Kulturpolitik: Was die Künstler*innen wollen

Was sagt die Union luxembourgeoise des associations du secteur culturel zum neuen Koalitionsvertrag? Ihre öffentliche Stellungnahme gibt Aufschluss, das Regierungsprogramm macht allerdings wenig Hoffnung.

Über welche kulturpolitischen Gesetze die Abgeordnetenkammer in Luxemburg wohl in den nächsten fünf Jahren abstimmen wird? (COPYRIGHT: Ex13, CC BY-SA 3.0/Wikimedia Commons)

Am Nikolaustag verteilte die Union luxembourgeoise des associations du secteur culturel (Ulasc) weder Ruten noch Geschenke an die neue Regierung, sondern sprach warnende Worte: Letzte Woche kommentierte der Verbund, 2020 als Zusammenschluss der Interessenverbände der Kulturszene gegründet, den Koalitionsvertrag kritisch im Hinblick auf die angestrebte Kulturpolitik.

Neben anderen Aspekten stößt sich die Ulasc an der geplanten Evaluierung des Künstler*innenstatus, die laut Regierungsprogramm in den nächsten fünf Jahren bevorsteht. Letztes Jahr verabschiedete die inzwischen neu zusammengesetzte Abgeordnetenkammer unter anderem ein Gesetz zur Anpassung der Sozialhilfen für freiberufliche Kulturschaffende, auf das sich die Ulasc in ihrer Stellungnahme bezieht.

Die Anpassung brachte nicht nur die Umbenennung der Sozialhilfen in Unterstützungsmaßnahmen mit sich, sondern auch vereinfachte Zugangsprozeduren zu finanziellen Beihilfen, die Erhöhung monatlicher Zusatzgelder sowie einen verlängerten Zeitraum für den Zugriff auf die bewilligten Mittel. Außerdem wurde die Beihilfeberechtigung auf weitere kulturelle Berufsfelder ausgeweitet. Darüber hinaus zählen Weiterbildungen und der Besuch pädagogischer Ateliers seit dem Inkrafttreten des Gesetzes als Arbeitsnachweis im „Carnet de travail“ der Kulturschaffenden, der wiederum digitalisiert wird.

Die Ulasc stand den Gesetzesänderungen vorwiegend positiv gegenüber, wie in ihrem Kommentar dazu nachzulesen ist. „Die Reform trägt zur sozialen Sicherheit der Kulturschaffenden bei und schützt sie vor dem Prekariat“, erinnert der Verbund jetzt in seinem Schreiben zum neuen Koalitionsvertrag. Jede Evaluierung der Reform müsse deshalb mit Wohlwollen geschehen und die ökonomischen Bedingungen der Kulturschaffenden beachten.

Wirtschaft und Publikum „first“?

Das Regierungsprogramm allein gibt keine Auskunft darüber, inwiefern der neue Kulturminister Eric Thill (DP) beziehungsweise die Regierung diesem Anspruch gerecht werden will. Im Kapitel „soutien financier“ ist von den Künstler*innen jedenfalls keine Rede. Stattdessen finden hier die Ankündigung diverser Mechanismen zur Unterstützung des kulturellen Mäzenatentums sowie die Kreation einer Plattform Platz, die den Kultursektor mit dem Wirtschaftsmilieu verbinden soll. Die Kultur wird an der Stelle auch als „vecteur économique“ bezeichnet. Ferner heißt es, die Regierung wolle in dem Sinne eine Studie in Auftrag geben: Diese soll messen, was die Kulturszene zur nationalen Wirtschaft beiträgt. Konkrete Maßnahmen zur finanziellen Unterstützung der Künstler*innen und Kulturschaffenden bleiben derweil unerwähnt.

Zwar spricht sich auch die Ulasc in ihrer Stellungnahme für eine enge Zusammenarbeit zwischen Kultur-, Wirtschafts-, Tourismus- und Bildungsministerium aus, doch beabsichtigt sie einen transparenten und respektvollen Dialog statt einer Analyse der Wettbewerbsfähigkeit des Sektors.

Mehr Daten und Statistiken braucht es laut Ulasc eher im Bereich der Arbeits- und Lebensrealität der Kulturschaffenden. Der Verbund verspricht sich hiervon Lösungsansätze für die faire Entlohnung der Kulturschaffenden und die Erarbeitung geregelter Arbeitskonditionen. Für die Ulasc trägt beides, neben der allgemeinen Wertschätzung aller hauptberuflichen Kulturschaffenden und deren sozioökonomischer Funktion, maßgeblich zur Professionalisierung des Kultursektors bei, eines der Hauptanliegen der Ulasc. Im Koalitionsvertrag wird diese aber explizit nur im Nebensatz „La professionnalisation continuera à être soutenue“ erwähnt.

(COPYRIGHT: Daian Gan/Pexels)

Doch zurück zu den Zahlen: Im Zuge der Umsetzung des Kulturentwicklungsplans 2018 – 2028 (Kep) wurde in den letzten drei Jahren eine „Cellule dʼétudes et de statistiques culturelles“ einberufen; es erschienen Bestandsaufnahmen zur Lage in diversen Kultursparten sowie Auszüge aus der Studie „Lʼemploi du champ culturel: état des lieux statistique“ (Juni 2023). Es liegen also bereits einige Daten zur Kulturbranche in Luxemburg vor. Inwiefern die neue Regierung an diese Bestrebungen anknüpfen will, bleibt bis auf die Wirtschaftsstudie aber ungewiss.

Genauso wie die Antwort auf die Frage, wie die Regierung künftig mit dem Kulturentwicklungsplan verfahren möchte. Im Koalitionsvertrag ist nur die Rede von einer Bewertung „au fur et à mesure“. Eine Aussage, die die Mitglieder der Ulasc scheinbar besorgt, denn sie schreiben: „Wir hoffen, dass die Evaluierung der Umsetzung verschiedener Etappen und Punkte des Keps dienen wird.“ Der Verbund würde es bedauern, wenn die Regierung einen Rückzieher und die Forderungen aus dem Kep nicht weiter verfolgen würde. Immerhin hätten alle Parteien den Kep mitgetragen, so die Ulasc weiter.

Eine Evaluierung wünscht sich die Ulasc hingegen im Hinblick auf die „Charte de déontolgie“, die im Juni 2022 eingeführt und inzwischen von über 120 Kulturinstitutionen unterzeichnet wurde. Die Unterzeichnenden verpflichten sich damit beispielsweise dazu, Künstler*innen fair zu bezahlen und gegen Diskriminierung anzukämpfen. Kurz nach den Nationalwahlen im Oktober fand ein Rundtischgespräch zum Thema in der Abtei Neumünster statt (woxx 1757).

An jenem Abend waren Maxime Bender, Musiker und Direktor des Trifolion Echternach; Gianfranco Celestino, Choreograf und Mitglied der Aspro; Kevin Sousa, Mitglied von Richtung22, sowie Ainhoa Achutegui, Direktorin der Abtei Neumünster, und Nadine Erpelding vom Kulturministerium vertreten. Allgemein stellten die Redner*innen fest, dass es der Charta an Klarheit fehle, zum Beispiel im Falle von Verstößen gegen die Richtlinien. Zwar existiert das „Comité de déontologie“, eine Meldestelle für Missstände in der Kultur, doch kommt diesem Gremium in erster Linie eine Vermittlerrolle zu. Weshalb die intensive Auseinandersetzung mit der Ethikcharta und der Frage nach Sanktionen wichtig ist, zeigte zuletzt auch die Polemik um das „Fräiraim Festival“ der Philharmonie (woxx 1763): Das Konzerthaus, das die Ethikcharta unterzeichnet hat, zahlt den teilnehmenden Freizeitmusiker*innen zum zweiten Jahr in Folge und trotz Protest aus der Musikszene keine Gage. Eins der Hauptargumente lautet, das Festival richte sich an Hobbykünstler*innen. Die Verantwortlichen, darunter auch das Kulturministerium, sehen darin keinen Widerspruch zur Ethikcharta. Eine Position, über die sich streiten lässt. Ausgehend vom Regierungsprogramm bleibt eine Debatte darüber aber vorerst aus: Hier kommt die Charta gar nicht zur Sprache.

Und sie ist nicht das einzige Thema, zu dem sich die Regierung im Gegensatz zur Ulasc nicht äußert. Während die Ulasc beispielsweise transparente Autor*innenrechte und deren Wahrung einfordert, tauchen diese im Kapitel über Kulturpolitik im Koalitionsvertrag nicht auf. Genauso schneidet der Verbund das Thema körperliche Sicherheit und mentale Gesundheit im Kultursektor an, die im Koalitionsvertrag keine Rolle spielen. Dabei war vor allem die psychische Gesundheit von Kulturschaffenden in den vergangenen Jahren mehrfach Gegenstand öffentlicher Diskussionen.

Im November 2022 organisierten das Kulturzentrum Abtei Neimënster, das Centre de création chorégraphique luxembourgeois TROIS C-L und die Theaterfederatioun die Konferenz „Unmute Power Abuse“ (woxx 1710) zu Machtmissbrauch in der luxemburgischen Kulturszene, worauf dieses Jahr die Gründung der gleichnamigen Informationsplattform unmute.lu folgte. Daneben fanden in den letzten Monaten gleich zwei Rundtischgespräche zu mentaler Gesundheit und Kulturschaffenden statt, eins im Zuge des Tanzprojekts „Ongoing“ von Lucoda (Folge 33 „Um Canapé mat der woxx“) und eins im Rahmen der Independent Little Liesʼ Inszenierung des Theaterstücks „4.48 Psychosis“ von Sarah Kane (woxx 1756) .

Für die Ulasc gibt es weitere Themen, die den Kultursektor vor neue Herausforderungen stellen: Klimawandel, Inklusion, Diversität und der Einsatz neuer Technologien, konkret der Künstlichen Intelligenz (KI). Zu Klimawandel, Diversität und KI schweigen sich die Regierungsparteien aus, zu Inklusion im Kultursektor beziehen sie immerhin Stellung.

Im Regierungsprogramm nimmt dieser Bereich sogar einen der längsten Paragrafen ein – allerdings geht es dort vor allem um die Einbindung des Publikums und weniger um die Kulturschaffenden selbst. So sollen Kulturvermittler*innen an Bildungseinrichtungen, in Altenheimen, Asylunterkünften und Kinderheimen zum Einsatz kommen. Auch will sich die neue Regierung bemühen, Menschen mit Behinderung(en) den Zugang zu Kulturangeboten zu erleichtern. Konkrete Maßnahmen hierzu werden nicht aufgezählt. Dafür laden die Regierungsparteien kulturelle Einrichtungen dazu ein, Kulturvermittlung zum Bestandteil ihres Programms zu machen und sich an Initiativen wie dem Kulturpass zu beteiligen.

Der Kulturpass wurde 2008 eingeführt und ermöglicht sozial marginalisierten Menschen für 1,50 Euro Zugang zu Kulturerlebnissen. Im Kulturpodcast „Um Canapé mat der woxx“ (Folge 32) verrieten Marianne David und Luis Santiago von der verantwortlichen CulturʼAll Asbl allerdings im September, dass das zweiköpfige Team aufgrund der hohen Nachfrage an seine Grenzen stoße. Eine Personalaufstockung verspricht das Regierungsprogramm nicht.

Für Kulturminister Eric Thill scheint der Zugang zu Kultur jedenfalls eine Priorität zu sein, denn in einem Interview mit der Tageszeitung „Lʼessentiel“ betonte er letzte Woche: „Il faut encourager lʼaccés à la culture pour tous.“ Zwar deckt sich dies sowohl mit dem Inhalten aus dem Koalitionsvertrag als auch mit einzelnen Forderungen der Ulasc, doch inwiefern die Prioritäten im Regierungsalltag auch solche bleiben, wird sich zeigen.


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