Ende Oktober zeigt die Escher Kulturfabrik das Theaterstück „4.48 Psychosis“ von Sarah Kane, inszeniert von Sandy Artuso. Im Vorfeld gibt es ein Rundtischgespräch mit Künstlerinnen über den Umgang mit mentaler Gesundheit.
Am Dienstag, dem 10. Oktober, fand der jährliche Welttag für seelische Gesundheit statt. Die Escher Kulturfabrik (Kufa) widmet der mentalen Gesundheit fast den gesamten Monat, denn diese steht gleich drei Mal im Mittelpunkt des Programms. Das hat nicht zuletzt mit dem Theaterkollektiv Independent Little Lies zu tun, das zum Rundtischgespräch über mentale und körperliche Gesundheit in der performativen Kunst sowie an zwei Abenden zum Theaterstück „4.48 Psychosis“ nach Esch einlädt.
Bevor das Publikum sich das Stück der britischen Dramatikerin Sarah Kane ansehen kann, kommt es im Kinosch, dem Kino auf dem Gelände der Kufa, zum Gespräch unter Kunstschaffenden: Am 19. Oktober, ab 19 Uhr, finden sich dort Catherine Elsen, Renelde Pierlot, Jennifer Lopes Santos und Alisha Leyder – allesamt in der performativen Kunst aktiv – zusammen. Zum Thema der Konferenz, heißt es im Veranstaltungstext: „Immer mehr Künstler*innen thematisieren in ihrer Arbeit Gesundheit (…) und kommen dabei auch an ihre eigenen Grenzen – weil die artistische Arbeit immer voraussetzt, dass man sich in die Themen einarbeitet, sich ihnen mit Körper und Seele hingibt und dem Publikum seine Verletzlichkeit zeigt.“ Die eingeladenen Künstlerinnen wollen über ihre eigenen Erfahrungen hierzu sprechen, aber auch darüber, wie sie sich in kreativen Prozessen zu schützen versuchen. Wer zuhören möchte, muss sich per Mail (inscriptions@kulturfabrik.lu) anmelden; der Eintritt ist frei. Das Gespräch ist auf Luxemburgisch, moderiert von Sandy Artuso.
Letztes Werk zum Debüt
Diese ist es auch, die eine Woche danach – und zwar am 27. und 28. Oktober ab 19:30 Uhr – in der Kufa ein Debüt feiert. Es ist das erste Mal, dass die promovierte Literaturwissenschaftlerin alleine Regie führt, selbst wenn sie bereits auf langjährige Erfahrungen als Regieassistentin und Kulturkoordinatorin, unter anderem für Independent Little Lies, zurückblicken kann. So lancierte Artuso beispielsweise 2018 das biennale Festival „Queer Little Lies“ oder leitete im Zuge der Kulturhauptstadt Esch2022 das Projekt „Biergerbühn“. Letzteres bringt Bürger*innen mit Theaterschaffenden zusammen: In wöchentlichen Ateliers werden Jugendliche und Erwachsene an die verschiedenen Bereiche der Theaterwelt herangeführt.
Doch was verbirgt sich hinter dem Theaterstück, das sich Artuso ausgesucht hat? „4.48 Psychosis“ ist das letzte von fünf Theaterstücken der Dramaturgin Sarah Kane, die als eine der radikalsten Vertreter*innen unter modernen britischen Dramatiker*innen und Regisseur*innen betrachtet wird. Der Theaterkritiker Aleks Sierz definierte ihr erstes Stück „Blasted” in dem Sinne als exemplarisch für das „In-yer-face-theater”, eine Art kontroverser Dramen, die im Großbritannien der 1990er-Jahre entstanden und in der junge Dramatiker*innen schockierende, vulgäre Szenen auf die Bühne bringen. In Kanes „Blasted“ geht es um sexualisierte Gewalt, Krieg und Brutalität in zwischenmenschlichen Beziehungen.
In „4.48 Psychosis“ thematisiert sie vor allem die klinische Depression, ein Krankheitsbild, unter dem die Autorin selbst litt. Sie beging 1999 Suizid, anderthalb Jahre bevor das Stück am „Royal Court’s Theater Upstairs” in London uraufgeführt wurde. Suizidgedanken, Fragen nach der medikamentösen Behandlung von Depression, Sehnsüchte, Selbstverletzung und mögliche Ursachen der Erkrankung spielen eine wichtige Rolle im Stück. Hinzu kommen Überlegungen zu Beziehungen, Isolierung, Abhängigkeit und Liebe – alles Sujets, die Kanes Schaffen allgemein geprägt haben.
Scheint sich das Werk thematisch also eher leicht einordnen zu lassen, ließ Kane die Form offen. Bei dem Text handelt es sich um eine Aneinanderreihung diverser Kommunikationsformen, wie Monologe, Dialoge oder Bekenntnisse. Ein zentrales Motiv sind auch Zahlenfolgen, die von Psychiater*innen als Konzentrationstest angewandt werden. Ein spezifisches Setting, eine Rollenverteilung oder Bühnenanweisungen vermerkte Kane nicht.
Während das Stück in der Vergangenheit schon mithilfe von drei Schauspieler*innen inszeniert wurde, entschied sich Sandy Artuso in ihrer Interpretation für eine Solo-Performance der multidisziplinären Künstlerin Catherine Elsen (unter anderem „W.“). Dabei legt Artuso Eigenaussagen nach besonderen Wert auf den Hoffnungsschimmer, der sich trotz belastender Themen durch Kanes Stück zieht. Diese und andere Entscheidungen traf die Regisseurin im Zuge einer Künstler*innenresidenz von ILL.
Das Kollektiv gibt Künstler*innen jährlich die Möglichkeit, sich im Rahmen einer Residenz intensiv mit einem Projekt zu beschäftigen und Konzepte für eine spätere Produktion auszuarbeiten. 2022 erhielt Artuso den Zuspruch. Der Fokus ihres Projekts: die visuelle und performative Inszenierung der Themen, die in Sarah Kanes Werk vorkommen. In dem Kontext nahm die Zusammenarbeit mit Catherine Elsen und Anne Lindner ihren Lauf. Letztere ist eigentlich Malerin, Fotografin und Installationskünstlerin, interessiert sich jedoch seit Kurzem auch für die Bühnengestaltung. Für diese ist sie bei Artusos Inszenierung zuständig.
Nach der Premiere in der Kufa, wandert „4.48 Psychosis“ von Esch ins Düdelinger Kulturzentrum opderschmelz, wo das Stück als Schulvorstellung (10 Uhr) und als Abendveranstaltung (20 Uhr) für alle aufgeführt werden soll. Darüber hinaus ist ein pädagogisches Begleitprogramm für Schulen angedacht, aber auch weitere Rundtischgespräche zum Thema mentale Gesundheit. Genauere Informationen dazu liegen derzeit nicht vor, werden aber in Zukunft auf der Website ill.lu angezeigt werden. Tickets für die Vorführungen in Esch können dort bereits jetzt erworben werden, eine Abendkasse in der Kufa gibt es jedoch auch.