Wo bleibt die Meinung der Expertinnen zu den Folgen der Corona-Krise? Therese Gorza verweist in einem offenen Brief auf die Ungleichheit der Geschlechter während der Krise und erinnert an die Forderungen des Frauenstreiks vor wenigen Wochen.
Die gegenwärtige Krise deckt klar auf, wie tief die strukturelle Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist und das nicht nur in Luxemburg. Sie ist noch immer stark in den Gepflogenheiten und dem gesellschaftlichen Bewusstsein verwurzelt. Es liegt auf der Hand, dass ohne die Frauen, die in den „Care-Berufen“, der Reinigung und dem Handel tätig sind, kein Management und kein Ausstieg aus der Krise möglich ist. Sie sind für das Funktionieren der Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung und dies nicht nur in Krisenzeiten. Man klatscht ihnen gut gemeinten Beifall, man gibt ihnen ein Almosen für ihr Engagement und ihren Mut. Ja, sie riskieren jetzt ihre Gesundheit und sogar ihr Leben! Aber werden sie nach ihrer Meinung gefragt, wenn über die Nachwirkungen und den Ausstieg aus der Krise gesprochen wird? Nein, da werden gerne die männlichen „Experten“ zu Rate gezogen.
Im Luxemburger Wort vom 27. März, unter der Rubrik Wirtschaft und Finanzen: Zehn Männer und keine einzige Frau tun ihre Meinung über die Folgen der Krise kund. Bei RTL: Als Gast der Redaktion gab es nur eine Frau seit Beginn der Krise und auch im Forum-Magazin, das eher sensibilisiert für die Gendergerechtigkeit ist, gibt es ein Dossier über COVID-19, in dem keine einzige Frau den Stift in die Hand nimmt, um ihre Meinung zu äußern, es kommen nur männliche Experten mit ihren superspezialisierten Analysen zu Wort, man verliert kein Wort über diejenigen, die den Großteil der Arbeit leisten, sie sind und bleiben die Unsichtbaren… Paulette Lenert, die eigentlich eine hervorragende Arbeit leistet in diesen Krisenzeiten, stellt sich aber auch nicht die Frage nach der Unterrepräsentation von Frauen auf der Entscheidungsebene, wie sie in einem Interview im Radio 100.7 verriet. Sie räumte aber auch ein, dass es vielleicht notwendig sein könnte, sich mit diesem Thema zu befassen.
Es stimmt, dass wir Zahlen brauchen, um zu argumentieren und Lösungen vorschlagen zu können. Es gibt Statistiken über Frauen in den oben genannten Bereichen, die man benutzen müsste, um die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise auf das Leben dieser Frauen und auf das der Frauen im Allgemeinen zu untersuchen. Homeschooling, Homeoffice, Kinderbetreuung, Alleinerziehende, häusliche Gewalt diese und viele andere Aspekte müssten in diese Untersuchung einfließen. Die Regierung sollte ein Forschungsinstitut damit beauftragen, diese Daten zu analysieren, zum Beispiel um die Lohnsituation in den betreffenden Sektoren zu untersuchen, um beurteilen zu können, ob die Gehälter den Belastungen und dem Wert der geleisteten Arbeit entsprechen. Das gilt auch für den Transport, die Hauszustellung und alle prekären Sektoren, die die Wirtschaft jetzt am Laufen halten.
Und eine weitere Frage, die man sich jetzt stellen müsste, ist die der gendergerechten Verteilung der Hilfen. Wer profitiert von diesen Beihilfen, werden Frauen bei der Verteilung dieser Beihilfen nicht benachteiligt? An wen wurden die 20,5 Millionen Hilfen, die laut Minister Kersch schon angewiesen wurden, gezahlt und wer sind die Begünstigten? Und auch bei den Milliarden, die noch verteilt werden, muss man sicherstellen, dass Frauen genauso davon profitieren wie Männer. Die Beantwortung dieser Fragen jetzt und in Zukunft wird aufzeigen, wo die Missstände sind und die Probleme der Unsichtbaren sichtbar machen. So hat Mara Kuhl in Deutschland einen „Kriterienkatalog für geschlechtergerechte Krisenpolitik“ entwickelt. Er fußt auf einer Analyse des Konjunkturpaketes, das in der Wirtschaftskrise 2008 in Kraft gesetzt wurde. Eine der Maßnahmen war das Kurzarbeitergeld, Kuhl stellt fest: „Zu Hochzeiten der Inanspruchnahme des Kurzarbeitergeldes im Jahr 2009 waren von allen Beschäftigten, die Leistungen in Anspruch nahmen, 78% Männer und 22% Frauen. Von den Mitteln für die berufliche Qualifizierung während des Bezugs von Kurzarbeitergeld aus dem Europäischen Sozial Fonds (ESF) für Deutschland wurden sogar über 85% für Männer ausgegeben.“ Dieses Beispiel zeigt auf, dass keineswegs gewährleistet ist, dass die Wiederaufnahme des „normalen“ Lebens nicht auf Kosten der Frauen geht, unter dem Motto: Männer zuerst. Denn ohne die Arbeit der Frauen, bezahlt oder unbezahlt, könnte die Gesellschaft einpacken.
Es ist gerade mal einen Monat her seit der Frauendemonstration vom 7. März, die unter dem Motto „Wer kümmert sich? Wir kümmern uns!“ stand und auf die prekäre Situation in den „Care“-Bereichen verwies, die außerdem stark durch die Präsenz von Frauen mit Migrationshintergrund und Grenzgängerinnen geprägt sind. Die Forderungen vom 7. März sind heute aktueller denn je. Gerade nach der Krise dürfen wir sie nicht vergessen und wir sollten sie mit Nachdruck vorbringen: Zu allererst die Reduzierung der Wochen- und/oder Tagesarbeitszeit ohne Lohnverlust für alle. Ein erster Schritt, um eine gerechte Aufteilung der Care-Arbeit zu gewährleisten, damit Väter genauso wie Mütter Verantwortung für ihre Nachkommen übernehmen können – und um die Last der unbezahlten Arbeit zu Hause zu erleichtern. Das Sahnehäubchen ist, dass die Arbeitszeitverkürzung auch die Arbeitslosigkeit verringern und die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigung verringern wird.
Therese Gorza ist Mitglied des Komitees des CID | Fraen an Gender und der Plattform JIF.