Weltmusikmesse Womex
: Innovation und Tradition


Auch dieses Jahr präsentierte die Weltmusikmesse Womex wieder außergewöhnliche Musik jenseits des Mainstreams. Die Höhepunkte im Überblick.

Die brasilianische Akkordeonistin Lívia Mattos zählte zu den besten Acts der Womex. (COPYRIGHT: Willi Klopottek)

Vom 25. bis 29. Oktober fand in Nordwestspanien, im galizischen A Coruña, die 29. Weltmusikmesse Womex statt, an der mehr als 2.700 Delegierte, Vertreter*innen von Plattenfirmen und Konzertagent*innen teilnahmen. Neben der Messe hatte eine fünfköpfige Jury wieder Künstler*innen von allen Erdteilen für rund 60 Kurzkonzerte, auch Showcases genannt, ausgewählt: Nonstop und mit vielen Überschneidungen präsentierten sie von 21 Uhr bis halb zwei in der Nacht ihre Musik. Das Besondere an der Womex? Hier kann man jenseits des Mainstreams von Rock, Pop, Blues, Indie und Jazz ganz traditionelle, akustische Musikstile sowie kreative Neuinterpretationen der Traditionen erleben, sei es in elektrisch verstärkter Form, mit Einsatz von Elektronik oder durch Cross-Over-Vermischung.

Dieses Jahr war die Elektronik-Fraktion stark vertreten und hinterließ gemischte Gefühle bei zahlreichen Besucher*innen, weil interessante melodische Ansätze vom Dröhnen der Sub-Bässe und dynamische Rhythmen von knalligen Beats erdrückt wurden. Es gab dennoch jede Menge Begeisterndes zu entdecken. Allgemein haben auf der diesjährigen Womex vor allem Frauen eine bedeutende Rolle gespielt.

Höhepunkte aus der 
traditionellen Sparte

Die heute in Deutschland lebende Iranerin Elshan Ghasimi zelebrierte auf ihrer Tar, einer achtförmigen, bauchigen Laute, die klassische persische Musikform des Radif, die im Westen nur selten zu hören ist. Mit feinen Tontupfern beginnend, entfaltete sie mit hoher Intensität einen bunten Reigen melodischer Figuren.

Dass auch in Europa ganz ungewöhnliche Töne zu entdecken sind, zeigte die finnische Sámi-Sängerin Ánnámáret mit ihrem Joik-Gesang. Begleitet von einem Elektroniker und Flötenspieler sowie der alten Jouhikko-Leier zeigte sie, wie stark sich die Sámi musikalisch von den Naturgeräuschen ihrer Heimat beeinflussen lassen. Ganz außergewöhnlich virtuos und anders als das, was man sonst aus Europa kennt.

Durchaus bekannter sind hingegen die Klänge der Roma aus Ungarn. Dass auch in der Slowakei eine starke Roma-Gemeinschaft zu Hause ist, die auf die dortige Musikszene einen großen Einfluss hat, wissen jedoch viele nicht. Umso schöner, dass die junge Slowakin Júlia Kozáková, die selbst keine Romni ist, mit dem Roma-Ensemble Manuša aufspielte. Eine sehr schöne Stimme, eine sehr herzliche Ausstrahlung und eine vierköpfige Band, in der besonders zwei Virtuosen mit Geige und Cimbalom-Hackbrett glänzten.

Bei der Eröffnungsveranstaltung verblüffte das Frauen-Duo Caamaño & Ameixeiras, bestehend aus Sabela Caamaño am Akkordeon und Antía Ameixeiras mit Violine und Gesang, mit – trotz spartanischer Instrumentierung – in hoher Intensität vorgetragener galizischer Musik, die auch andere Einflüsse miteinbezieht.

Ein seltenes, bewegendes Konzert-
erlebnis gab es außerdem beim Showcase von Nimkii and the Niniis, einem Ensemble der indigenen Volksgruppe der Anishinabe aus dem Norden Kanadas, das seine rituellen, von Perkussion begleiteten Gesänge auf die Bühne brachte. Wie bei zahlreichen anderen indigenen Völkern, haben Musik und Tanz hier eine tiefere Bedeutung, zum Beispiel als Beschwörung der engen Beziehung der Menschen zu der sie umgebenden Natur. Im Zuge des Konzerts gab es erklärende Erläuterungen, um dem Publikum dieses Zusammenspiel verständlich zu machen.

Ähnlich spannend war aber auch das Konzert von Ustad Noor Bakhsh aus dem pakistanischen Belutschistan. Der über 70 Jahre alte Musiker wurde von einem Lautenspieler begleitet und spielte ruhige wie schnellere Stücke auf der elektrisch verstärkten Brettzither Benju, einem von ihm selbst modifizierten Kinderinstrument aus Japan. Hochinteressant, das andere Musikverständnis des Ostens mal wieder live erleben zu können!

Zeitgenössische Formen

Aus der experimentellen Abteilung kommt das Trio Avalanche Kaito, mit einem Gitarristen und einem Schlagzeuger aus Belgien. Der Sänger Kaito Wimse, der auch Flöte und Tama-Trommel spielt, kommt aus Burkina Faso, traf die beiden anderen Musiker in Brüssel und wollte etwas Neues kreieren. Herausgekommen ist eine wuchtige Mischung aus „noisigem“ Rock, angetrieben von druckvollen Drums und verzerrten, lauten Gitarrentönen in Kombination mit dem unkonventionellen Gesangsstil des Shouters Kaito, der offenbar auch von den Vokalformen in seiner Heimat beeinflusst ist.

In Bezug auf moderne, zeitgenössische Musik ist mir außerdem Folgendes besonders aufgefallen: Florence Adooni aus dem Norden Ghanas brachte das Veranstaltungszelt mit Highlife und einer scharfen Bläsersektion zum Tanzen. Auch die aus Bahia stammende Brasilianerin Lívia Mattos ist eine energiegeladene und druckvolle Akkordeonistin, eine expressive Sängerin und auf der Bühne ständig unterwegs. Daraus ergibt sich eine atemberaubende Dynamik mit Begleitung von Tuba und Drums.

Aufregend war auch das Konzert der jungen, aus Kuba stammenden Sängerin und Cellistin Anna Carla Maza, die mit ihrem Instrument, begleitet von Piano und Schlagzeug, eine Mischung verschiedener lateinamerikanischer Stile darbot, von Rumba über Cumbia bis zu Piazzollas Tango. Eine strahlende Persönlichkeit mit ausdrucksstarker Stimme und unglaublich expressivem Cellospiel!

Neben Lateinamerika war auch Portugal auf der Womex vertreten: Eigentlich gilt der portugiesische Fado als die melancholische Musik Portugals – dass Fado aber auch ganz anders geht, zeigte die erst 23-jährige, aus Coimbra stammende Beatriz Rosário mit ihrem elektrisch verstärkten Pop-Rock-Fado. Mit einer lebendigen Bühnenshow und originellem Outfit beeindruckte sie das Publikum. Sie könnte auch beinharte Fado-Kritiker*innen überzeugen.

Den „Artist Award der WOMEX 23“ erhielt übrigens die aus Soweto stammende Gruppe Bantu Continua Uhuru Consciousness (BCUC). Diese südafrikanische Band, die ihren mehrstimmigen Gesang lediglich mit Trommeln und einem Elektro-Bass begleitet, hatte einen furiosen, athletischen Auftritt, bei dem sie den südafrikanischen House-Stil Kwaito mit Gumboots-Anklängen und Gospel zu einem ganz eigenständigen Mix verband und die Anwesenden von den Stühlen riss. Für mich ganz überraschend und erfreulich: BCUC war wenige Tage zuvor zum Konzert in Luxemburg.

Von etlichen der Künstler*innen sind Alben verfügbar. Es wäre schön, wenn die luxemburgischen Veran-
stalter*innen, von denen leider niemand vor Ort war, auch auf die anderen Acts neugierig wären und sie einladen würden. Inspiration gab es, wie gesagt, zur Genüge. Das aufgeschlossene Luxemburger Publikum hätte es jedenfalls verdient, diese spannende Vielfalt der Weltmusikszene hierzulande zu erleben.


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