Italien: Salvinis Siegeszug

An der Regierung ist er nicht mehr beteiligt, dennoch scheint der Aufstieg des Rechtsbündnisses um Matteo Salvini unaufhaltsam zu sein. Dabei zeigt sich: Der „Lega“-Chef beherrscht den digitalen Populismus weit besser als etwa die einstigen Partner vom „Movimento 5 Stelle“.

Ein Clown tritt ab: Zwar hat Beppe Grillo im vergangenen Oktober noch das zehnjährige Jubiläum der von ihm mitbegründeten „5-Sterne-Bewegung“ gefeiert, doch deren Wähler laufen mittlerweile in Scharen zur rechten „Lega“ von Matteo Salvini über. (Foto: EPA-EFE/Ciro Fusco)

Ein seltsam buckliger und schlecht geschminkter Joker dreht sein zur Grimasse verzerrtes Gesicht in die Kamera und verkündet dem Publikum: „Ich bin das Chaos, das wahre Chaos bin ich.“ Es klingt weniger nach einer Drohung, eher nach einer Beschwörung.

Auf der Feier zum zehnjährigen Bestehen des „Movimento 5 Stelle“ (M5S) Mitte Oktober in Neapel präsentierte sich Beppe Grillo in einem kurzen Videoclip in seiner angestammten Rolle als Komiker. Diese hatte er hinter sich gelassen, um mit vulgären Tiraden gegen das politische Establishment den Unmut der Massen zu schüren. Als Politclown war er zur populär-populistischen Identifikationsfigur geworden. Anders als in Todd Philipps „Joker“-Verfilmung entlud sich der Volkszorn jedoch nicht in Gewalt, sondern schien sich unter der Führung des M5S in Regierungshandeln umlenken zu lassen.

Doch Grillos Auftritt war weder zum Lachen noch war der von ihm begründeten Bewegung nach Feiern zumute. Denn das (Selbst-)Bild der Fünf-Sterne-Bewegung als postideologisches Bollwerk gegen rechtspopulistische Bewegungen hat sich spätestens seit der einjährigen Regierungskoalition mit der „Lega“ als Trugschluss erwiesen. Grillo hat seine Popularität an einen Helden verloren, der seine Aggressivität nicht mit einer Clownsmaske tarnt.

Ungeschminkt präsentiert sich Matteo Salvini, der Vorsitzende der „Lega“, als Chef einer souveränistischen Rechten. Als er im August die Koalition aufkündigte, in der Erwartung in vorgezogenen Neuwahlen die „volle Macht“ erringen zu können, gab Grillo über seinen Blog dem M5S den Auftrag, mit dem bisher erbittert bekämpften „Partito Democratico“ (PD) eine neue parlamentarische Mehrheit zu bilden und damit den Machtplan des populistischen Konkurrenten zu vereiteln.

Vor zwei Wochen zeigte der Ausgang der Regionalwahlen in Umbrien, dass dieses Manöver Salvinis politischen Aufstieg zwar kurzfristig aufhalten, seine Popularität aber nicht verringern konnte. Das Rechtsbündnis gewann mit 57 Prozent deutlich vor dem Wahlbündnis aus den in Rom regierenden Parteien. Innerhalb der Rechten dominierte die „Lega“ mit 37 Prozent, die neofaschistischen „Fratelli d’Italia“ kamen auf 10 Prozent. Berlusconis rechtsliberale „Forza Italia“, die das Rechtsbündnis einst begründete, schrumpfte mit fünf Prozent auf die Größe einer freien Wählerliste.

Die souveränistische Rechte ist nun in nahezu allen Kommunen der kleinen mittelitalienischen Region stärkste Partei. Den größten Stimmenzulauf bekam die „Lega“ aus der Wählerschaft des M5S, der im Vergleich zu den Parlamentswahlen im Frühjahr 2018 zwei Drittel an Zustimmung verlor und nur noch auf sieben Prozent kam.

Der Wahlsieg des Rechtsbündnisses in Umbrien war von allen politischen Beobachtern prognostiziert worden, auch die Dimensionen des Triumphs waren wenig überraschend, denn Salvinis Wahlkampftour läuft seit Monaten auf Hochtouren. Täglich werden Millionen Follower über Facebook, Instagram und Twitter mit über einem Dutzend Kommentaren, Fotos und Videoclips versorgt. Die zahllosen Kundgebungen und TV-Auftritte des „Lega“-Chefs werden somit in Dauerschleife präsentiert.

Salvini beherrscht den digitalen Populismus weit besser als der M5S, der als Politmarke des Webunternehmens „Casaleggio Associati“ gegründet wurde und die Utopie einer webbasierten Direktdemokratie verfolgt. Salvini bedient mit seiner digitalen Präsenz die passiven Nutzergewohnheiten seiner Anhängerschaft, bleibt zugleich aber auch analog präsent. Länger als jede seiner Wahlkampfreden ist inzwischen die Zeit, die sich der „Capitano“ für ein Selfie mit den Fans nimmt.

Grillo hat seine Popularität an einen Helden verloren, der seine Aggressivität nicht mit einer Clownsmaske tarnt.

Mit diesem militärischen Titel, der in neofaschistischen Kreisen lange nur altgedienten Kameraden vorbehalten war, wird Salvini inzwischen in fast allen Medien ohne Anführungszeichen bezeichnet. Für entsprechend wenig Aufregung sorgte daher die Teilnahme selbsternannter „Faschisten des dritten Jahrtausends“ um deren Zentrum „CasaPound“ an einer in Rom organisierten Großdemonstration des Rechtsbündnisses eine Woche vor den Wahlen im Umbrien.

Erst im Sommer hatte die neofaschistische Bewegung angekündigt, nicht mehr als Partei zu Wahlen anzutreten, sodass die Mitglieder zukünftig „Lega“ oder „Fratelli d’Italia“ wählen können. Stolz beansprucht Simone Di Stefano, Vizepräsident der „CasaPound“, einen Teil des Erfolgs der souveränistischen Rechten für seine Bewegung, schließlich habe sich die „Lega“ mit „Prima gli italiani“ („Italiener zuerst“) einen zentralen Slogan der „CasaPound“ auf die Fahnen geschrieben.

Für Salvini spiegelt der Ausgang der Wahlen in Umbrien die Stimmungslage im ganzen Land wider. Er spekuliert auf weitere Siege bei den im Januar anstehenden Regionalwahlen in der Emilia-Romagna und in Kalabrien. Auf Dauer dürfte es dann für die Regierung schwer werden, sich in Opposition zur souveränistischen Mehrheit in den Regionen im Amt zu halten.

Angetreten mit dem Vorsatz, eine „antifaschistische Front“ gegen Salvinis Rechte zu bilden, hat sich die Regierung bisher einzig mit koalitionsinternen Profilierungskämpfen hervorgetan.

Nur wenige Tage nachdem die neue Regierung vereidigt war, verließ der ehemalige PD-Vorsitzende, Matteo Renzi, die Demokraten und rief mit „Italia Viva“ (IV) seine eigene Partei ins Leben. Die neue Formation bildet seither eine Art regierungsinterner Opposition. Denn einerseits gehört die Partei zur Regierung, weil zwei Ministerinnen, die als PD-Vertreterinnen ins Amt kamen, dann aber IV beitraten, ihre Ämter nicht niedergelegt haben. Andererseits inszeniert sich Renzi in TV-Duellen wie „Matteo versus Matteo“ zur besten Sendezeit mit macronistischer Verve als politischer Gegenspieler von Salvini. Da noch offen ist, wann „Italia Viva“ erstmals zu Wahlen antreten wird, stärkt die mediale Inszenierung bisher allein das Ego des einen wie des anderen.

Entscheidend ist, dass sich die beiden großen Koalitionspartner, M5S und PD, bisher auf kein gemeinsames Regierungsprogramm einigen können, zumal sich beide Parteien grundsätzlich neu ausrichten müssten, wenn sie wirklich die im Sommer beschworene Einheitsfront gegen die Rechten bilden wollten.

Als Grillo in der Maske des „Joker“ seiner Anhängerschaft auf der Jubiläumsfeier „ich bin das Chaos“ zugeraunt hatte, war das durchaus treffend, denn in ein solches hat der Begründer der Fünf Sterne die Bewegung mit seinem verordneten Koalitionswechsel tatsächlich gestürzt. Der Joker ist jedoch nicht nur einer, der Chaos verursacht, er ist auch beliebig einsetzbar und Grillo scheint nun alles für eine Regierung mit dem PD aufs Spiel setzen zu wollen. Damit stellt er den M5S vor eine Zerreißprobe: Die rechte Wählerbasis wandert zur „Lega“ und den „Fratelli d’Italia“ ab.

Auch die Parlaments- und Senatsfraktion lässt sich mit der Parole „Weder rechts noch links“ nicht mehr zusammenhalten. M5S-Sprecher Luigi Di Maio verliert an Rückhalt. Er kämpfte lange um den Erhalt der Koalition mit der „Lega“ und betont noch heute, immerhin im Amt des Außenministers der neuen Koalition, die Abgrenzung zum PD. Dieser Haltung hat Grillo zum Jubiläum der Bewegung eine Absage erteilt: Wer immer nur daran festhalte, auf den PD zu schimpfen, dem schleudere er ein „Vaffa“ („Leck’ mich“) entgegen, also just jenen Kraftausdruck, mit dem der „Movimento“ in seiner Gründungsphase die linken Regierungsparteien bedacht hatte.

Zugleich steht dem von Grillo zum Bündnispartner erkorenen PD selbst ein Identitätswechsel bevor: Die Demokraten müssten Renzis Abspaltung für eine sozialdemokratische Neuausrichtung nutzen, mit den verschiedenen linken Splitterparteien und lokalen Basisgruppen kooperieren und versuchen ein neues Linksbündnis zu begründen, das die ursprünglichen fünf Sternchenthemen des „Movimento“ aufgreift, unter anderem eine nachhaltige Energie- und Verkehrspolitik und verstärkten Umweltschutz. Doch stattdessen werden bereits Minimalmaßnahmen, wie die Besteuerung von Plastikverpackungen, regierungsintern so kontrovers diskutiert, dass es der Diffamierung der Gesetzesvorlage durch die Opposition schon nicht mehr bedarf.

Darüber hinaus ist die von Nicola Zingaretti, dem Vorsitzenden des PD, im Sommer als Voraussetzung für eine erfolgreiche Regierungsarbeit geforderte „Diskontinuität“ zur Vorgängerkoalition aus M5S und „Lega“ nie eingeleitet worden. Vielmehr reichen die Kontinuitäten über die Person des Ministerpräsidenten Giuseppe Conte weit hinaus: Am Wochenende wurde das umstrittene Abkommen mit Libyen zur wechselseitigen Unterstützung im Kampf gegen „Schlepperbanden“ und zum Schutz der nationalen Grenzen trotz des Protests zahlreicher italienischer und internationaler Hilfsorganisationen nicht aufgekündigt, sondern mit der Beteuerung, man werde sich um eine Verbesserung der Situation in den libyschen Flüchtlingslagern bemühen, um weitere drei Jahre verlängert.

Auch die von Salvini in seiner Funktion als Innenminister durchgesetzten sogenannten „Sicherheitsdekrete“ sind unverändert in Kraft. Rettungsschiffe, wie zuletzt die „Ocean Viking“ und die „Alan Kurdi“, warten deshalb weiterhin oft tagelang auf die Einfahrt in einen italienischen Hafen. Vergangene Woche wurde auf Initiative der 89-jährigen Liliana Segre, einer Senatorin auf Lebenszeit, die als Jugendliche das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau überlebte, eine Kommission des Senats zur Bekämpfung von antisemitischen, rassistischen und ultranationalistischen Hasskommentaren in digitalen Medien eingerichtet. Dass sich die rechten Oppositionsparteien bei der Abstimmung enthielten, vereinte die Regierung für einen kurzen Moment in der Empörung.

Die Verrohung und Gewalt in der medialen Kommunikation zu dokumentieren und gegebenenfalls zur Anzeige zu bringen, ist zwar ein notwendiger, aufgrund der schwierigen Strafverfolgung jedoch eher symbolischer Akt. Eine Gesetzesinitiative unter dem Titel „ius culturae“, die für migrantische Jugendliche nach Abschluss der Primar- bzw. Sekundarstufe eine konkrete Erleichterung der Einbürgerung bedeuten würde, ruht dagegen in den parlamentarischen Kommissionen, da sie für die Regierung „keine Priorität“ besitzt. Faktisch steht Grillos Joker also für die Politik der Vorgängerregierung und der PD spielt die Maskerade mit.

Catrin Dingler ist Sozialwissenschaftlerin und Autorin; sie lebt zwischen Wuppertal und Rom.

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