Kleinherzigkeit im Großherzogtum: Krampf ums Klima

Wann, wie und wer? Drei bei der Bekämpfung des Klimawandels entscheidende Fragen, die der Luxemburger Premier nicht befriedigend beantworten kann. Damit steht er nicht allein unter den Politiker*innen dieses Planeten.

My car and my castle. Mit Technologie und Klima-Trödelei Luxemburgs Lebensstil und seine Interessen bewahren. (Wikimedia; Szilas; CC BY-SA 4.0)

Sieht Luc Frieden das Klimaproblem zu „entspannt“? Eine diesbezügliche Aussage des Premiers in seinem RTL-Neujahrsinterview hat für Entrüstung gesorgt. Dieser Vorwurf stellt jedoch nicht nur eine Verdrehung seiner Aussage dar, sondern lenkt von den wirklichen Unzulänglichkeiten in Friedens Analysen ab. Allerdings steht der Luxemburger Regierungschef mit seinen Schwierigkeiten, die Herausforderungen der Klimakrise zu erfassen, nicht allein da, wie das enttäuschende, aber vielfach gefeierte Abschlussdokument der COP28 erneut gezeigt hat (woxx 1765). Umso lohnender, sich mit drei entscheidenden Aspekten seiner Ausgaben zur Klimapolitik zu befassen.

Fossil schlimmer als nuklear

In Sachen Klima sehe er die Dinge positiv, aber entspannt, nein, das sei „vielleicht zu relax“ ausgedrückt – das ist es, was Frieden wirklich gesagt hat. Immerhin sei man sich, anders als vor zehn Jahren, einig über die Richtung, in die es gehen solle, so der Premierminister zum Kampf gegen die Erderwärmung. Was aber die Geschwindigkeit, mit der man sich dahin bewege, angeht, so solle man das „etwas weniger verkrampft“ sehen. Und weiter: Realistischerweise solle man beim Ausstieg aus fossilen Energien – wie auch aus der Atomenergie – „etappenweise“ vorgehen, es müsse „nicht alles an einem Tag geschehen, solange man nur das Ziel nicht aus den Augen verliert“.

Interessanterweise werfen zum Beispiel Déi Jonk Gréng dem Premier vor, fossile Energien und Atomenergie „schönzureden“. Dabei verstellt die (nachvollziehbare) Dämonisierung der Atomindustrie den Blick auf das wirklich Problematische in Friedens Positionierung. Die Auswirkungen der Nutzung nuklearer Energie sind nämlich direkt (wenn auch lange anhaltend) und linear, wohingegen die Folgen der Verbrennung fossiler Energie zeitversetzt eintreten und mit nichtlinearen Effekten wie Kipppunkten einhergehen. Mit anderen Worten, wenn Frieden den notwendigen Ausstieg aus den fossilen Energien und aus der Atomenergie in einem Atemzug nennt, verkennt er die Dramatik des Treibhauseffekts. Weil eine Senkung der CO2-Emissionen nicht konsequent genug angegangen wurde, läuft die Zeit davon. Das eigentliche Ziel ist nicht der Ausstieg, sondern die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad. Es reicht dabei nicht, es „nicht aus den Augen zu verlieren“, denn dieses Ziel ist beweglich und wird in den nächsten paar Jahren voraussichtlich außer Reichweite rücken, wenn die ganze Welt so „entkrampft“ bleibt wie der Luxemburger Premier.

Friedens Rhetorik wirkt, weil sie vernünftig klingt: Etappenweise vorgehen, Balance zwischen Politik für die Natur und für den Menschen, Wichtigkeit der kurzfristigen Bedürfnisse der luxemburgischen Gesellschaft, zum Beispiel im Wohnungsbereich … Doch diese Ansätze zeugen von einer mechanistischen Weltsicht, die der Komplexität der Herausforderungen nicht gerecht wird. Über die abgedroschene, aber nicht falsche Phrase „Naturschutz ist Menschenschutz“ hinaus gilt gerade bei der Erfüllung von gesellschaftlichen Bedürfnissen, dass kurzfristige Politik in die Sackgasse führt. So lässt sich die in Jahrzehnten des Laisser-faire begründete Wohnungsnot zum einen nicht von heute auf morgen lösen, zum anderen stellt die Siedlungspolitik von heute die Weichen für die Mobilitätsbedürfnisse von morgen. Konkret: Wird unter Hinweis auf die Dringlichkeit der Wohnungskrise die Suburbanisierung vorangetrieben, so wird die Siedlungsstruktur in fünfzehn Jahren mehr denn je auf das unnachhaltige Verkehrsmittel Auto ausgerichtet sein. Gewiss, der Kampf gegen den Klimawandel ist ein mittel-und langfristiges Unterfangen, wie Frieden listig erklärt, doch seine Priorität deswegen zurückzustufen, ist absurd: Aufgrund der Versäumnisse der vergangenen Jahrzehnte müsste nun die „große Transition“ kurzfristig eingeleitet werden.

Geld macht nachhaltig?

Beim Wann der Bekämpfung des Klimawandels hat Frieden Farbe bekannt: Er will weitertrödeln wie bisher. Mit dem Spruch vom Umweltschutz, „der nicht nervt“, hat er das Terrain für Untätigkeit vorbereitet; den Klimaplan der vorangegangenen Regierung umzusetzen, wird wenig bewegen. Déi Gréng, die diesen Plan in ihr Wahlprogramm aufgenommen hatten, tun sich jetzt schwer damit, eine ambitiösere Klimapolitik zu fordern. Auch von der EU sind keine neuen Impulse zu erwarten: Nach den Wahlen zum Europaparlament im Juni dürfte eine große Koalition die Politik der kleinen Schritte fortführen; kommt es zu einem Rechtsruck, so sind sogar Rückschritte zu erwarten. Dabei müsste das EU-Ziel für 2030 dringend an den Stand der Forschung angepasst werden: Statt einer Netto-CO2-Senkung um 55 Prozent gegenüber 1990 fordert das Climate Action Network Europe 76 Prozent. Auf europäischer wie auf nationaler Ebene gilt: Sich mit 55 Prozent begnügen, mag wirtschaftlich und politisch „realistisch“ erscheinen, aus Sicht der Geophysik ist es jedoch völlig unrealistisch, damit den Klimawandel zu stoppen.

Auch beim Wie der Klimapolitik enthält Friedens Interview eine wenig bemerkte, aber symbolträchtige Aussage: Man dürfe der Wirtschaft nicht zu viele Einschränkungen auferlegen, sonst habe man nicht mehr genug Geld, um die Klimapolitik überhaupt zu finanzieren. Das erinnert an das Credo liberaler Sozialdemokrat*innen, die ihre Wirtschaftsfreundlichkeit damit rechtfertigten, dass man den Wohlstand erst erwirtschaften müsse, bevor man ihn verteile – eine These, aus der unter anderem die soziale und politische „Erfolgsstory“ der Agenda 2010 hervorging. Richtig an diesen Ansätzen ist, dass Umwelt- wie Sozialpolitik nicht isoliert von wirtschaftlichen Aspekten diskutiert werden sollten. Der Denkfehler aber liegt in der Trennung zwischen produktiver und distributiver Sphäre, die nur durch einen Geldfluss verbunden werden. Dabei stellt der Zustand der Umwelt die Grundlage, jener der Gesellschaft den Rahmen für jedwede wirtschaftliche Aktivität dar.

Eine sinnvolle Klimapolitik setzt deshalb auf Umbau der Wirtschaft – was ansatzweise ja bereits geschieht –, aber auch auf Veränderung der Konsumgewohnheiten – wofür es politischen Mut braucht. Im Mittelpunkt steht die Transition mittels regulatorischer und steuerlicher Maßnahmen; finanzielle Förderung kann sich auf eine Übergangsphase beschränken. Wenn, wie zu erwarten, in den kommenden Jahrzehnten die Wirtschaftsleistung stagniert und die Ausgaben steigen, stellen sich andere Fragen als die der wirtschaftlichen Deregulierung. Man wird sich zwischen dem Ausbau des Straßen- und des Schienennetzes entscheiden müssen; auch eine ökosoziale Steuerreform, die viel stärker umverteilt, rückt dann auf die Tagesordnung – auf beides ist die jetzige CSV-DP-Regierung eher nicht eingestellt.

Wer lacht zuletzt?

Die Frage des Wie der Klimapolitik lässt sich allerdings breiter fassen, über die Grenzen der von Luc Frieden vertretenen liberalen, technologischen und nationalen Logik hinaus. Die starke Marktorientierung der Klimapolitiken weltweit, die sich unter anderem in CO2-Steuern und -Quoten niederschlägt, dürfte die sozialen Ungerechtigkeiten verschärfen und Ablehnung hervorrufen. Technologiefreundlichkeit, zu der sich Frieden bekennt, kann helfen, den Weg für neue Lösungen zu öffnen. Sie kann aber auch zu einem technokratischen Ausblenden menschlicher und gesellschaftlicher Faktoren führen – oder einfach nur genutzt werden, um die eigene Untätigkeit zu rechtfertigen. Und schließlich gilt es nicht nur, Klimaschutz in den Industrieländern zu finanzieren, sondern auch den Klimaschutz und das Aufkommen für Klimaschäden im globalen Süden. Weder aus dem Regierungsprogramm noch aus Friedens Aussagen lässt sich ein Engagement in diesem Sinne erkennen.

Im Gegenteil: Im Neujahrsinterview unterstrich der Premier, Klimaschutz sei eine globale Verantwortung – um auszudrücken, Luxemburg und die EU tue das Ihre; der Rest der Welt sei das Problem. Frieden warnte auch davor im europäischen Alleingang besonders einschneidende Maßnahmen zu ergreifen, während der Rest der Welt „sich ins Fäustchen lacht“. Das zeugt von einer Sicht auf die internationalen Beziehungen, in der Staat gegen Staat, oder Block gegen Block konkurriert. Die Klimakrise wird damit zu einem Spiel, in dem jedes Land die eigenen klimatischen, aber vor allem wirtschaftlichen Interessen vertritt – und niemand die des Planeten als Ganzes.

Wer soll den Klimawandel bekämpfen? Wir alle – zu vage; eine Weltregierung – gibt’s nicht. Nationale Regierungen, die einsehen, dass es in aller Interesse liegt, zusammenzuarbeiten – ob es die gibt, ist fraglich. Die Geopolitik des Klimawandels ist mindestens so sehr von Selbstschutzmaßnahmen, Konkurrenzdenken, ja Vorteilsnahme geprägt als von Kooperation, wie ein Blick in die entsprechende Sondernummer der französischen Zeitschrift Diplomatie zeigt. Klimamigration, Biodiversitätskrise, Klimabombe Mittelmeerraum, Rolle der Armeen – das sind einige der behandelten Themen. Im geopolitischen Kontext ist die Klimakrise an erster Stelle eine Quelle von Bedrohungen, denen die verschiedenen Nationalstaaten entgegentreten müssen.

Das führt nicht zwangsläufig zu Klimakriegen; im Interview gibt sich der Experte Pierre Blanc eher skeptisch: Kriege wie in Syrien oder Darfur seien durch zahlreiche verschiedene Faktoren bedingt. Er führt auch Beispiele für Gewinner der Erderwärmung an: Russland werde neue Anbaugebiete für Weizen erschließen und die Nordostpassage entlang seiner Nordküste nutzen können. Indirekt begünstigt werden auch die Länder mit Rohstoffreserven für die Energietransition – Blanc nennt China, Russland und die Länder im südamerikanischen „Lithiumdreieck“. Ein anderer Beitrag verdeutlicht, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht nur eine Chance ist: Im geopolitischen Machtkampf wird versucht, die technologische und industrielle Entwicklung des Gegners zu behindern, wie die Exportbeschränkungen für westliche Mikrochips nach China und für chinesische „Seltene Erden“ zeigen.

Innen- statt Geopolitik

Grund zur Hoffnung kann man aus den Überlegungen zur „Machtpolitik für das Klima“ ziehen. Für Pierre Blanc ist die Zeit der auf der Nutzung fossiler Energien aufbauenden Macht, also „gegen das Klima“, vorbei. Die Unzufriedenheit der unverschuldet unter den Folgen des Klimawandels leidenden Länder zwinge die Großmächte, sich am Kampf gegen den Klimawandel zu beteiligen. Insbesondere die EU setze, trotz aller Unzulänglichkeiten, auf ihre Klimapolitik als Soft-Power-Faktor – eine Einsicht, die sich im Hôtel Saint-Maximin noch nicht durchgesetzt hat.

Fraglich ist allerdings, ob dieser Druck zur internationalen Kooperation bei der Klimapolitik dem Zentrifugaleffekt der internationalen Krisen standhalten kann. Seit der Ukraine-Invasion und der Zuspitzung der Spannungen zwischen den USA und China orientiert sich die internationale Politik wieder stärker an direkten nationalen Interessen. Das kann in ein Szenario münden, in dem jede Großmacht versucht, den Klimaschutz auf die anderen abzuwälzen (wie es mehrere US-Präsidenten vorgemacht haben). Im Extremfall kommt es zu einem großen Krieg zwischen China und den USA, mit katastrophalen Folgen auch für den CO2-Ausstoß und das Klima.

Doch auch wenn sich die beiden Supermächte dauerhaft miteinander arrangieren, kann das problematische Folgen haben. Gemeinsam könnten sie dem Rest der Welt ihre klimapolitischen Optionen diktieren. Denkbar wären Schutzgebiete auf Kosten der dort lebenden Bevölkerung, Tausch von Land gegen Schuldenerlass oder ein Carbon-Offset-Mechanismus, bei dem die USA Projekte in China finanzieren und damit ihr Reduktionsziel „erfüllen“ – auch wenn sich der Deal später als Mogelpackung erweist … Am Ende werden dann neue Schäden, neue Revolten und mehr Uneinigkeit stehen.

Klar ist, die notwendigen weltweiten Kursänderungen lassen sich nicht in einem rein geopolitischen Rahmen – als System von Nationalstaaten – umsetzen. Zu groß ist das Misstrauen, zu verlockend das Ausspielen der eigenen Vorteile oder die Trittbrettfahrerei, zu stark der innenpolitische Druck, nur die eigenen Interessen zu berücksichtigen. Wenn es schon keine Weltregierung gibt, so ist doch das Paradigma einer Welt-Innenpolitik unabdingbar. Im Ansatz bestehende Elemente wie der Green Climate Fund oder der Fonds für Loss and Damage könnten Teil eines Global Green New Deal werden, um sowohl Klima- und Biodiversitätskrise als auch Nord-Süd-Ungerechtigkeiten anzugehen. Vielleicht gelingt es dabei ja dem listigen Luc Frieden, Luxemburg aus allen Verpflichtungen herauszuhalten, und er kann sich am Ende ins Fäustchen lachen.


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