Frauen im Rap gleich leicht bekleidete Backgroundtänzerinnen? Nicht nur: Die Miniserie „Girlhood, Frauen im Rap“ von Arte offenbart, dass Hip-Hop sich weltweit zum Sprachrohr für junge Feminist*innen entwickelt.
„Frauenrap gibt es nicht“, behauptet die kreolisch-französische Rapperin Meryl in der vierteiligen Dokuserie „Girlhood, Frauen im Rap“ auf arte.tv. Was es jedoch zweifellos gibt, das sind aufstrebende Künstlerinnen in der Hip-Hop-Szene: Arte porträtiert acht junge Rapperinnen aus Deutschland, Südafrika, Frankreich und Marokko. Zwar trennen die Frauen viele Kilometer, doch vereint sie ihre feministische, aktivistische Musik.
Wider Erwarten treten in „Girlhood“ keine etablierten Hip-Hopperinnen auf, sondern Nachwuchstalente. In Deutschland ist es beispielsweise nicht die bekannte Rapperin Sabrina Setlur, die Einblicke in die Szene gibt – es sind die Musikerinnen Yetundey und Layla Boe. Beide leben in Berlin, sind Anfang zwanzig und sich einig: Feminismus gehört in ihren Rap. „Ich weiß nicht, wie man als Frau nicht feministisch sein kann“, sagt Layla Boe. Während Yetundey betont, dass feministische Themen auf natürliche Weise in ihre Texte einfließen, weil sie Zeichen der Zeit sind, ist Layla Boe für ihren offenen Umgang mit Sexualität in ihrer Musik bekannt.
Die südafrikanische Sängerin Dee Koala verfolgt ein anderes Anliegen: Sie will mit ihrer Kunst vor allem die jüngere Generation aufrütteln und den respektvollen Umgang mit Frauen fördern. Die 22-Jährige ist in ihrem Viertel besonders unter jungen Menschen bekannt. Sie beobachtet, dass ihre Musik bereits zu Veränderungen geführt hat: Die Jungs aus dem Viertel hätten begriffen, dass sie „Mädchen“ nicht „einfach so“ anfassen dürfen und dass Gewalt gegen Frauen nicht hinnehmbar sei.
In manchen Ländern kommen das feministische Engagement sowie die Rap-Karriere der Musikerinnen nicht gut an. Die marokkanische Künstlerin Krtas Nssa berichtet von körperlichen und verbalen Angriffen auf ihre Person und auf andere Rapperinnen. „Marokko toleriert keine rebellischen Frauen“, sagt sie. Die Künstlerin hat Marokko deswegen verlassen und lebt inzwischen in Brüssel. Anders als Khtek, ebenfalls aus Marokko, die den Kampf gegen jegliche Form von Diskriminierung – auch die der LGBTIQA+ Menschen – in ihrem Geburtsland austragen will.
Beim Vergleich der Künstlerinnen fällt auf, dass sie oftmals intersektionaler Diskriminierung ausgesetzt sind. Die beiden Rapperinnen aus Frankreich, Lean Chihiro und Meryl, erfahren aufgrund ihrer ethnischen Herkunft unterschiedliche Formen der Diskriminierung. Lean Chihiro wuchs im 18. Bezirk von Paris auf, zog später in das mondäne Viertel Marais. Dort erlebte sie als einzige Schwarze in der Klasse Rassismus, wie sie ihn bis zu dem Zeitpunkt noch nicht erfahren hatte.
Meryl wohnt hingegen auf der Insel Martinique, die 1635 kolonialisiert wurde und heute eine französische Überseeregion ist. Für Meryl ist klar, dass die Nachkommen indigener Völker immer noch anders behandelt werden, als die der Kolonialmächte. Sie spricht in ihrer Musik Missstände an, auf Kreolisch und Französisch. Kreolisch hat sie deshalb gewählt, weil es für sie die „Sprache des Widerstands“ ist. Auch Dee Koala thematisiert die Folgen politischer Unterdrückung: Die Rapperin erwähnt im Interview mit Arte die Auswirkungen der Apartheid in Südafrika auf ihren Alltag und auf das Leben in ihrem Viertel. Es ist von Armut die Rede, vom ständigen Kampf an die Spitze.
Hip-Hop als Zufluchtsort?
Auf diese Weise liefert die Miniserie Einblicke in die Rapszene, die weit über Musik hinausgehen. Die rückt tatsächlich in den Hintergrund und ist mehr Randerscheinung als Gegenstand der Erzählung. Die Zuschauer*innen müssen dementsprechend keine hartgesottenen Hip-Hop-Fans sein oder das Genre mögen.
Die vier kurzen Folgen – sie dauern zwischen zehn und fünfzehn Minuten – setzen bewusst Akzente bei der Betrachtung der Hip-Hop-Szene. Es ist erfreulich, dass der Fokus auf feministische Rapperinnen, auf Musikerinnen mit politischen Visionen liegt. Das hebt einmal mehr hervor, dass Kunst und Kultur mehr sind als bloße Unterhaltung. Für die porträtierten Musikerinnen ist die Rapszene ein Zufluchtsort und eine Ausdrucksmöglichkeit – und das teilweise in Ländern, in denen patriarchale Gesellschaften ihnen den Mund verbieten.
Historische Entwicklungen der Hip-Hop-Szene werden in der Serie angerissen, aber nicht weiter ausgeführt. Eine kritische Auseinandersetzung mit Sexismus innerhalb der Szene selbst fehlt. Das ist vor allem deshalb schade, weil die Musikerinnen fast alle von männlichen Vorbildern sprechen, unter anderem fällt der Name Chris Brown – ein Sänger, der wegen Körperverletzung an seiner Ex-Freundin verurteilt wurde. Darüber hinaus tritt in der Serie mit Deep Saint Jude eine queere Künstlerin auf, deren Geschichte als queere Künstlerin in Südafrika und später in London nur oberflächlich besprochen wird. Auch hier wäre mehr Tiefgang wünschenswert für alle, die an queeren Künstler*innen interessiert sind.
Wer von Hip-Hop nicht genug kriegen kann, sollte die Mediathek von Arte übrigens weiter durchstöbern: Seit Oktober gibt es dort den Schwerpunkt „Hip Hop Kultur“, unter dem das Publikum Dokus, Konzerte und andere Formate entdecken kann.