Jahr des Kaninchens: China-Dilemmata

Leben (und Sterben) mit Covid ist angesagt, gehofft wird auf Wirtschaftswachstum. Doch wie die Rückkehr Chinas zur „Normalität“ verläuft, hängt auch von politischen Entscheidungen ab – dort und hier.

Hier kommt das Kaninchen, eines der Tiere des chinesischen Horoskops. (Wikimedia; LilianBriot; CC BY-SA 4.0)

Was bringt das neue Jahr? In China und in Ostasien stellt sich diese Frage mit etwas Verspätung, denn das Mondjahr beginnt 2023 erst am 22. Januar. Wörter wie Krankheit oder Tod am Neujahrstag auszusprechen, bringt Unglück, doch im Vorfeld kann man das große Thema des Jahres zur Sprache bringen: die Rückkehr der Covid-Epidemie in ein nach drei Jahren „zero Covid“-Politik schlecht vorbereitetes Reich der Mitte.

Nach mehreren Wochen chaotischem Krisenmanagement Anfang 2020 hatte die Regierung in Beijing ab März erfolgreich versucht, die Ansteckungen niedrig zu halten. Möglich war das durch eine strikte Kontrolle der Bevölkerung, drastische Maßnahmen bei Ausbrüchen und strenge Einreiseregelungen. Die Auswirkungen auf die Wirtschaft waren in der Summe weniger negativ als die typischen europäischen Maßnahmenpakete zum „Abflachen der Kurve“. Sie hielten allerdings auch länger an und erzeugten Unsicherheit, insbesondere durch die der Omikron-Variante geschuldeten, immer häufigeren lokalen Ausbrüche seit März 2022.

Wie viel Entglobalisierung?

Durch die Entscheidung, ab 2023 „mit Covid zu leben“, hat sich die Situation in China gewissermaßen normalisiert – sieht man von den vielen Krankheitsausbrüchen ab. Auslandsreisen und Rückkehr sowie die Einreise nach China sind jetzt wieder möglich. Dem stehen derzeit allerdings die Einreisebeschränkungen in den westlichen Ländern entgegen, eine Vorsichtsmaßnahme angesichts der hohen Fallzahlen in China. Die große Sorge ist, dass sich hierdurch neue, gefährliche Varianten bilden und eine weitere weltweite Infektionswelle auslösen. Wahrscheinlich wird sich aber das Infektionsgeschehen stabilisieren und bis Mitte des Jahres eine wirkliche Rückkehr zur Normalität ermöglichen.

„Chinas erneute Öffnung wird das größte wirtschaftliche Ereignis von 2023 sein“, schreibt jedenfalls der Economist. Der globalen Wirtschaft, der sowohl der Konsum als auch die Produktion Chinas gefehlt haben, wird das guttun. Allerdings warnt das Wirtschaftsmagazin auch vor „Nebenwirkungen“. Es prognostiziert eine weitere Beschleunigung der Inflation und insbesondere einen Anstieg der Energiepreise. 2022 habe Europa von Chinas Schwierigkeiten profitiert, weil durch diese die Nachfrage nach Öl und vor allem Gas relativ niedrig gewesen sei – damit dürfte es nun vorbei sein.

Moment mal, sollte nicht als eine der wertvollen Lehren aus der Covid-Krise die große Entglobalisierung, und insbesondere die Entkopplung von China in Angriff genommen werden? Umso mehr, als seit 2020 die Welt auf die Unterdrückung der uigurischen Minderheit aufmerksam wurde und Beijing weder den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilt noch sich an den westlichen Sanktionen beteiligt hat. Doch seit Anfang 2022 stand der Abbau der energetischen Abhängigkeit von Russland im Vordergrund, der allerdings weniger durch den Ausbau erneuerbarer Energien als durch die Etablierung neuer Abhängigkeiten von den USA, Katar, Algerien, Aserbaidschan und Nigeria erfolgte. Manche Konzerne haben mittlerweile tatsächlich ihre Produktion aus China delokalisiert, was aber wohl mehr mit den Covid-Komplikationen am ursprünglichen und den niedrigeren Löhnen am neuen Standort zu tun hat als mit „social responsibility“. Nicht zuletzt warnen Expert*innen im Falle einer konsequenten Relokalisierung vor dem Risiko einer massiven Verteuerung der Konsumprodukte und den damit einhergehenden sozialen Verwerfungen.

Was derzeit die Rolle von China in der Weltwirtschaft am meisten bedroht, sind nicht die Appelle zur Relokalisierung, sondern die von Donald Trump initiierten und von Joe Biden beibehaltenen Strafzölle zur Bevorteilung der eigenen Industrie. Neben dem Protektionismus spielt auch die Geostrategie eine Rolle: Der neue Präsident hat den Export von Mikrochips nach China eingeschränkt. Dieser Handelskrieg heizt politische, ökonomische und gesellschaftliche Prozesse an, an deren Ende ein regelrechter kalter Krieg stehen kann.

Auch auf chinesischer Seite fehlt es nicht an Signalen, die auf einen Konfrontationskurs deuten – auch dort bis tief in die Gesellschaft hinein. Relativ harmlos mag der neue Konsum-Patriotismus erscheinen, durch den Markenprodukte wie die „White Rabbit“-Bonbons eine Renaissance erleben, passend zum anstehenden „Jahr des Kaninchens“. Symbolcharakter hat die das chinesische Internet bewegende Kontroverse über zwei in einem amerikanischen Zoo erkrankte Pandabären, die nach China zurückgekehrt sind. Immerhin sind diese Tiere ein wichtiges Instrument zur Pflege von Chinas internationalen Beziehungen, als Panda-Diplomatie bekannt. Noch tiefer gehen Diskussionen wie die über den Stellenwert des Englischunterrichts: Nationalist*innen befürworten eine Zurückstufung – im Namen der Entlastung der Schüler*innen –, es handelt sich aber eher um den Versuch, die Kontakte der Gesellschaft zum Ausland weiter einzuschränken.

Expansions- und Extinktionsträume

Unter chinesischen Intellektuellen besteht ein Konsens, dass das Land nach der Überwindung der Demütigungen der Vergangenheit jetzt wieder eine weltpolitische Rolle zu spielen habe. Ob die allerdings im Einsatz für einen – chinesisch geprägten – Universalismus oder in der Durchsetzung der nationalen Interessen im Namen der zivilisatorischen und machtpolitischen Überlegenheit besteht, darüber wird gestritten, wie ein Beitrag im Monde diplomatique von Januar beschreibt. Sofern sie nicht die Herrschaft der Partei in Frage stellen, können sich auch Stimmen artikulieren, die vor der nationalistischen Hybris warnen und auf Aspekte wie die ungelösten sozialen Fragen und das Geburtendefizit hinweisen, die als Schwächen empfunden werden.

Warnende Diskurse im Westen basieren häufig auf dem Paradigma der Thukydides-Falle: In Anlehnung an den griechischen Historiker des Krieges zwischen Sparta und Athen geht man davon aus, dass die Konkurrenz zwischen einer etablierten und einer aufstrebenden Großmacht große Chancen hat, in einen Krieg zu münden. Manche Expert*innen leiten daraus die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit China ab, auf den man sich möglichst gut vorbereiten müsse – eine Falle, in der sich beide Seiten gegenseitig bestärken. Andere wiederum befürworten ein behutsames Vorgehen und die Suche nach Kompromissen, weil ein – möglicherweise nuklearer – Krieg dramatische Folgen für die gesamte Menschheit hätte. Infolge des Ukrainekriegs steht Entspannungspolitik derzeit nicht besonders hoch im Kurs – der Westen versucht eher, Verbündete für das große Duell zu gewinnen, zum Beispiel die Atommacht Indien, die mit China über Grenzziehungen im Himalaya streitet. Atomwaffen werden ihrerseits eher als Lebensversicherung denn als tickende Zeitbombe gesehen, weshalb an der Ostgrenze Chinas Länder wie Japan und Südkorea laut über eine Nuklearisierung nachdenken.

Wahrscheinlichster Auslöser für einen Krieg der Großmächte ist allerdings der Konflikt um die Insel Taiwan. Anders als in westlichen Mainstream-Medien dargestellt, steht keineswegs die gesamte Inselbevölkerung hinter der Idee, sich offiziell von „China“ unabhängig zu erklären – das hat das Ergebnis der Lokalwahlen Ende November gezeigt. Würde die Volksrepublik aber versuchen, die De-facto-Unabhängigkeit mit Waffengewalt zu beenden, so dürfte die große Mehrheit der Bevölkerung sich dem widersetzen. In den letzten Jahren mehren sich die Stimmen in den USA, die für diesen Fall nicht nur Waffenlieferungen, sondern den Einsatz der eigenen Streitkräfte fordern, was zu einem „pazifischen“ oder weltweiten Konflikt führen könnte. Doch schon ein auf Taiwan begrenzter, konventioneller Krieg zwischen China und den USA hätte gravierende Folgen, glaubt man einer Studie des Center for Strategic and International Studies: Zwar würde die Invasion Taiwans wahrscheinlich abgewehrt, doch die Verluste aller Beteiligten wären sehr hoch.

Vielleicht trägt die Studie ja dazu bei, dass es 2023 noch nicht zu einem offenen Krieg mit China kommt. Tote wird es trotzdem viele geben – bis zu 1,5 Millionen Covid-Opfer, hat der Economist geschätzt. Das, und die erratische Covid-Politik der Vergangenheit, dürften das Vertrauen in Xi Jinping und die Partei untergraben, vor allem wenn es wirtschaftlich bergab statt bergauf gehen würde. Weitere Proteste wie die, die zur Abkehr von „zero Covid“ geführt haben, könnten zum Sturz Xis und zur Wiederkehr einer Art Ältestenrat der Partei-Oligarchen führen – oder zum Rückfall in ein Modell absoluter Kontrolle und internationaler Isolation.


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