Die Netflix-Dokumentation Circus of Books porträtiert die Familie Mason. Ihre Geschichte ist Porno, ambivalent und emotional.
„Rachel, das wird ein langweiliges Video“, sagt Karen Mason und füllt einen Krug mit Wasser. Das Bild ist verpixelt. Die Kameraführung schlecht. Hinter der Linse: Ihre Tochter Rachel, die Jahre später in der Netflix-Doku Circus of Books Regie führen wird. Mit Zirkus hat die Dokumentation wenig zu tun, dafür aber mit dem gleichnamigen Pornoladen in der Nähe von Los Angeles: Karen und Barry Mason, Rachels Eltern, verkauften von 1982 bis 2019 Hardcore-Schwulenpornos, Sextoys und queere Literatur in West Hollywood.
Wer hinter den beiden ein altes Hippie-Paar mit Blumenkranz und offenem Leinenhemd vermutet, irrt. Karen, ehemalige Journalistin, ist konservative Jüdin und grantig. Barry war Ingenieur für Spezialeffekte und Erfinder. Er hat tatsächlich ein bisschen was von Daniel Düsentrieb, wenn er mit Halbglatze und Hawaiihemd neben Karen sitzt und in die Kamera lächelt. Beide hatten andere Karrierepläne, als sie 1982 den Pornoladen Circus of Books, gegründet in den 1960er-Jahren, aufkauften. Was anfangs nur als Zwischenlösung gedacht war, um sich über Wasser zu halten, entwickelte sich zu einem langfristigen Geschäft. Rachel und ihre Geschwister wussten lange Zeit nicht, womit ihre Eltern Geld verdienten. „Wir wollten nicht, dass sie wissen, was wir taten“, sagt Karen. Barry und sie befürchteten die Ausgrenzung ihrer Kinder und die Stigmatisierung der Familie, zumal Karen aus religiösen Gründen nicht mit Obszönität in Verbindung gebracht werden wollte. Die Kinder wussten, dass ihre Eltern eine Buchhandlung betreiben. Dass es sich dabei um einen Kultladen und den Treffpunkt der kalifornischen Schwulenszene schlechthin handelte, erfuhren sie erst spät.
Vielleicht wirkt die Dokumentation auch deswegen ein Stück weit wie die Aufarbeitung der Familiengeschichte der Masons. Wir sehen Barry zu, wie er sein Müsli zusammenmischt. Wir begleiten Karen zur Erotikmesse und kriegen mit, wie sie Rachel auf dem Parkplatz anmotzt. Wir erfahren auch, dass einer von Rachels Brüdern, Josh, schwul ist. Wenn die Regisseurin mit ihm über sein Coming-out spricht, wird sie selbst weinend eingeblendet. Es ist eine der eindrücklichsten Szenen der Dokumentation, weil die Kluft zwischen Privat- und Berufsleben der Masons gut zum Ausdruck kommt. Karen und Barry waren Ikonen der kalifornischen Schwulenszene und produzierten selbst Pornos. Ihr eigener Sohn zögerte jedoch sein Coming-out hinaus. „Gott bestraft mich wohl“, erinnert sich Karen in der Doku an ihre damalige Reaktion, „bis dahin hatte es nur irgendwo außerhalb meiner Grundwerte existiert. Es war für mich okay, wenn jemand schwul war, aber ich war nicht bereit dafür, ein schwules Kind zu haben.“ Ihr Ehemann Barry hingegen hatte mit der Homosexualität seines Sohnes weniger Probleme.
Die Regisseurin versucht die Familiengeschichte auf diese Weise mit den politischen und sozialen Umständen zusammenzubringen, unter denen Karen und Barry den Laden führten. Es gelingt ihr, auch wenn die Übergänge manchmal holprig sind. Der Hass auf Schwule, Verurteilungen aufgrund des Vertriebs pornografischer Ware, der Ausbruch der Aids-Pandemie: Die 1980er und 1990er-Jahre waren besonders schwere Zeiten für queere Menschen und ihre Unterstützer*innen. Unter Ronald Reagans Präsidentschaft wurde Barry Mason sogar strafrechtlich für den Verkauf pornografischer Ware verfolgt, er wurde jedoch freigesprochen. Rachel lässt ehemalige Mitarbeiter*innen und LGBT-Aktivist*innen zu Wort kommen, die die Geschichte des Circus of Books sowie ihre Erlebnisse in der Szene schildern. Sie alle sind sich einig, dass der Circus of Books ein Zufluchtsort für Schwule war. Die Betonung liegt auf „war“, denn die Dokumentation fängt auch den langsamen Verfall des Pornoladens ein.
„Wir sind ein alterndes, kränkelndes Geschäft“, sagt Karen. Der Laden sieht wüst aus und es ist klar, dass das Geschäft zu Zeiten frei zugänglicher Pornowebsites schlecht läuft – doch Karens Nörgeln und ihr Pessimismus nerven einen irgendwann dann doch. Rachel Mason hält zu oft die Kamera drauf, wenn die gezeigte Trübsal keinen Mehrwert für die Zuschauer*innen hat. Das hinterlässt einen faden Nachgeschmack: Es wirkt fast wie ein Aufruf zum Mitleid, das Karen und Barry gar nicht haben wollen. Ein „langweiliges Video“ ist Circus of Books trotzdem nicht.