Migration: Es waren einmal Italiener*innen …

Italienische Migration in der Kurzfassung: Remo Ceccarelli erzählt in seinem Sachbuch „Des Italiens, jadis, dans l’épopée du fer au Luxembourg et au-delà de la frontière” die Geschichte italienischer Migrant*innen in Luxemburg nach.

Klein, aber fein: Der Sammelband „Des Italiens, jadis, dans l’épopée du fer au Luxembourg et au-delà de la frontière“ von Remo Ceccarelli greift sowohl die politischen als auch die popkulturellen Interessen italienischer Migrant*innen auf. (COPYRIGHT: Isabel Spigarelli)

Im Jahr 1890 lebten 439 Italie- ner*innen in Luxemburg; 2023 waren es laut Statec („Luxembourg en chiffres 2023“) über 24.000: Die Verbindung zwischen Italien und Luxemburg besteht also seit Jahrhunderten fort. Wie viele gebürtige Luxemburger*innen zudem italienische Wurzeln haben, ist eher ungewiss. Einer davon ist jedenfalls Remo Ceccarelli, Autor des Sammelbandes „Des Italiens, jadis, dans l’épopée du fer au Luxembourg et au-delà de la frontière“, im Oktober 2023 bei PassaParola Editions erschienen. Darin skizziert der Autor die italienische Migrationsgeschichte in Luxemburg und der Großregion.

Das Buchformat mag zunächst verwirren: Es besteht größtenteils aus losen Erzählungen; die Geschehnisse sind weder thematisch noch chronologisch geordnet. Das kommt daher, dass die Texte ursprünglich als Kolumne im italienischsprachigen Magazin PassaParola veröffentlicht wurden. Seit Beginn der 2000er-Jahre publiziert Ceccarelli dort kurze, historische Artikel zur italienischen Migration. Anfänglich waren ein Dutzend Beiträge vorgesehen, am Ende wurde daraus eine zehnjährige Zusammenarbeit.

2019 erschien eine erste Artikelsammlung auf Italienisch („Tanti italiani fa….in Lussemburgo. Viaggio nella memoria (e un po’ di storia) della nostra emigrazione“, PassaParola Editions). Letztes Jahr folgte dann die französische Übersetzung von Oreste Sacchelli, unter anderem Leiter des „Festival du film italien de Villerupt“. Claude Frisoni, Autor und ehemaliger Leiter des Kulturzentrums Abtei Neumünster, schrieb das Vorwort. Ceccarelli wurde demnach von bekannten Akteuren der Kulturszene unterstützt – und das hat seine Arbeit auch verdient: Der Autor knüpft sich in seinem Buch gleich mehrere Epochen vor und lässt kein noch so vermeintlich banales Thema aus.

Mittelpunkt seiner Erzählungen ist Esch. Ceccarelli, 1967 in Esch geboren, wuchs im Viertel „Hoehl“ auf, unweit der französischen Grenze. Immer wieder beschreibt der Autor seine eigene Familiengeschichte, aber auch die Dynamiken im Viertel und in der Minett-Stadt. Es ist von Fremdenfeindlichkeit gegen die ersten italienischen Migrant*innen die Rede, von politischen Auseinandersetzungen zwischen ihnen und den luxemburgischen Autoritäten. Der Fokus liegt auf der Arbeiterklasse, zu der die große Mehrheit der italienischen Migrant*innen vor und nach den Weltkriegen gehörte.

Ausflug in die Minett-Region

So stellt Ceccarelli mehrfach die Lebensrealität italienischer Anarchist*innen dar, konkreter auch ihre Aufstände in Differdingen: 1912 streikten rund 400 anarchistische italienische Arbeiter der „Deutsch-luxemburgischen Bergwerks- und Hütten AG“ und forderten unter anderem eine Gehaltserhöhung. Die AG plante damals die Einrichtung eines Pensionsfonds, für den ein gewisser Prozentsatz von den Löhnen abgezogen werden sollte. Nun erhielten die italienischen Arbeiter im Vergleich zu ihren deutschen und luxemburgischen Kollegen jedoch ein deutlich niedrigeres Gehalt, noch dazu wurden ihnen oft die gefährlichsten Aufgaben zugeteilt und sie erhielten nur befristete Arbeitsverträge. Umstände, die die Arbeiter zum Streik veranlassten. Begann der Streik friedlich, eskalierte die Gewalt zwischen den Polizeikräften, der Gendarmerie und den Arbeitern schon bald. Im Handgemenge starben ein Arbeiter, der den Streik beobachtete, und ein Dreizehnjähriger, der seinem Vater Essen brachte.

Einige Forderungen der Arbeiter wurden am Ende angenommen, etwa jene nach mehr Geld. Besonders interessant ist in dem Kontext Ceccarellis Unterkapitel zum Verhalten der luxemburgischen Presse: Sowohl linke als auch rechte Blätter sprachen sich gegen die Arbeiter aus. „Ils insistent sur le fait que tout découlait du refus des Italiens de cotiser pour leurs retraites“, schreibt Ceccarelli. „Ils y sont stigmatisés pour leur prétendue ʻinstabilitéʼ, alors que c’était les contrats de travail à durée déterminée qu’on leur imposait qui étaient la cause.“ Die luxemburgische Bevölkerung übernahm diese Argumentation in großen Teilen. „La presse attribuait l’entière responsabilité des événements aux requêtes incompréhensibles d’Italiens et d’anarchistes factieux, violents et armés“, so Ceccarelli weiter. Kein großes luxemburgisches Presseorgan habe damals das Gespräch mit den Streikenden gesucht.

Frauen, Charly Gaul und RTL

Neben den männlichen Migrant*in- nen beschäftigt sich Ceccarelli aber auch – allerdings nur recht kurz – mit den Italienerinnen, die es nach Luxemburg verschlagen hatte. Der Autor konzentriert sich vor allem auf verheiratete Frauen, die ihren Ehemännern nach Luxemburg gefolgt waren. Dies zu Zeiten, in denen die luxemburgische Regierung die Familienzusammenführung laut Ceccarelli vermeiden wollte. Gelang die Zusammenführung trotzdem, sahen sich viele Eheleute gezwungen, zu zweit arbeiten zu gehen. Die Krux für die Frauen: Ein Gesetz von 1876 verbot ihnen die Beschäftigung in der Industrie.

Sie griffen auf alternative Einnahmequellen zurück, wie Ceccarelli schreibt. Sie waren Hausangestellte in luxemburgischen Familien; eröffneten eine Pension, Cafés oder Lebensmittelläden, die oft zum Zufluchtsort für andere Migrant*innen wurden; erledigten Näharbeiten oder waren in der Escher „Mission catholique italienne“ für die Kinderbetreuung zuständig. Andere gaben italienische Sprachkurse oder engagierten sich in karitativen sowie kulturellen Verbänden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gründeten Frauen des Minetts sogar die Interessengruppe „Unione Donne Italiane“, politisch links orientiert, die jedoch vor wenigen Jahren aufgelöst wurde. Über die Tätigkeiten der „Unione Donne Italiane“ verrät Ceccarelli leider wenig.

Die Italienerinnen tauchen dafür an anderer Stelle wieder auf – und zwar im Kontext des spanischen Bürgerkriegs (1936 – 1939). Ceccarelli geht in dem Rahmen auf die Beteiligung italienischer Migrant*innen an den Konflikten in Spanien ein und arbeitet, wenn auch nur auf fünf Seiten, ebenfalls die Rolle der Frauen heraus. Er hebt vor allem Cremoni Rosa, gebürtig aus Differdingen, hervor: Die Migrantin zweiter Generation ging 1937 als Krankenschwester an die Front, geriet später aufgrund ihrer Sympathie für das linke Parteibündnis „Front Populaire“ in Frankreich ins Fadenkreuz von Benito Mussolini. Wer noch mehr über Frauen und Migration lesen möchte: Die woxx sprach 2022 mit der Soziologin Heidi Martins, wissenschaftliche Mitarbeiterin im „Centre de documentation sur les migrations humaines“, ausführlich darüber (woxx 1676).

Historische Anekdoten wie diese wechseln sich in Ceccarellis Buch mit Essays zu Sport und Unterhaltungskultur ab. Er erzählt beispielsweise von Charly Gauls legendärem Erfolg beim „Giro d’Italia“ im Jahr 1956 oder von Fußballspielen zwischen der Escher Jeunesse und Juventus Turin Mitte der Achtziger. Auch erinnert der Autor an die Fernsehsendung „Buona Domenica“: RTL sendete von 1982 bis 1993 jeden Sonntag auf Italienisch. In der einstündigen Sendung wurde unter anderem über die italienische Gemeinschaft und ihre Aktivitäten berichtet. Die Einführung von Rai Uno, Ende 1985, löste das luxemburgisch-italienische Format allmählich ab.

Ceccarellis Buch gleicht somit dem Besuch einer großen Ausstellung, bei dem die Besucher*innen von Schaukasten zu Schaukasten flanieren und neue Exponate entdecken. Jeder Textbeitrag ermöglicht es, in ein anderes Kapitel italienischer Migrationsgeschichte einzutauchen. Aus dem Grund spricht das Buch die unterschiedlichsten Leser*innen an. Ein Referenzwerk für Expert*innen ist es hingegen nicht, denn manche Kapitel stillen den Wissenshunger der Leser*innen nur bedingt.

Trotzdem muss man Remo Ceccarelli, der inzwischen im Office national de l’accueil tätig ist, zugutehalten, dass er einen beeindruckenden Überblick zur italienischen Migrationsgeschichte in Luxemburg liefert und das in einer leicht verständlichen Sprache. Wer den Autor persönlich treffen möchte: An diesem Sonntag, dem 25. Februar, liest er ab 18 Uhr beim „Festival des migrations“ (Halle RDC). Weitere kulturelle Höhepunkte des besagten Festivals gibt es übrigens im Kulturtipp dieser Woche.

Remo Ceccarelli: Des Italiens, jadis, dans l’épopée du fer au Luxembourg et au-delà de la frontière, PassaParola Editions (ISBN978-99959-0-892-8). 270 Seiten.

Cet article vous a plu ?
Nous offrons gratuitement nos articles avec leur regard résolument écologique, féministe et progressiste sur le monde. Sans pub ni offre premium ou paywall. Nous avons en effet la conviction que l’accès à l’information doit rester libre. Afin de pouvoir garantir qu’à l’avenir nos articles seront accessibles à quiconque s’y intéresse, nous avons besoin de votre soutien – à travers un abonnement ou un don : woxx.lu/support.

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?
Wir stellen unsere Artikel mit unserem einzigartigen, ökologischen, feministischen, gesellschaftskritischen und linkem Blick auf die Welt allen kostenlos zur Verfügung – ohne Werbung, ohne „Plus“-, „Premium“-Angebot oder eine Paywall. Denn wir sind der Meinung, dass der Zugang zu Informationen frei sein sollte. Um das auch in Zukunft gewährleisten zu können, benötigen wir Ihre Unterstützung; mit einem Abonnement oder einer Spende: woxx.lu/support.
Tagged .Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Kommentare sind geschlossen.