Mobilität und Umweltpolitik
: Tabula rasa und Kontinuität

Obwohl das Regierungsprogramm in vielen Punkten äußerst vage gehalten ist, lassen sich Tendenzen feststellen. Während die Mobilitätspolitik scheinbar fest auf Schienen steht, soll die Umweltgesetzgebung überarbeitet werden.

Skeptische Blicke: Am vergangenen Freitag übergab Joëlle Welfring (Déi Gréng) ihr Amt an den neuen Umweltminister Serge Wilmes (CSV). Er soll die Umweltgesetzgebung „pragmatischer“ machen. (Foto: © SIP/Sophie Margue)

Eigentlich sollte es erst am Montag erscheinen, doch am Freitag leakten die Kolleg*innen von Reporter.lu, 100,7 und RTL das Koalitionsabkommen bereits. Seit dieser Woche ist das in vielen Punkten äußerst vage und mit Vorbehalten formulierte 209-seitige Dokument Regierungsprogramm. Wir haben uns zwei woxx-Herzensthemen herausgesucht und unter die Lupe genommen: Mobilität und Umweltpolitik.

Beide sind Sorgenkinder in Luxemburg, doch vor allem bei der Mobilität hatte man das Gefühl, dass viele Anstrengungen verpufften. Nicht nur, dass die Staus gefühlt täglich länger werden, auch die hohen Treibhausgasemissionen des Sektors verpesten die Luft und verschlechtern die Klimabilanz. Im Wahlkampf wurde vor allem versucht, einen ideologischen Kampf gegen den Verbrennungsmotor herbeizureden. Auf der Seite der vermeintlichen Retter*innen der individuellen Motorisierung standen auch die DP und die CSV. Das Kapitel über Mobilität in ihrem Koalitionsabkommen liest sich aber zu einem großen Teil wie eine Fortsetzung der Politik von François Bausch. Die Mobilität soll eine der Prioritäten der neuen Regierung sein – auf lediglich sechs knappen Seiten wird vor allem das beschrieben, was ohnehin bereits im Nationalen Mobilitätsplan 2035 (PNM, siehe woxx 1682) steht.

So soll die Kapazität der Eisenbahn ausgebaut werden, ohne aber zu erwähnen, dass die CFL ohnehin schon neue Züge bestellt hat, die viel mehr Passagier*innen aufnehmen können. Bei eingleisigen Strecken wie zwischen Sandweiler/Contern und Oetrange, Luxemburg-Stadt und Wasserbillig sowie Ettelbrück und Ulflingen will die neue Koalition prüfen, ob es möglich ist, sie zweigleisig auszubauen. Aus den Wahlversprechen, Luxemburg besser an das europäische Eisenbahnnetz anzuschließen, sind nun Willensbekundungen geworden – man will bei den Nachbarn intervenieren und eine mögliche Strecke nach Saarbrücken prüfen.

Eine Tram nach Nirgendwo

Auch bei der Tram ernüchtert der Unterschied zwischen Versprechen und möglicher Realität: Die CSV wollte das Tramnetz nach Niederanven, Munsbach, Sandweiler und Contern verlängern, die DP wollte nach Junglinster und prüfen, ob es eine Nordstad-Tram geben könnte. Geworden ist daraus: Die geplante schnelle Tram zwischen Luxemburg und Esch kommt, andere Möglichkeiten werden „im konstanten Dialog mit den betroffenen Akteuren“ geprüft.

Fahrradfahrer*innen will die neue Regierung erziehen: Die CSV hatte versprochen, alle Haushalte mit den fahrradspezifischen Auszügen aus dem Code de la Route zu versorgen, im Regierungsprogramm ist nun eine Sensibilisierungskampagne daraus geworden. Eine Maßnahme, die bei vielen Fahrradaktivist*innen auf Unmut stößt: „ça promet … ! De Cyclisten am Koalitiounsaccord ze ënnerstellen, dass se de Code de la Route net kennen ass Cyclistebashing a Victim Blaming par excellence an huet mat enger moderner Approche zur Verkéierssécherheet näischt ze dinn“, schrieb etwa „Siggy the Cyclist“ auf X, vormals Twitter. Fahrradwege will die Regierung dennoch bauen, außerdem soll man Fahrräder und Elektroscooter auch zu Stoßzeiten in Bus und Tram mitnehmen können.

Interessanterweise steht im Abschnitt über Autos, dass der öffentliche Raum vor allem Fußgänger*innen und der aktiven Mobilität gehören soll, weswegen 30- oder gar 20-km/h-Zonen innerorts „gefördert“ werden sollen. Straßen sollen dennoch weiter gebaut werden, und das schneller als bisher. Die N7 soll vierspurig ausgebaut werden, andere Straßen sollen durch ein „dynamisches Verkehrsmanagement“ besser genutzt werden. Autobahnen könnten auf drei Spuren ausgebaut werden, wobei eine Spur für den öffentlichen Transport und Carsharing reserviert sei. Wie viel von dieser Idee übrig bleibt, wenn die Autobahn erst einmal gebaut ist, steht in den Sternen. Grundsätzlich gilt ohnehin: Wer Straßen säht, wird Verkehr ernten.

Und was passiert mit dem Verbrennungsmotor? Der wird vermutlich verschwinden. Das lässt sich zumindest so herauslesen: „Im Kontext der emissionsfreien Mobilität bleibt Luxemburg offen für technologische Entwicklungen und wird die effizientesten Technologien in ihren jeweiligen Bereichen unter Berücksichtigung aller Faktoren, insbesondere Umweltfaktoren, unterstützen“, heißt es im Koalitionsvertrag. Das wird wohl kaum auf sogenannte E-Fuels zutreffen, die um ein Vielfaches weniger effizient sind als Elektromobilität mit Batteriespeicher.

Muss Umweltpolitik nerven?

„Eine Umwelt- und Klimapolitik, die die Menschen begeistert statt nervt“, so drückte Premierminister Frieden seinen Willen am vergangenen Mittwoch aus, als er seine Regierungserklärung im Parlament abgab. Die sollte den nötigen Kontext zu den Details des Regierungsprogramms geben. Wenig begeisternd ist der aktuelle Stand: Die Biodiversität geht zurück, Ökosysteme sind zerschnitten und die Umwelt ist verschmutzt – das erkennt auch die neue Regierung an. Über dem Klimaschutz steht jedoch der „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“, über dem Naturschutz der vorgebliche „Pragmatismus“.

Die neue Regierung will jedoch nicht unbedingt aus den Plänen der alten aussteigen: Der dritte nationale Naturschutzplan (PNPN3), der Wasser-Bewirtschaftungsplan und auch der nationale Energie- und Klimaplan sollen weiter ausgeführt werden wie geplant. Bei letzterem hätte – EU verpflichtet – die neue Regierung ohnehin wenig Ermessensspielraum gehabt.

Ansonsten regieren beim Umweltschutz weder Luc Frieden noch Serge Wilmes, sondern König Pragmatismus: Die entsprechenden Gesetzestexte sollen überprüft werden, um sie zu vereinfachen und Prozeduren zu beschleunigen. Als wäre der Wahlkampf noch nicht vorbei, wird mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, Fahrradwegen und Wohngebäuden argumentiert. Auch die Kompensationsmaßnahmen sollen „flexibler“ gestaltet werden, zum Beispiel indem es möglich werden soll, „Ökopunkte“ bereits vor Durchführung einer umweltschädlichen Maßnahme zu sammeln.

Scharfe Kritik aus der Zivilgesellschaft

Ein Element, das neben DP und CSV auch Déi Gréng (zumindest unter dem gleichen Namen) im Wahlprogramm hatten, ist die „Natur auf Zeit“: Wenn in einem urbanen Gebiet etwas wächst oder herumkriecht, was eigentlich geschützt ist, sollen Naturschutzgesetze nicht greifen. Dazu passt auch, dass generell mehr Grün im öffentlichen Raum entstehen soll – ob der neue Umweltminister das landesweit besser hinkriegt als in Luxemburg-Stadt?

Der Mouvement écologique zieht nach der Lektüre des Regierungsprogramms eine gemischte Bilanz: Die neue Regierung führe zwar eine Reihe „wichtige und positive Instrumente“ an, setze aber zu stark auf Freiwilligkeit, „konsensorientierte Instrumente und prioritär auf eine Anreizpolitik“. Es sei außerdem nicht erkennbar, „ob die CSV-DP Regierung effektiv die Dringlichkeit der Klima- und Biodiversitätskrise erkannt“ habe. Diese könnten nicht mit sogenannten „pragmatischen Lösungen“ angegangen werden. Der Méco wünscht sich stattdessen mehr Konsequenz bei strukturellen Reformen, die zu einem nachhaltigeren Wirtschaftsmodell führen.

Auch Greenpeace teilt die Einschätzung des Méco: „Für Greenpeace steht der Schutz unseres Planeten jedoch an erster Stelle, und für die Erhaltung des Klimas und der biologischen Vielfalt muss daher genügend Zeit eingeräumt werden, selbst wenn dies einschränkend sein sollte“, so die Umweltschutz-NGO in einer Pressemitteilung. In der kündigt sie auch an, „jegliche Maßnahmen, mit denen der Umweltschutz geschmälert werden soll, aufmerksam verfolgen“ zu wollen. Eine Aufgabe, der sich neben großen Teilen der Zivilgesellschaft wohl auch die linken Oppositionsparteien anschließen werden.


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