Mittlerer Osten: Wo sind die Guten?

Die Kurden, die Russen oder die Saudis, wer wird’s in Syrien richten? Die Suche nach Alliierten für eine militärische Lösung verstellt den Blick auf die politische Realität.

1359edito-INTERNET-SyriaEs ist menschlich. Konfrontiert mit den Bildern der Gewalt und den Zerstörungen eines fernen Krieges, suchen wir nach dem Schuldigen – und nach dem Gerechten, dem, der es richten wird, dem, für den wir Partei ergreifen können. Doch die Lage im Mittleren Osten ist kompliziert – hier kämpfen mindestens ein halbes Dutzend Parteien gegeneinander. Welche davon sind es wert, unterstützt zu werden?

Nach dem Anschlag auf einen Militärkonvoi am Mittwoch denken wohl viele als erstes an die Türkei, die offenbar Zielscheibe des internationalen Terrorismus ist – wie wir. Sollten wir also Ankara ermutigen, mit Bodentruppen in Syrien einzugreifen, um Frieden zu schaffen? Aber es gibt ja längst eine Kriegspartei, die als Bodentruppe des Westens bezeichnet wird: Die Kurden, die 2014 heldenhaft den Vormarsch des „Islamischen Staats“ (IS) gestoppt haben. Also verstärkte westliche Luftunterstützung für die Kurden? Möglicherweise, einfacher wäre jedoch, den IS von dem derzeit effizientesten Akteur bekämpfen zu lassen: den von der russischen Luftwaffe unterstützten Assad-Truppen. Oder sollten wir nicht doch eher auf den traditionsreichsten Alliierten des Westens setzen, auf Saudi-Arabien, das bereits im Jemen gegen die Huthi-Terroristen interveniert und überlegt, auch in Syrien einzugreifen? Ratlosigkeit.

Wer in der Auseinandersetzung die „Bösen“ sind, ist leichter zu klären. Es sind die von den Friedensverhandlungen ausgeschlossenen terroristischen Organisationen – „Barbaren, mit denen man sich nicht an einen Tisch setzen kann“, wie Außenminister Jean Asselborn im Deutschlandfunk-Interview sagte. Und die Besten unter den „Guten“ – das sind natürlich wir, die Staaten des menschenfreundlichen, friedliebenden Westens. In diesem Sinne ist es auch schwierig, sich gegen die von Armeeminister Étienne Schneider vorgeschlagene Anschaffung von A330- Flugzeugen zur Luftbetankung zu stellen. Diese sollen es der Nato einfacher machen, weltweit einzugreifen – für die gute Sache, versteht sich. Nicht verwunderlich, dass sogar Déi Lénk diese Anschaffung vor allem wegen der Kosten kritisiert („Kindergeld über Afghanistan?“).

An den anderen „Guten“ herumzumäkeln, ist da schon einfacher. So geht der türkische Staat im Rahmen des Kriegs gegen den Terror vor allem gegen kurdische Gruppen vor, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Weil das Land aber ein Nato-Mitglied und ein wichtiger Partner bei der „Eindämmung“ der Flüchtlingsströme ist, schweigt der Westen hierzu. Die Kurden selber wiederum kämpfen weniger für die gute als für die eigene Sache – und arrangieren sich schon mal mit dem IS, wenn es darum geht, ihr Territorium auszuweiten. Der Westen trägt insofern dazu bei, als er sie zwar militärisch unterstützt, ihnen aber keine klaren politischen Perspektiven anbietet.

Russlands Vorgehensweise unterscheidet sich nicht grundlegend von der des Westens.

Die Untaten des Assad-Regimes wiederum sind und waren schwer zu übersehen, selbst als der IS zum prioritären Gegner erklärt wurde. Auch die Rolle Russlands wird nach zahlreichen Bombardierungen von zivilen Zielen wieder weniger positiv gesehen. Allerdings unterscheidet sich die Vorgehensweise Russlands nicht grundlegend von der des Westens, der bei seinen „gezielten“ Luftschlägen massive „Kollateralschäden“ verursacht. Was Saudi-Arabien angeht, so ist der reaktionäre und unterdrückerische Charakter seines Regimes vielen Menschen im Westen seit langem ein Dorn im Auge – was aber die Beziehungen zum größten Erdölförderer der Welt kaum belastet.

Kein Wunder, dass die westliche Rhetorik eines Kriegs der Zivilisation gegen die Barbarei jenseits des Einflussbereichs unserer Massenmedien auf Skepsis stößt. Soll man deshalb zum Zyniker werden, sich gar auf die Seite der „Bösen“ schlagen, weil die „Guten“ nicht wirklich gut sind? Sinnvoller ist es, ein gesundes Misstrauen zu entwickeln gegenüber den einfachen – und schnell veränderlichen – Zuschreibungen von Gut und Böse. Und Bescheidenheit gegenüber den Handlungsmöglichkeiten des Westens – mal kurz intervenieren und Frieden stiften, das ist von Irak bis Mali schiefgegangen. Höchste Zeit deshalb, Macht und Geld endlich für politische statt militärische Lösungen einzusetzen.


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