Nutzpflanzen und CO2: Klimaschutz an der Wurzel

Um das Klima zu retten, könnten wir mehr Bäume pflanzen … auf Kosten der Landwirtschaft. Besser wäre, wenn Nutzpflanzen mehr Kohlenstoff fixieren würden.

Je tiefer die Wurzeln, desto mehr CO2 können sie binden.

Der globale CO2-Ausstoß muss drastisch verringert werden, um die voranschreitende Erderwärmung aufzuhalten. Da das aber bisher nicht klappt, braucht es zusätzliche Maßnahmen, um in die Atmosphäre gelassene Klimagase in großen Mengen dort wieder herauszuholen. Doch wie? Die Agrarforschung hat Antworten.

Bohrt tiefer!

Zumindest ein Teil der Lösung des selbstverursachten Klimaproblems liegt unter der Erde. Böden sind enorme Kohlenstoffspeicher, die mehr als dreimal so viel Kohlenstoff enthalten wie die Atmosphäre. Wobei es die Pflanzenwurzeln sind, die den Großteil der Speicherung übernehmen. Ihre Trockenmasse besteht hauptsächlich aus Kohlenstoff, der durch die Photosynthese der Pflanzen aus der Atmosphäre geholt wurde. „Trotzdem sind Wurzeln in der Klimadiskussion bisher kaum präsent“, stellt der Pflanzengenetiker Wolfgang Busch vom kalifornischen Salk Institute fest, der vorher in Wien am Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie gearbeitet hat. Busch will das Speicherpotenzial von Wurzeln gezielt nutzen.

Grundsätzlich gilt: Je tiefer die Wurzeln, desto besser. Denn Wurzeln in größerer Tiefe werden langsamer zersetzt, so dass sie den Kohlenstoff länger binden können. In der Hinsicht sind etwa Eichen mit ihren tiefen Wurzeln geeigneter als flachwurzelnde Fichten. Hinzu kommen als Speicherfaktoren die chemische Zusammensetzung der Wurzel, Bodenchemie und Klima. Um mathematische Modelle zu erhalten, die genau angeben, wie viel Kohlenstoff welche Wurzel unter welchen Bedingungen aufnimmt, plant Busch kontrollierte Freilandversuche. Allerdings untersucht er keine Baumwurzeln, sondern die Wurzeln von Ackerpflanzen wie Weizen und Mais.

Warum das? Wegen des globalen Bevölkerungswachstums werden mehr Nahrung, Viehfutter und Fasern für Kleidung benötigt. Daher geht die landwirtschaftlich genutzte Fläche auf keinen Fall zurück, sie vergrößert sich eher. „Es ist also nicht realistisch, Ackerflächen im weltweiten Maßstab in Waldflächen umzuwandeln“, so Busch. „Stattdessen müssen wir dafür sorgen, dass Ackerpflanzen mehr dazu beitragen, Kohlenstoff im Boden zu speichern und gleichzeitig Ernten zu produzieren.“ Klimaschutz und Ernährungsgrundlage in einem – in dem Ansatz sieht Busch große Chancen, zumal sich Ackerpflanzen relativ schnell auf bestimmte Eigenschaften hin optimieren lassen. Auch die Wurzeleigenschaften sind verbesserbar, was aber in der bisherigen Züchtung weitgehend unbeachtet blieb.

Um Wurzeln gezielt als Kohlenstoffspeicher einsetzen zu können, braucht es zuerst Grundlagenforschung. Busch und seinem Kollegen Takehiko Ogura gelang jetzt ein Durchbruch, dokumentiert in einem Beitrag im Fachmagazin Cell im Juni 2019. Als Versuchsobjekt hatten sie die Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana, genommen. Ein unscheinbares, etwa 30 Zentimeter hohes Gewächs, das zu den Modellpflanzen zählt. Das heißt, die Gene ähneln denen vieler anderer Pflanzen, weswegen sich Forschungsergebnisse gut übertragen lassen. Wie bei anderen Pflanzen spielt bei der Ackerschmalwand das Pflanzenhormon Auxin eine zentrale Rolle bei Wachstum und Entwicklung. Als Signalgeber ist es in viele Prozesse involviert, darunter die Kontrolle über die Zellstreckung in der Wurzelspitze. Diese Zellstreckung ist die Triebkraft des Wurzelwachstums. Die Zellen direkt hinter dem äußersten Teil der Wurzelspitze strecken sich und schieben dabei die Wurzelspitze nach vorne.

Auxin, wo wachsen wir hin?

Auxin signalisiert den Wurzelspitzen, in welche Richtung sie wachsen sollen – das war schon bekannt. Busch und Ogura suchten nach etwas anderem: dem Gen, das wiederum die Auxin-Signalwege beeinflusst. Dieser Prozess war bisher nicht klar. Um freie Sicht zu haben, erstellten die Forscher im Labor einen Querschnitt durch das Wurzelsystem und die Erde drumherum. So identifizierten sie ein Gen mit dem Namen Exocyst70A3. Nachdem sie es gentechnisch verändert hatten, passierte Erstaunliches: Die Wurzeln wuchsen plötzlich tiefer in den Boden. Damit war klar, dass Exocyst70A3 die Wirkung des Auxins auf die Wurzelwachstumsrichtung reguliert. Und zwar indem es die Menge und die Verteilung des Auxin-Transporters Pin4 in der Wurzelspitze kontrolliert.

Die Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten, so Busch: „Bisher war unklar, wie sich ein Auxin-abhängiger Prozess wie die Wurzelwachstumsrichtung durch Genvarianten ändern lässt, ohne dadurch die anderen Prozesse zu stören, an denen Auxin auch beteiligt ist.“ Dazu gehören die Ausbildung von Blättern und Blütenorganen und die Wachstumsgeschwindigkeit der Wurzeln. Nun weiß man, wie es geht: Man verändert das Schlüsselgen Exocyst70A3 und bekommt so Pflanzen, deren Wurzeln tiefer wachsen.

In der Genforschung beliebt: Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), auch Schotenkresse oder Gänserauke genannt.Gentechnik für das Klima?
 (Wikimedia; Stefan.lefnaer; CC BY-SA 4.0)

Gene für bessere Wurzeln

Im Rahmen der „Harnessing Plants Initiative“ will Busch zusammen mit Kollegen vom Salk Institute die „ideale“ Pflanze entwickeln. Sechs Ackerpflanzen – Sojabohnen, Reis, Weizen, Mais, Baumwolle und Raps – sollen gentechnisch und durch Züchtung zu besseren Kohlenstoffspeichern gemacht werden. Zugleich sollen die Pflanzen robuster auf Klimastress reagieren können.

Die Ackerschmalwand-Studie zielte auf die Wurzeltiefe – aber das ist nur einer von drei Ansätzen. Bei Ansatz Nr. 2 geht es um die Wurzelmasse: Je mehr Wurzelmasse, desto mehr Kohlenstoff wird in den Boden gebracht. Laut Busch gibt es vielversprechende Studien, bei denen durch die Veränderung einzelner Gene mehr Wurzelmasse gebildet wurde. Dritter Ansatz: bessere Biochemie. In Wurzeln kommen bestimmte kohlenstoffreiche Moleküle vor, die aber durch Mikroorganismen abgebaut werden. Wie schnell das passiert, hängt vom Molekül ab. „Wir wollen in den Wurzeln jene Moleküle anreichern, die dem Abbau lange standhalten“, sagt Busch.

Hier kommt das Pflanzenmolekül Suberin ins Spiel. Es dient Pflanzen normalerweise als eine Art Barriere, um innere Bereiche von äußeren abzugrenzen, da es undurchlässig für Wasser und andere Stoffe ist. Die Pflanzen bilden es als Antwort auf Trockenheit, aber auch auf Überflutung und auf bakterielle Infektionen. „Suberin ist enorm reich an Kohlenstoffatomen. Es hat eine sehr lange Lebensdauer im Boden und wird nicht so schnell abgebaut wie andere Pflanzenmoleküle.“ Busch will entsprechend Nutzpflanzen entwickeln, die an bestimmten Stellen des Wurzelsystems mehr Suberin bilden. Der im Suberin enthaltene Kohlenstoff wird dann länger gespeichert, zudem sind die Wurzelsysteme robuster. Willkommener Nebeneffekt: Mehr Kohlenstoff im Boden bedeutet üblicherweise auch eine bessere Bodengesundheit und Bodenproduktivität.

(lm) – Dass Forscher*innen die CO2-Reduktionen nicht unabhängig von sozialen Fragen wie Ernährungssicherheit betrachten, ist begrüßenswert. Doch der Rückgriff auf Gentechnik wird von vielen Klimaschützer*innen abgelehnt. Es werden insbesondere Nebenwirkungen genetischer Manipulationen befürchtet, mit möglicherweise katastrophalen Folgen. Außerdem gilt für die hier vorgestellte Herangehensweise das Gleiche wie für andere Hightech-Lösungen: Wenn sie als Wunderwaffe im Kampf gegen den Klimawandel angesehen werden, können sie von anderen notwendigen Maßnahmen ablenken, die sich auf unseren Lebensstil auswirken. Zum Beispiel in Zusammenhang mit dem Bedarf an Ackerfläche, die überfällige Umstellung der Ernährung hin zu weniger Fleischkonsum. Andererseits, vielleicht lassen sich ja Pflanzen mit tieferen Wurzeln auch mithilfe klassischer Selektionsprozesse heranzüchten? Eine langwierigere, aber auch robustere Methode als die so umstrittene direkte Veränderung des Erbmaterials.


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