Impfpflicht: Torpedierte Debatte

Unabhängig davon, wie man persönlich zur Einführung einer Impfpflicht steht, wäre es wünschenswert, die Diskussion darüber ohne Zeitdruck und vor allem auf Basis belastbarer wissenschaftlicher Erkenntnisse führen zu können.

Der Verweis auf die Wirksamkeit der verfügbaren Impfstoffe allein reicht nicht zur Rechtfertigung einer Impfpflicht aus, gilt es doch, auch die damit einhergehenden rechtsstaatlichen Konsequenzen zu hinterfragen. In der Debatte wird zu Recht allseits auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verwiesen, das zu wahren sei. Leider werden dabei vielfach Argumente in die Diskussion eingeführt, die einer ziel-orientierten Auseinandersetzung nicht unbedingt förderlich sind.

Es wäre fahrlässig, entpuppte die angeführte Zeitnot sich als vorgeschoben.

So ist eine Impfpflicht nicht per se ein Verstoß gegen das universelle Recht auf körperliche Unversehrtheit, wenn sie nachweislich dazu führt, Leben zu retten – weil sie schwere Krankheitsverläufe verhindert oder das Gesundheitssystem vor einer Überlastung und der sich daraus ergebenden Triagesituation bewahrt.

Anders als manche Befürworter*innen der Impfpflicht verlauten lassen, wird diese es aber auch nicht erlauben, am Tag X, womöglich dem ihrer Inkraftsetzung, sämtliche Corona-Maßnahmen auf einmal fallen zu lassen.

Eine allgemeine Impfpflicht ist dann mit rechtsstaatlichen Normen vereinbar, wenn es dafür „einen guten Grund“ gibt. So formulierte es sinngemäß Stefan Braum vergangenen Dezember im „Luxemburger Wort“ zu Beginn der hierzulande doch recht plötzlich entbrannten Diskussion. Seine Zustimmung machte der Rechtswissenschaftler vorrangig an der Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems fest: Daraus leite sich eine kollektive Verantwortung der einzelnen Bürger*innen ab, denen somit eine Impfpflicht zugemutet werden könnte.

Der Befund, ob und in welchem Umfang ein solcher guter Grund tatsächlich vorliegt, muss allerdings nicht von Jurist*innen, sondern von Naturwissenschaftler*innen und Statistiker*innen gestellt werden. Und dieser Befund scheint sich im Laufe der Zeit, ähnlich wie das Coronavirus selbst, zu wandeln.

Die Belastung der Krankenhäuser und insbesondere der Intensivstationen sollte zudem nicht allein auf Basis der belegten Betten bemessen werden. Denn es sind ja nicht mehr nur die vielen eingelieferten Ungeimpften (neben den proportional zwar unterrepräsentierten, aber doch vorhandenen Geimpften), die das Gesundheitssystem derzeit ans Limit führen, sondern vor allem auch die sich omikronbedingt häufenden Ausfälle beim betreuenden Personal. Dass gegen diesen Umstand eine Impfpflicht wenig ausrichten kann, meinen inzwischen auch betroffene Ärzt*innen, die sich bereits seit Beginn der Krise vor allem eine personelle Verstärkung ihrer Abteilungen gewünscht hatten.

Foto: Pixnio

Die neue (zumindest momentan) weniger akute, wenn auch nicht unbedingt weniger angespannte Situation, die Omikron mit sich bringt, sollte daher dazu genutzt werden, das Prinzip einer generellen Impfpflicht auszudiskutieren und die dafür notwendigen legalen Voraussetzungen festzulegen.

Deshalb ist es bedauernswert, dass ausgerechnet das Komitee der medizinischen Experten mit der Vorgabe, die Impfpflicht ab 50 sowie für bestimmte Berufsgruppen einzuführen, diese grundsätzlichen Aspekte einer Debatte torpediert hat. Der Entscheid für eine vermeintlich weniger drastische, leichter durchsetzbare Variante der Impfpflicht löst nicht die zahlreichen sich daraus ergebenden Folgeprobleme. Wie beispielsweise soll die Impfpflicht kontrolliert werden, von der Verfolgung bis hin zur Ahndung derer, die sich ihr nicht beugen wollen?

Es ist zu befürchten, dass die parlamentarische Kärrnerarbeit und das Überprüfen auf Hieb- und Stichfestigkeit einer Gesetzesvorlage, die nur zu einer „milden“ Variante der Impfpflicht führt, wesentlich laxer gehandhabt wird, als dies bei einer allgemeinen Verpflichtung der Fall wäre. Handeln im Affekt, wenn es darum geht, Prinzipien, wie die persönliche Zustimmung zu medizinischen Eingriffen, wenn nicht gar abzuschaffen, so zumindest doch zu relativieren, wäre gefährlich. Es wäre gar fahrlässig, wenn die als Begründung angeführte Zeitnot sich als vorgeschoben entpuppte.


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