofa hievt, masturbiert. Stets ist Charlie schweißgebadet, seine Kleidung ist schmutzig, er erstickt fast als er ein Stück Sandwich quasi ungekaut herunterschluckt. Solche Momente sind stets mit einem bedrohlich klingenden Soundtrack unterlegt. Eine würdevolle Darstellung von Adipositas sieht anders aus.

„People with obesity are generally written as bad guys or as punchlines. We wanted to create a fully worked-out character who has bad parts about him and good parts about him (…).“ Mit diesen Worten verteidigte Aronofsky sich im Gespräch mit Yahoo Entertainment gegenüber dem Vorwurf der Dickenfeindlichkeit. Dass Charlie weder als Punchline noch als Bösewicht fungiert, mag zwar stimmen, was Aronofsky jedoch ausblendet ist das Klischee von Dicksein als etwas Monströsem.

Aronofsky mag gute Intentionen gehabt haben, seine Auseinandersetzung mit der filmischen Darstellung dicker Menschen scheint aber nur oberflächlich gewesen zu sein. Ansonsten hätte er es sich wohl zweimal überlegt, bevor er seinem Hauptdarsteller für die Rolle ein Fatsuit anfertigen ließ. Diese Praxis ist nicht nur deshalb problematisch, weil sie es dicken Schauspieler*innen schwerer macht, eine Rolle zu ergattern: Sie reproduziert die Vorstellung, dass sich in jeder dicken Person eine schlanke befindet, die nur darauf wartet, befreit zu werden.

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie Aronofsky die ausbeuterische Darstellung dieser Figur mit einem empathischen Porträt verwechseln konnte. Zwar wird thematisiert, dass Charlie eine Essstörung hat. Statt aber Verständnis dafür zu schaffen, wird jeder Bissen, den Charlie tätigt, zu einem ekelerregenden Spektakel stilisiert. „Hör bloß auf zu essen, du bist doch schon dick genug“, scheint der Subtext jener Szenen zu lauten.

Alles in allem ist „The Whale“ nicht viel mehr als „misery porn“ mit schlecht geschriebenen Dialogen. Die vereinzelt guten Schauspielleistungen sind da nur ein schwacher Trost.

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