2050 könnten bis zu 250 Millionen Menschen auf der Flucht sein – wegen Umweltschäden und dem Klimawandel. Bisher gibt es keine rechtliche Möglichkeit, sie als Flüchtlinge anzuerkennen.
Weiße Sandstrände, azurblaues Meer – die Malediven gelten eigentlich als Urlaubsparadies. Im 22. Jahrhundert könnte der Inselstaat jedoch ein modernes Atlantis werden – untergegangen im Indischen Ozean. Der Klimawandel und der damit einhergehende Anstieg des Meeresspiegels könnte viele Inselstaaten von der Landkarte radieren. Bereits jetzt kämpfen Staaten im Pazifik, wie die Marshallinseln, Tuvalu oder Nauru, um ihr Überleben. Der steigende Meeresspiegel ist ein Faktor, die Gefahr von stärkeren Naturkatastrophen ein anderer. Und wenn die Inseln bedroht sind, bleiben auch die Tourist*innen aus. Mit ihnen fielen dann ebenfalls Einnahmen aus, die zur Anpassung benötigt würden. Auf den Marshallinseln überlegt man schon, wohin die Bevölkerung auswandern könnte, zum Beispiel in die USA.
Wer an Flüchtlinge denkt, denkt meistens an Krieg, Gewalt und Verfolgung. Im Jahr 2016 mussten jedoch 24,2 Millionen Menschen ihre Heimat wegen Naturkatastrophen verlassen. Betroffen waren vor allem Länder in Ostasien und der Pazifikregion, aber auch in Südasien, Lateinamerika und der Karibik. Diese Menschen flüchteten aber nicht unbedingt in andere Länder, die allermeisten von ihnen gelten als „internally displaced“ (auf Deutsch meist „Binnenflüchtlinge“), sind also innerhalb ihres Heimatlandes geflohen. Im Folgejahr 2017 mussten 18,8 Millionen Menschen wegen Naturkatastrophen fliehen, im Gegenzug zu 11,8 Millionen, die wegen Konflikten und Gewalt ihre Heimat verließen. Naturkatastrophen sind in diesem Kontext mit sehr großer Mehrheit Wetterkatastrophen wie Stürme oder Überschwemmungen – lediglich 800.000 Menschen mussten 2017 wegen Erdbeben oder Vulkanausbrüchen fliehen.
Sind die ersten Klimaflüchtlinge schon längst da?
Sind nun alle, die wegen den Konsequenzen von Stürmen oder Überschwemmungen ihre Heimat verlassen müssen, Klimaflüchtlinge? Die Frage, ob Menschen, die wegen Naturkatastrophen oder schädlichen Umwelteinflüssen fliehen müssen, ein spezielles Statut verdienen und wie dieses definiert werden soll, wird schon länger diskutiert. Bereits 1985 definierte Essam El-Hinnawi, ein Experte des UN-Umweltprogrammes, den Begriff „Umweltflüchtlinge“ als „Menschen, die gezwungen wurden, ihr traditionelles Habitat temporär oder permanent zu verlassen, weil ihre Existenz oder Lebensqualität ernsthaft durch Umweltstörungen in Gefahr gebracht wurde“. Eine ähnliche Definition nutzt auch die Internationale Organisation für Migration (IOM) der UN. Seitdem wurden viele Diskussionen um den Begriff geführt, ohne dass es je zu einer international geltenden legalen Definition gekommen wäre.
Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR riet 2011 gar in einem Papier zum Thema, die Begriffe „Umweltflüchtlinge“ und „Klimaflüchtlinge“ nicht zu verwenden, da sie nicht akkurat und somit irreführend seien. Im deutschsprachigen Raum könnte das zum Problem werden, da es keine gute Übersetzung für „environmentally displaced persons“ gibt; „Umweltvertriebene“ klingt sehr sperrig.
Ein weiteres Problem ist, dass Fluchtursachen oft vielfältig sind und in den meisten Fällen nicht direkt auf den Klimawandel zurückgeführt werden können. Immerhin haben Tropenstürme oder Schlammlawinen kein Label, auf denen „verursacht durch den Klimawandel“ steht, sondern kämen auch ohne die vielen durch den Menschen ausgestoßenen Treibhausgase vorkommen. Aber vermutlich schwächer und nicht so häufig. Es gilt dennoch: Ein einzelnes Wetterereignis kann nie Beweis oder Gegenbeweis für den Klimawandel sein – weder der ungewöhnlich warme Februar in Luxemburg, noch der besonders kalte Januar in den USA. Die Vielfalt von Fluchtursachen kann auch heißen, dass sich zu den Naturkatastrophen noch soziale Konflikte gesellen. Wenn die Ressourcen knapp werden, steigen die Preise und damit die Unzufriedenheit – was zu Unruhen, Revolutionen oder Bürgerkriegen führen kann.
So ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass auch in Luxemburg längst Klimaflüchtlinge leben. Der „arabische Frühling“, der letzten Endes auch zum Krieg in Syrien und den entsprechenden Fluchtbewegungen geführt hat, ist zumindest zum Teil auf den Klimawandel zurückzuführen. Anhaltende Trockenheit und Wasserknappheit führten zu Dürren, was steigende Lebensmittelpreise bedeutete – ein wichtiger Faktor. Das besagt zumindest eine 2013 veröffentlichte Studie des liberalen US-Thinktanks „Center for American Progress“. Das zeigt: Die Hintergründe und Ursachen für Fluchtbewegungen sind nicht immer klar. Das UNHCR nennt dieses Zusammenspiel von Konflikten oder Gewalt und Klimawandel „Nexus-Dynamiken“. Wer jedoch Asyl oder subsidiären Schutz erhalten kann, liegt im Ermessensspielraum der Staaten, die diese Schutzmechanismen gewähren – die internationalen Konventionen dazu sind veraltet, die legalen Grundlagen wurden in den letzten Jahren in vielen Ländern verschärft. Es sieht also nicht so aus, als ob der Klimawandel in naher Zukunft als Fluchtgrund anerkannt werden könnte.
Legales Vakuum
Obwohl sich die EU mit Fragen von Flucht und Migration aus Drittstaaten schon länger schwer tut, hat Kommissionspräsident Juncker diese Frage bereits im September 2015 – mitten in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ – in seiner Rede zur Lage der Union aufgegriffen: „Der Klimawandel ist sogar eine der wesentlichen Ursachen für ein neues Migrationsphänomen. Klimaflüchtlinge werden eine neue Herausforderung sein, wenn wir nicht rasch handeln.“ Im Mai 2018 hat der wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments einen Bericht über das Problem, „Klimaflüchtlinge“ zu definieren, herausgegeben. Dieser Bericht wurde im Februar 2019 aktualisiert.
Darin steht zu lesen, was auch auf globaler Ebene gilt: Diskutiert wurde das Thema zwar schon oft, aber wirkliche Schritte in Richtung Schaffung eines legalen Statuts gab es bisher nicht. Von „legalen Lücken“ im internationalen Recht ist die Rede. Dabei könnte es auch innerhalb der EU einige Klimaflüchtlinge – oder Klimamigrant*innen – geben. Falls die Temperaturen rund um das Mittelmeer steigen, wird die dortige Wirtschaft dementsprechend darunter leiden. Und wenn die Klimaziele nicht erreicht werden und die Emissionen und damit auch der Meeresspiegel im gleichen Maß steigen wie bisher, ist beinahe die Hälfte der Bevölkerung der Niederlande in Gefahr, genau wie sechs Prozent der Belgier*innen. Wer in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts nicht die Chance hat, von der Personenfreizügigkeit in der EU zu profitieren, wird das Nachsehen haben.
Das EU-Papier erwähnt auch eine Resolution des Parlaments, in der es einen besonderen Schutzstatus für Klimaflüchtlinge forderte. Bisher ist dies allerdings noch nicht passiert. Innerhalb der UN-Klimarahmenkonvention gibt es mittlerweile auch eine Arbeitsgruppe zur Flucht wegen Klimaveränderungen. Die hat im Jahr 2018 alle Staaten dazu aufgefordert, sich auf durch den Klimawandel verursachte Migrationsbewegungen vorzubereiten. Etwas expliziter ist da die Organisation „Climate Refugees“, die von Amali Tower, einer Spezialistin auf dem Gebiet, ins Leben gerufen wurde. Durch Berichterstattung und Lobbyarbeit will die NGO mit Sitz in New York auf das „legale Vakuum“ aufmerksam machen.
Die Bemühungen, den Klimawandel zu bekämpfen, sollten nicht verstecken, dass es bereits jetzt sicher ist, dass Menschen in Vietnam, Bangladesch und anderen Ländern abwandern werden müssen, weil Überschwemmungen ihre Lebensräume zerstören. Ihnen ein Minimum an legalem Schutz und Möglichkeiten zu bieten, wird mindestens so wichtig sein wie die Eindämmung des Treibhausgasausstoßes.