LGBTIQA+: Queere psychische Gesundheit

Ob Pride-Verbote in Ungarn oder queerfeindliche Gesetze in den USA – was international passiert, hinterlässt Spuren: Auch in Luxemburg spüren LGBTIQA+-Personen die psychischen Folgen des globalen Backlashs. Warum es trotzdem Hoffnung braucht.

Das Gefühl angenommen und akzeptiert zu sein ist ein wichtiger Schutzfaktor für psychische Gesundheit. (Foto: Abhinav Bhardwaj/ Unsplash)

Ginge es nach dem ungarischen Präsidenten Viktor Orbán, würde an diesem Samstag keine einzige Regenbogenflagge in Budapest wehen. Bereits im März 2025 hatte das ungarische Parlament eine Änderung des Versammlungsgesetzes beschlossen, das es erlaubt, öffentliche Veranstaltungen wie die Pride zu verbieten. Offiziell begründet wird das mit dem „Schutz von Kindern und Jugendlichen“, ein altes queerfeindliches Narrativ als Vorwand. Bei Zuwiderhandlung drohen den Teilnehmenden Geldstrafen von bis zu 500  Euro. Die Polizei hat angekündigt, Gesichtserkennung zur Identifizierung einzusetzen.

Doch die Veranstalter*innen der Budapest-Pride werden nicht klein beigeben und dennoch marschieren. Rückendeckung bekommen sie nicht nur von über 50 EU-Abgeordneten, sondern auch vom liberalen Bürgermeister der Hauptstadt: Gergely Karácsony. Dieser erklärte die Veranstaltung kurzerhand zum „Fest der Freiheit“ und beruft sich damit auf ein Gesetz von 2001, das jeden letzten Samstag im Monat zum „Tag der Freiheit“ erklärt. Ob er damit Erfolg haben wird, wird das Wochenende zeigen. Ein Wochenende, das mit Spannung auch die New York City Pride erwartet, ein Event das dem offen queerfeindlichen US Präsidenten Donald Trump ein Dorn im Auge ist. Durch sein Verbot von DEI-Programmen, also Initiativen für Diversität, Gleichstellung und Inklusion, für alle Unternehmen, die mit der US-Regierung zusammenarbeiten, dreht er queeren Veranstaltungen auch den Geldhahn zu. Einige große Firmen wie Mastercard, PriceWaterhouseCoopers und PepsiCo, die in Vorjahren noch während des Pride Month Juni mit Regenbogenfahnen geworben haben, sind bereits eingeknickt.

Wie Orbán begründet auch Trump sein Vorgehen, darunter das Verbot geschlechtsangleichender Gesundheitsversorgung für trans Personen, mit dem angeblichen Schutz von Minderjährigen. Dass der Mythos von kinderschädlichen „LGBTIQA+-Propaganda“ auch zunehmend in Luxemburg instrumentalisiert wird, zeigte vergangenen Juli eine Petition (woxx 1789). Unter dem Deckmantel des vorgeblichen Kinderschutzes wurde versucht, queere Themen aus dem Bildungsbereich zu drängen. Die Diskussion in der Chamber (woxx 1822) Anfang des Jahres löste eine landesweite Debatte aus. Die Folge: Hasskommentare in sozialen Netzwerken, Drohungen gegen Aktivist*innen und ein gesellschaftliches Klima, das nicht ohne psychische Folgen für Betroffene bleibt. Das Centre Cigale, eine Anlauf- und Beratungsstelle für LGBTQIA+-Personen in Luxemburg-Stadt, verzeichnete eine anhaltende Vervielfachung der Anfragen und Einzelgespräche, nachdem letztes Jahr die Petition gestartet wurde.

Erhöhtes Risiko

Bereits vor dem aktuellen Anstieg queerfeindlicher Tendenzen zählten LGBTQIA+-Personen zu den Gruppen mit einem deutlich erhöhten Risiko für psychische Erkrankungen, wie etwa Angststörungen, Depressionen oder Suchterkrankungen. Auch die Suizidalitätsrate ist überdurchschnittlich hoch. Unter diesem Begriff versteht man Suizidgedanken, riskante Verhaltensweisen und tatsächliche Versuche. Anfang Juni widmete die Europäische Psychiatrische Assoziation (Epa) dem Thema ein Webinar für psychiatrisches Fachpersonal. Die darin vorgestellten Studien unterstreichen die Dringlichkeit des Problems.

(© Alexander Grey/Unsplash)

So bestätigte Richard Bränström vom Karolinska Institutet in Schweden anhand aktueller Daten, dass queere Menschen deutlich häufiger von psychischen Belastungen betroffen sind als die heterosexuelle Allgemeinbevölkerung. Während etwa 16 Prozent der heterosexuellen Befragten angaben, innerhalb der letzten zwölf Monate depressive Symptome erlebt zu haben, lag dieser Anteil bei lesbischen und schwulen Personen bei rund 30 Prozent, bei bisexuellen bei 35 Prozent und bei trans Personen bei 32 Prozent. Auch Suizidgedanken und -versuche traten in diesen Gruppen bis zu achtmal häufiger auf als unter Heterosexuellen.

Besonders alarmierend ist die Lage bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wie eine weitere von der Epa gezeigte Studie zeigte: Während knapp 5 Prozent der männlichen heterosexuellen 19-Jährigen bereits eine psychiatrische Diagnose erhalten hatten, lag der Anteil bei männlichen bisexuellen Jugendlichen bei 9 Prozent und bei weiblichen bisexuellen Jugendlichen bei über 25 Prozent. Heterosexuelle Mädchen waren mit 8 Prozent fast so häufig betroffen wie die am stärksten belastete männliche Gruppe – ein Indiz für die psychischen Kosten patriarchaler Strukturen über queere Menschen und andere Minderheiten hinaus. Auch im Vergleich zwischen cis und trans Personen trat eine erhebliche Ungleichheit zutage: Während zwischen 7 und 8 Prozent der cis Jugendlichen bis zu ihrem 18. Lebensjahr eine psychiatrische Diagnose erhalten hatten, lag dieser Anteil bei trans Jugendlichen bei über 20 Prozent.

Wichtig ist dabei festzuhalten: Nicht das Queer-Sein selbst ist Auslöser psychischer Erkrankungen, sondern die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen queere Menschen leben müssen. „Bei all dem, was in der Welt passiert, vergessen wir manchmal, dass queeres Leben, die Vielfalt und Schönheit in Menschen zu erleben, auch einfach eine Freude ist. Das Problem ist nicht, queer zu sein. Das Problem ist das System um uns herum“, sagt Eli Schreck, die im Cigale die Gruppe „Rainbow 4 Health“ zum Thema LGBTIQA+ und psychische Gesundheit initiiert hat. Jeden vierten Samstag im Monat treffen sich hier queere Menschen, um über psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen zu sprechen. „Es geht um Empowerment der Community durch die Community. Es entsteht ein sicherer Raum, in dem man sich öffnen kann“, beschreibt Eli Schreck das Angebot.

Minderheitenstress

Auch die Forschung unterstreicht die Tatsache, dass Queer-Sein nicht der Grund für eine psychische Erkrankung ist, ihr Vorhandensein aber ein signifikanten Risikofaktor darstellt. Während des Webinars der Epa erläutern sowohl Bränström als auch Iva Žegura aus Kroatien das Modell des Minderheitenstresses. Dieses beschreibt, wie erwartete oder tatsächlich erfahrene Vorurteile und Diskriminierungen dazu führen, dass queere Menschen ihre Identität verbergen, gesellschaftliche Ablehnung verinnerlichen und Bewältigungsstrategien entwickeln müssen, die oft auf Rückzug beruhen. All das setzt Körper und Psyche unter dauerhaften Stress mit Folgen wie erhöhtes Risiko für Depression und Angststörung, erhöhte Entzündungsneigung und kardiovaskuläre Belastung und einem insgesamt höheren Risiko für psychische und körperliche Erkrankungen.

„Besonders gefährlich wird es, wenn anti-Gender-Rhetorik von medizinischer oder politischer Autorität ausgeht“, sagt Žegura. „Strukturelle Stigmatisierung steht in Zusammenhang mit der Lebenszufriedenheit, da sie queere Menschen dazu zwingt, ihre Identität zu verbergen, um tatsächlicher oder erwarteter Diskriminierung und Anfeindung zu entgehen. Gesetzgebung und politische Maßnahmen haben einen direkten Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von LGBTQIA+-Personen“, erklärt Bränström.

Ein Effekt, der nicht an Grenzen Halt macht. Was in Ungarn und den USA geschieht, schwappt auch als gesellschaftliches Klima und politische Meinung nach Westeuropa. „Luxemburg ist kein Aquarium. Es ist keine abgeschottete Welt. Auch hier sind wir nicht vor Entwicklungen in Nachbarländern oder Übersee geschützt. Wegzuschauen, nur weil es hier noch nicht angekommen ist, ist gefährlich“, sagt Eli Schreck, die aus eigener Erfahrung weiß, was es heißt in Luxemburg wegen einer psychischen Erkrankung Hilfe zu suchen. Wegen der geringen Größe des Landes und des allgemeinen Mangels an Psychotherapeut*innen sei es für LGBTIQA+-Personen besonders schwierig, passende Hilfe zu finden. Wer nach monatelanger Wartezeit feststellt, dass der*die Therapeut*in nicht queerfreundlich ist, muss die ewige Suche von Neuem beginnen.

Es käme häufig vor, dass queere Personen im therapeutischen Setting noch Aufklärungsarbeit hinsichtlich ihrer Lebensrealität leisten müssten, bevor eine wirksame therapeutische Beziehung aufgebaut werden könne. Dabei kostet die Suche nach einem geeigneten Hilfeangebot für die Betroffenen ohnehin schon viel Kraft. Und das in einer Zeit, in der sie davon nicht viel übrig haben. „Die eigene medizinische Behandlung zu managen, ist unglaublich aufwendig“, sagt Schreck und ist dankbar, dass ihr das Cigale damals bei der Suche geholfen hat. Heute ist sie stabil und kann etwas von ihrer neu gewonnen Kraft mit anderen Betroffenen teilen.

Auch deshalb findet sie die „Rainbow 4 Health“-Gruppe, gerade für junge Menschen, so wichtig. Es geht um gegenseitige Unterstützung, um das Gefühl von Verbunden-Sein und Community – Faktoren, die in der Psychologie als Resilienzfaktoren gelten, also als Schutzfaktoren, die Menschen helfen, psychische Belastungen besser zu bewältigen. „Junge Menschen brauchen einen Beweis, Menschen, mit denen sie in Kontakt kommen, um zu sehen, dass sie nicht nur überleben, sondern wirklich leben und glücklich sein können. So klischeehaft das klingt: Sie müssen sehen, dass es tatsächlich besser wird“, beschreibt Schreck einen weiteren wichtigen Aspekt.

Ein Funken Hoffnung

Auch gesellschaftliche und politische Signale spielen eine wichtige Rolle, um sichtbar zu machen, dass es auch positive Entwicklungen gibt. Ein Beispiel ist die luxemburgische Gegenpetition, die sich für mehr Inklusion und die stärkere Einbindung von LGBTIQA+-Themen (woxx1821) im Bildungsbereich einsetzte und erfolgreicher war als die queerfeindliche. Schreck, die sich selbst als eher pessimistisch beschreibt, hofft, dass es sich beim Rechtsruck vieler Länder um einen sogenannten Backlash handelt – also um eine rückschrittige Gegenbewegung auf vorhergehende Fortschritte, die nicht von Dauer ist. Sie hofft, dass sich das gesellschaftliche Klima wieder verbessert. Es darf nicht vergessen werde, dass viele Wahlen, die am Ende zum Sieg queerfeindlicher Kandidat*innen ausgefallen sind, wie jüngst in Polen, äußert knappe Entscheidungen waren. Auch in den USA gibt es viele Firmen, die trotz Trump-Politik und massiver Repressionen die LGBTQIA+-Community ideell aber auch finanziell weiter unterstützen, darunter sind zum Beispiel Levi’s, Converse, Diesel und Calvin Klein.

Rosa Lëtzebuerg, die älteste queere Organisation Luxemburgs, die die Luxemburg Pride organisiert, spürt trotz vieler Hasskommentare in den sozialen Netzwerken viel Unterstützung. Zu den Pride-Veranstaltungen unter dem Motto „Stand united against the Backlash“ am 11, und 12. Juli haben sich bereits mehr freiwillige Helfer*innen gemeldet als eingesetzt werden können. Von amerikanisch beeinflussten Firmen gab es weniger Sponsorengeld, der Pride Run am 10, Juli verzeichnete hingegen neue Geldgeber*innen. Die Laufveranstaltung wird zwar weder vom Cigale noch von Rosa Lëtzebuerg organisiert, beide Vereine erhalten jedoch einen Teil der eingenommenen Startgelder. Eine Rechnung, die am Ende hoffentlich aufgeht. Zudem wird durch all diese Veranstaltungen ein gesellschaftliches Signal gegen das strukturelle Stigma gesendet. Es wäre begrüßenswert, wenn dieses politisch noch stärker unterstrichen würde, zum Beispiel indem Konversionstherapien und operative Eingriffe an intergeschlechtlichen Säuglingen und Kindern in Luxemburg endlich verboten würden.

Das wäre mehr als bloße Symbolpolitik, sondern ein klares Signal in eine Gesellschaft hinein, die in vielen Fragen zunehmend gespalten wirkt. Vor allem auch, weil auf gesetzgeberischer Ebene seit Jahren wenig passiert ist, obwohl manche Politiker*innen regelmäßig bei der Pride mitmarschieren. Dabei braucht es nicht nur Gesetze, sondern auch alltägliche Zeichen der Solidarität. Ob durch entschiedenes, nicht-konfrontatives Entgegentreten bei queerfeindlichen Kommentaren oder durch eine sensible, unterstützende Haltung im professionellen Kontext: Jeder Beitrag zählt. Auch medizinisches Personal und Therapeutinnen können viel bewirken – oft beginnt ein sicherer Raum bereits mit kleinen Gesten, mit Sprache oder sichtbaren Symbolen, die Zugehörigkeit und Offenheit signalisieren. Es geht darum, Hoffnung zu geben und queeren Menschen jeden Alters, die mit psychischen Belastungen leben, zu vermitteln, was Eli Schreck so auf den Punkt bringt: „Es ist nie zu spät, sich Hilfe zu holen und zu versuchen, glücklich zu sein – was das auch immer für einen selbst bedeutet.“

Queere Räume in Luxemburg

In Luxemburg gibt es zwei zentrale Anlaufstellen für queere Menschen: Das Centre Cigale ist die offizielle Beratungsstelle für LGBTQIA+-Personen und ihre Angehörigen. Neben individueller Beratung bietet das Cigale auch Fortbildungen zu sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität an. Ein besonderes Angebot ist die Gesprächsgruppe Rainbow 4 Health, die sich jeden vierten Samstag im Monat trifft und einen geschützten Raum für Austausch zu Themen psychischer Gesundheit schafft. Das Rainbow Center von Rosa Lëtzebuerg versteht sich ebenfalls als sicherer Ort für die LGBTIQA+-Community. Es fördert queere Kultur durch ein vielfältiges Programm, darunter Ausstellungen, Workshops, Konzerte und Diskussionsrunden.


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