Plattenkritik: Die Schönheit sterbender Galaxien

Die Band „Hemelbestormer“ hat pandemiebedingt die Stücke des neuen Albums „Collide & Merge“ bislang selten live gespielt. Doch es wäre überraschend, würde man die vier Belgier demnächst nicht auf vielen großen Bühnen sehen. Ausgehend von Post-Rock und Metal haben sie ein beeindruckendes Klanguniversum geschaffen.

Auch Galaxien können sterben, etwa wenn sie mit einander kollidieren: ihr Leben geht dann mit dem nach und nach erlöschenden Licht ihrer Sterne zu Ende. (Foto: Credit: ESO/M. Kornmesser)

Wie klingt ein schwarzes Loch? Gar nicht, würden viele spontan wohl sagen, schließlich gibt es im Weltall keine Schallwellen, da es wesentlich ein Vakuum ist. Das stimmt nicht ganz: Es gibt sogenannte Galaxienhaufen, die aus Hunderten oder gar Tausenden von Galaxien bestehen, welche durch Gravitation aneinander gebunden sind. Die Masse dieser unvorstellbar großen Haufen besteht zu 15 Prozent aus Gas, das als Medium für die Ausbreitung von Schallwellen dienen kann.

Im Jahr 2003 wurde entdeckt, dass die von dem Schwarzen Loch im Zen-
trum des Perseus-Galaxienhaufens ausgesandten Druckwellen das Gas des Haufens in Schwingungen versetzen. Diese lassen sich in Töne transformieren, die man unter normalen Umständen allerdings nicht hören kann, da sie etwa 57 Oktaven unterhalb des mittleren C liegen, also viel zu tief sind. Der NASA ist es nun gelungen, das entstehende Klangspektrum auch für menschliche Ohren zu sonifizieren. Das Resultat wurde Anfang Mai veröffentlicht, und es kann getrost als unheimlich bezeichnet werden.

In der belgischen Provinz Limburg gibt es eine Band, die ebenfalls astronomische Daten in akustische Töne übersetzt. Die Klangmaschine namens Hemelbestormer (Himmelsstürmer) geht dabei jedoch phänomenologischer und vielseitiger vor. „Collide & Merge“ heißt ihr Ende vergangenen Jahres erschienenes drittes Album, und wer dabei noch nicht ans Weltall denkt, dem macht spätestens der Opener „Collapsar“ klar, dass die Reise in die Tiefen des Kosmos geht: Kollapsare sind kollabierende, massereiche Sterne, deren Tod zu Supernovae und Schwarzen Löchern führt. Es wird geschätzt, dass Kollapsare mindestens 80 Prozent des Gehalts an schweren Elementen in unserer Galaxie erzeugen.

Genau so massiv und heavy geht es auf „Collide & Merge“ von Anfang an zur Sache. Mit Ausnahme des Titelstücks verzichtet Hemelbestormer vollständig auf Gesang. Zunächst führen wabernde Synthie-Klänge, jenen des Schwarzen Lochs nicht ganz unähnlich, in die Platte ein. Dann rollt, sekundiert von treibendem Schlagzeugsound mit stakkatoartigem Doublekick, eine Welle brachialer Gitarrengewalt heran, die alles hinwegfegt, ehe diese ungestümen Brecher dann in den für die Band typischen langsamen, brodelnden Sound übergehen, der an einen erbarmungslosen Fluss glühender Lava erinnert, dessen alles versengende Hitze einem den Atem verschlägt. Schon in ihrem Opener zeigt die Gruppe ihre ganze musikalische Souveränität, mit zahlreichen Breaks und Tempowechseln, in deren Folge ein grandioses Riff ins nächste übergeht. Ungefähr nach neun Minuten folgt auf den Sternenkollaps ein ruhiger Part, ein Innehalten wie nach einem heftigen Gewitter, ehe es in eine achtminütige Reprise geht.

Dann folgt ein teils wuchtig mahlendes, teils sphärisches Stück: „In Praise Of Sun“ lässt sich in seiner Melancholie wie Gedankenfetzen aus dem Innenleben des ersten Hemelbestormers aller Zeiten, nämlich Ikarus, deuten; eines Ikarus jedoch, der nicht aus Hochmut, sondern in vollem Bewusstsein seines Verderbens der Sonne entgegenfliegt, mit dem Gleichmut eines Sternensuchers, der nicht anders kann. Hier übernimmt für kurze Momente das Schlagzeug den Lead, während die Gitarren sich auf den tieftönenden Bass zubewegen, um dann wieder mit Riffs, die breiten Pinselstrichen gleichen, von dezenten Synthie-Einsprengsel gestützt, eine tragisch-verzweifelte Stimmung zu gestalten.

Bilder von leergeräumten Welten werden in monumentale Klang-
landschaften gebunden.

Keine Wahrnehmung von Dunkelheit ohne den Kontrast zum Licht: Quasare zählen als sogenannte aktive Galaxien nicht nur zu den leuchtkräftigsten Objekten im Universum, sondern in ihrem Zentrum befindet sich nach heutiger Annahme ein sehr massereiches Schwarzes Loch, das mit der Zeit immer mehr an Masse zunimmt, da Materie aus der es umgebenden Galaxie von ihm angezogen wird. Der „Quasar“ von Hemelbestormer evoziert genau diesen anziehenden, hypnotisierenden, allesverschlingenden Effekt, der an die unerbittliche, gleichförmige Gravitationskraft Schwarzer Löcher erinnert, der sich nichts und niemand wiedersetzen kann.

Es gibt in Wahrheit wohl kaum etwas, das die Menschen mehr ängstigt als die – als solche wahrgenommene – Gleichgültigkeit der Natur, die ästhetisch in der Kälte des Weltalls ihre Vollendung findet. Hemelbestormer bringen die Schönheit, die sich dahinter verbirgt, perfekt zum Ausdruck, und so ist es auch kein Zufall, dass der Titelsong nicht nur atmosphärisch der einzige ist, der so etwas wie Trost verspricht, sondern auch mit Abstand der kürzeste.

Was die Band und die von ihr musikalisch in Szene gesetzte Welt ästhetisch ausmacht, findet sich in dem Track „Void“ zusammengefasst, was soviel wie „Leere“ oder „leerer Raum“ bedeutet, sich jedoch ins Deutsche adäquat wohl gar nicht übersetzen lässt. Und so verhält es sich dann auch mit dem Stück selbst: Angesichts der monumentalen Nichts, das hier fühlbar wird, verlieren selbst Begriffe wie „Abgrund“ ihren Sinn, denn hier geht es um das Sterben von Galaxien.

Mit „Collide & Merge“ hat Hemelbestormer mitten in der Pandemie ein Meisterwerk aufgenommen, dessen Stücke allerdings bereits Jahre zuvor entstanden sind. Musikalisch hebt sich der dort präsentierte Ideenreichtum von Bands wie „Russian Circle“ ab, mit denen man Hemelbestormer vergleicht, während der Sound jener dagegen fast schon allzu gleichförmig klingt.

Die vier Belgier haben Bilder leergeräumter Welten in monumentale Klanglandschaften gebunden. „Unsere Musik scheint mit jedem neuen Album dunkler zu werden“, so dazu auch Schlagzeuger Frederik Cosemans in einem Interview: „Die dunkelsten Orte, die es gibt, sind schwarze Löcher. Und die hellsten Orte sind gewaltige leuchtende Sterne. Das ist also die Verbindung zwischen der Musik und dem kosmischen Konzept.“

Mit dem programmatischen Stück „Decoding the Light Vault“ sowie dem bereits allem entrückt klingenden Synthesizer-Track „Portals III“ strebt das Album endgültig dem Ereignishorizont des Schwarzen Lochs der Hemelbestomer-Galaxie entgegen, dessen Gravitationskraft es für die Dauer der Spielzeit von 73 Minuten widerstanden hat. Hat ein Objekt diesen „Event Horizon“ überschritten, führen alle möglichen Bewegungen es nur noch näher an das Zentrum des Schwarzen Lochs heran. Ein Entkommen ist nicht mehr möglich, unabhängig davon, in welche Richtung das Objekt sich bewegt. Am Ende trifft es auf die absolute Dunkelheit, mit der es verschmilzt.

Hemelbestormer – Collide & Merge. 
Als Digipack-CD und Doppel-LP bei 
Ván Records erschienen.

Die belgische Band Hemelbestormer besteht aus Jo Driesmans (Gitarre), Koen Swerts (Bass), Frederik Cosemans (Schlagzeug) und Filip Dupont (Gitarre), der auch die meisten Stücke des Ende vergangenen Jahres bei Ván Records erschienen dritten Albums „Collide & Merge“ komponiert hat. Vorausgegangen sind die Alben „Aether“ (2016) und „A Ring of Blue Light“ (2018). Stilistisch verbindet man Post Rock mit Black, Doom und Sludge Metal sowie atmosphärischen Ambient- und Shoegaze-Elementen. Die Stimmung, die sie auf ihren Alben kreiert, weiß die Gruppe auch auf der Bühne zu erzeugen: Ihre Livekonzerte sind immersive Erlebnisse. In nächster Zeit ist Hemelbestormer in Belgien auf dem Alcatraz Metal Festival in Kortrijk (12. August) sowie auf dem Samhain Festival in Hasselt (29. Oktober) zu sehen.


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