Klimakrise: Eine bessere Welt erträumen

Hoffnungslosigkeit ist die logische Reaktion angesichts der Klimakrise. Soll sie verhindert werden, müssen Utopien her.

Kirchberg als Öko-Utopie? So will es zumindest das Mobilitätsministerium verkaufen – die Realität sieht wohl etwas dystopischer aus. (Illustration: Ministère de la Mobilité et des Travaux publics)

Die Klimakrise ist keine schöne Zukunftsvision. Wenn die nackten Zahlen, wie sie etwa der UN-Klimarat IPCC in diversen Szenarien veröffentlicht, mit erklärenden Worten ausgeschmückt werden, wird ganz schnell klar, dass wir gerade auf eine dystopische Zukunft zusteuern, die „Mad Max“ wie einen All-Inclusive-Urlaub aussehen lassen wird. In einem Business-as-usual-Szenario werden am Ende dieses Jahrhunderts die Regionen um den Äquator unbewohnbar, die meisten Städte der Erde viel zu heiß für menschliches Leben, der CO2-Gehalt in der Atmosphäre so hoch, dass die Denkfähigkeit der Menschen sinkt, Konflikte um Lebensmittel und Trinkwasser allgegenwärtig sein und heutige Küstenregionen unter dem Meeresspiegel liegen. In heute schon heißen Regionen werden aufgrund von Hitze und Wassermangel Nierenleiden allgegenwärtig sein, während in den auftauenden Permafrostböden womöglich uralte Krankheitserreger lauern, gegen die der heutige Mensch keinerlei Resistenzen hat.

Es muss also niemand verwundert sein, dass Jugendliche dafür demons-
trieren, die Klimakrise noch rechtzeitig einzudämmen – die Auswirkungen, die sie bei den bisher bereits in der Atmosphäre freigesetzten Treib-
hausgasen spüren werden, sind schon schlimm genug. Aber reicht es, den Teufel an die Wand zu malen? Vielleicht täte sich die Klimabewegung ja leichter, wenn es mehr post-carbon-Utopien gäbe, in denen Zukunftsvisionen für jene, die noch nicht aufgegeben haben, beschrieben werden.

Mad Max im Solarmobil

Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, die nicht mehr auf fossilen Energien aufgebaut ist? In den letzten Jahren hat sich ein neues Fiktionsgenre und eine kleine, aber aktive Gemeinde um diese Frage herum entwickelt: Solarpunk. Der Begriff hat nicht unbedingt etwas mit Punk zu tun, sondern leitet sich von Steampunk ab. Das ist eine Subkultur, deren Ästhetik die Anfänge des industriellen Zeitalters einfängt und in eine retrofuturistische Zukunft imaginiert. Diese besteht dann vor allem aus viktorianischer Kleidung, Zahnrädern, Dampfmaschinen, Messing und etwas Verklärung einer Vergangenheit, die so nie war. Wer ein Treffen dieser Menschen beobachten will, hat dieses Wochenende im Fond-de-Gras Gelegenheit dazu.

Der Begriff Steampunk leitet sich von Cyberpunk ab – jenem Genre, das in den 1980er-Jahren entstand und in dem tatsächlich so etwas wie Punks mit den Wirren des Cyberspace zu kämpfen hatten. Solarpunk hat noch keine reichhaltige literarische Tradition oder gar Filme, Serien und Computerspiele, auf die sich die Bewegung berufen kann. Eine Sammlung von Solarpunk-Texten ist bisher in Buchform erschienen, ansonsten ist dieses Genre vor allem online anzutreffen. Spielt bei Steampunk die Dampfmaschine eine entscheidende Rolle, so fußen die Zukunftsvisionen, die bei Solarpunk beschrieben werden, auf erneuerbaren Energien. Visuell lehnt sich das Genre oft an die Ästhetik des Jugendstils an.

Aber auch abseits von Fiktion vereinigen sich hinter dem Begriff Menschen, die eine gemeinsame Vision für die Zukunft teilen – mehr oder weniger die Definition einer Utopie also. Der Fokus liegt auf nachhaltigen, zukunftsfähigen Konzepten des Zusammenlebens und -arbeitens. Eine recht aktive Gemeinschaft ist sunbeam.city, eine Kooperative, die online mehrere Alternativen zu traditionellen sozialen Netzwerken bereitstellt und Wissen zu Themen wie Energieerzeugung, Ackerbau, Hausbau, Organisationsstrukturen, Transportsystem, aber auch Gewerkschaftsarbeit sammelt und verbreitet.

Offline, wenn die Sonne 
nicht scheint

Eine andere Onlinepublikation, die sich besonders kritisch mit Technologie beschäftigt, ist das „Low Tech Magazine“. Der Ansatz ist denkbar einfach, aber dennoch verblüffend: Oft ist altbewährte Technik viel nachhaltiger als vermeintliche „high tech“. Eine Erkenntnis, die beim Fahrrad als Transportmittel bereits in vielen Köpfen angekommen ist, könnte in anderen Bereichen ebenfalls für ökologische Revolutionen sorgen.

Der Server des Magazins steht in Barcelona und wird lediglich von einer Solarzelle und einer Batterie mit Strom beliefert – ist letztere leer, geht die Website offline und ist erst wieder erreichbar, wenn die Sonne wieder scheint. Die Website ist für niedrigen Energieverbrauch optimiert, das Layout schlicht, die Bilder sind schwarz-weiß. Eventuell bedeutet eine ökologische Utopie nicht nur Lieferungen mit Lastenfahrrädern und beheizbare Kleidung (statt Räume), sondern auch, dass nicht immer alles so verfügbar ist, wie wir es heute gewohnt sind.

Andere utopische Ansätze für eine post-fossile Welt hat etwa die Soziologin Lisa Garforth von der Newcastle University in ihrem Buch „Green Utopias“ zusammengetragen. Im Interview mit dem Internetportal Sociology Lens beschreibt sie, dass in utopischer Literatur oft Ansätze radikaler Ökologie zu finden sind. Es sei allerdings wichtig einzusehen, dass wir nicht mehr „zurück zur Natur“ oder einem romantischen Ursprungszustand könnten.

Sozialismus im Anthropozän

Im Anthropozän, der durch die Menschheit geprägten geologischen Epoche, gibt es kein Zurück zu einer vermeintlich unberührten Natur. Ökologische Utopien sind für Garforth eine Möglichkeit, trotz den düsteren Aussichten der Klimakrise und des Massenartensterbens hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Die Soziologin hat in ihrem Werk vor allem Science-Fiction-Literatur untersucht, zum Beispiel Werke der renommierten Autorinnen Ursula K. Le Guin und Octavia E. Butler.

Die Analyse fiktiver Welten, in denen eine ökologische Transition bereits geglückt ist, kann zum Nachdenken anregen, wie eine Welt aussehen könnte, in der keine fossilen Brennstoffe mehr benutzt werden. Während wir sehr genau wissen, wie die Dystopie der Klimakrise aussehen wird, ist es schwierig, sich die Alternative vorzustellen. Vor allem, wenn es eine Spielart des Kapitalismus sein soll, die plötzlich nicht mehr auf ewigem Wachstum und Ausbeutung aller irdischen (oder gar galaktischen) Ressourcen fußt.

Der australische Anthropologe Hans Baer hat Anfang des Jahres ein Buch mit dem Titel „Democratic Eco-Socialism as a Real Utopia“ veröffentlicht, in dem er die Grundzüge dessen beschreibt, was als Kampf für Ökosozialismus durchgehen könnte. Er fordert explizit dazu auf, neue linke Parteien zu gründen, um ein nachhaltiges Wirtschaftssystem zu forcieren. Die Idee klingt ja eigentlich logisch: Über drei Jahrzehnte lang wurde versucht, die Klimakrise mit den Mitteln des freien Marktes einzudämmen – und es hat trotz ausgeklügelter Emissionshandelssysteme nicht gefruchtet. Warum nicht eine Welt und ein Politiksystem erträumen, die wirklich soziale und ökologische Nachhaltigkeit schaffen? Diese Überlegung liegt in etwas abgespeckter Form auch dem „Green New Deal“, der von einigen linken US-Demokrat*innen vorgeschlagen wurde, zugrunde.

Real existierende Öko-Utopie

Wer nicht auf die ökosozialistische Revolution warten will – oder überhaupt nicht so viel mit der Idee eines mächtigen Staates anfangen kann, sucht eventuell nach Möglichkeiten, grüne Utopien so schnell wie möglich zu leben. Sogenannte Ökodörfer werden zumindest von ihren Bewohner*innen oft als real existierende Utopien angesehen. Ein Ökodorf ist eine Gemeinschaft, die sich bewusst zusammenfindet und nach nachhaltigen Kriterien zusammenlebt. Ob traditionelles Dorf oder Siedlungen, die modernste Technologien einsetzen: Entscheidungen werden partizipativ getroffen. Oft müssen Mitglieder auch eine bestimmte Anzahl an Stunden freiwilliger Arbeit leisten, etwa auf gemeinsam bewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen.

Das Zusammenleben in ruralen Gemeinschaften – und regelmäßige Plenen – sind für einige vermutlich eher eine Dys- als eine Utopie. Allerdings ließen sich die Prinzipien von Ökodörfern nach einem nötigen ökologischen Umbau sicherlich auch in Städten verwirklichen. Auch in fiktiven Werken kommen sich bewusst zusammenfindende Gemeinschaften immer wieder vor. Das Rollenspiel „Dream Askew“ von Avery Alder spielt mit dieser Idee: Die Spieler*innen simulieren das Leben in einer queeren Enklave in einer postapokalyptischen Welt. In ein paar Jahrzehnten ist diese Vorstellung vielleicht gar nicht mehr so sehr von real existierenden Ökodörfern zu unterscheiden.

Es gibt viele Ansätze, wie ökologische oder „grüne“ Utopien aussehen könnten. Was bisher noch fehlt, ist eine einheitliche Vision, die die Linke, ob Partei, Gewerkschaft oder Klimabewegung, propagieren könnte. Die Klimaproteste an diesem Freitag, bei denen das große Bündnis „United for Climate Justice“ zum ersten Mal gemeinsam auf die Straße geht, könnte den Anlass geben, eine gemeinsame Utopie zu entwickeln. Die deutsche Politikerin Julia Schramm (Die Linke) twitterte am vergangenen Dienstag „Wenn Greta Marx entdeckt, seid ihr geliefert“ – nachdem die junge Klimabewegung bereits nach wenigen Monaten nicht mehr an individualistische Lösungen glaubt, dürfte das eigentlich nicht mehr allzu lange dauern.

Climate Diary

Während der Week for Future berichtete ein Aktivist von Youth for Climate jeden Tag von den laufenden Aktionen, erklärte die Klimakrise und informierte darüber, was die jugendliche Klimabewegung eigentlich genau will. Dabei thematisiert er nicht nur seine Hoffnungen, sondern auch die Ängste und Zweifel, die besonders im Hinblick auf die Reaktionen, die Youth for Climate erfährt, aufkommen. Wer einen persönlichen Einblick in die luxemburgische Klimabewegung will, kann die Texte unter forum.lu/climate-diary nachlesen.


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