Die Regierung will das Naturschutzgesetz reformieren. Gefahren für die Biodiversität werden durch das Versprechen von mehr Grün in Städten kaschiert. Für schnelleres Bauen müssen Fledermäuse und Greifvögel weichen, so die implizite Argumentation.
„Man kann das gut finden oder auch nicht, aber wir haben das jetzt mal ‚Leben mit der Natur‘ genannt.“ Mit diesen Worten stellte Umweltminister Serge Wilmes (CSV) am 4. November seine Reform des Naturschutzgesetzes in der Umweltkommission des Parlaments vor. Das Vorhaben soll auch zwei andere Gesetze, zum Wald und zur räumlichen Entwicklung der Gemeinden, abändern, bezieht sich aber vor allem auf Naturschutzaspekte. Am Anfang der Reform stand jedoch nicht das Leben mit der Natur, sondern der Wunsch, schneller Wohnraum zu schaffen. Damit fing Wilmes seine Präsentation im Parlament an, so begann auch seine Pressekonferenz wenig später.
Bereits ein paar Tage danach will er davon nichts mehr wissen. Er habe „das formell so nie gesagt“, entgegnet er im RTL-Interview auf die Frage, ob es wirklich am Naturschutz liege, dass nicht schneller gebaut werde. Trotzdem betont Wilmes, dass man ja auch Kindergärten und Wohnungen bauen müsse. In der Kritik stehen mehrere Maßnahmen der Reform, allen voran jene, dank derer potenzielle Bauherr*innen weniger Naturzerstörung kompensieren müssen. Die drei umstrittenen Konzepte heißen „Natur auf Zeit“, „Bam-Präbbeli“ und „Ein für alle Mal“-Kompensierung. Grundsätzlich haben sie alle zum Zweck, dass in vielen Fällen gebaut werden kann, ohne dass Bauherr*innen oder Besitzer*innen die dadurch ausgelöste Zerstörung von Biotopen selbst kompensieren müssen.
„Natur auf Zeit“ etwa, ermutigt Besitzer*innen von Bauland dazu, brachliegende Flächen nicht mehr zu mähen, sondern Natur aufkommen zu lassen, weil sie diese später nicht mehr kompensieren müssen. Der Gesetzesvorschlag der Regierung sieht vor, dass Flächen bis zu 15 Jahren brachliegen können. Die Regelung soll auch retroaktiv, das heißt rückwirkend, gelten. Mittels Luftfotos soll nachvollziehbar sein, wie lange eine Fläche bereits brachlag, so der Umweltminister in der Parlamentskommission. „Wenn wir das nicht retroaktiv einführen, belohnen wir den, der eifrig gemäht hat und bei null anfangen kann, und bestrafen den, der etwas wachsen lassen hat“, so Wilmes.
Grün in den Städten auf Zeit
Die Umweltschutzorganisation Mouvement écologique (Méco) ist grundsätzlich mit dem Prinzip „Natur auf Zeit“ einverstanden – will es sogar vor jeder Partei in Luxemburg auf den Plan gebracht haben. Wichtig ist dem Méco jedoch, dass es nicht retroaktiv angewandt werden sollte, weil dadurch bestehende Biotope zerstört würden. Außerdem moniert die NGO, dass für Laien nicht erkennbar sei, welche Biotoptypen genau auf einer Brachfläche entstanden seien. Von der Ausnahme sind nur Laubbäume und „Hecken und Gestrüpp“ betroffen. „Vieles ist juristisch unklar. Zum Beispiel könnten auf den Brachflächen ja auch EU-geschützte Arten sein“, so Claire Wolff, beim Méco für Naturschutzfragen zuständig, auf einer Pressekonferenz am vergangenen Montag. „Eigentlich wollen wir ja auch, dass das Wohnungsproblem gelöst wird und auf all diesen Flächen Wohnungen gebaut werden!“, ergänzte Méco-Präsidentin Blanche Weber.
Insgesamt nennt die Naturschutzorganisation den Vorschlag der Regierung „eine Perversion des Prinzips“. Die gleichen Worte, die auch Déi Gréng-Abgeordnete Joëlle Welfring benutzte. Es gebe keine wissenschaftliche Kenntnis darüber, wie viele Biotope durch Wilmes’ Vorschlag in Zukunft zerstört werden könnten.
Mögliche EU-rechtliche Probleme sieht man im Umweltministerium nicht. „Die EU habe sich bereits mit dem Konzept „Natur auf Zeit“ – im EU-Jargon „temporäre Natur“ genannt – befasst und anerkannt, dass es sich um eine verlorene Chance handele, wenn temporäre Lebensräume nicht entstehen könnten, um so einen positiven Beitrag zum Erreichen von EU-Richtlinien zu leisten. „Durch die natürliche Sukzession, sprich Verbrachen und Verbuschen, wird es auf diesen Flächen eine schnelle Abfolge verschiedenster Arten geben, welche fortwährend neuen Lebensraum gewinnen aber auch fortwährend auf natürliche Art verlieren. Natürlich kann es sein, dass eine geschützte Art wie etwa die Goldammer zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Bauvorhaben realisiert werden soll, vorhanden ist. Deswegen haben wir ja ein Verbot der Zerstörung während der Brutperiode vorgesehen. Dadurch dass zeitgleich mehrere solcher Flächen auf Gemeindeebene vorhanden sind oder zusätzlich entstanden sind, kann die Goldammer dann einen Ersatzlebensraum finden“, so Gilles Biver, Regierungsrat im Umweltministerium gegenüber der woxx.
Dass eine Fläche künftig 15 Jahre brachliegen können soll, bedeutet aber auch, dass das „Mähen“ hinausgezögert werden kann: Wer kurz vor Ablauf der 15 Jahre wieder Kahlschlag auf seiner Fläche betreibt, fängt bei null an. „Das soll möglich bleiben, und das kann auch ökologisch sinnvoll sein. Man muss bedenken, dass bei vielen Naturschutzprojekten oft Hecken zurückgeschnitten werden, um den Prozess der natürlichen Sukzession von Neuem zu starten“, so Biver. „Aber klar ist, zur Klimaanpassung tragen ältere Bäume natürlich besser bei.“
Eine der „Ausgleichsmaßnahmen“, die Wilmes stets im gleichen Atemzug wie „Natur auf Zeit“ nennt, ist eigentlich keine. Bei neuen Wohnvierteln, die größer als 20 Ar (also 2.000 Quadratmeter) sind, müssen in den Bebauungsplänen zehn Prozent Grünfläche vorgesehen werden. Dies gilt für alle Gemeinden, unabhängig davon, ob auf ihrem Territorium von „Natur auf Zeit“ Gebrauch gemacht wird oder nicht. „Etwas mehr Architektenpetersilie“ nennt der Méco das und moniert, dass es bisher keine Angaben zu den Qualitätsanforderungen dieses Grüns gibt. In der Parlamentskommission erklärte Wilmes, es dürfe sich nicht um Rollrasen handeln und die gepflanzten Arten müssten an den Klimawandel angepasst sein. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass die neue Regelung vor allem als kommunikativer Schutzschild für andere dienen soll.
Rotmilan im Visier
Einen solchen können Gemeinden auch mit Wilmes’ „Bam-Präbbeli“ für ihre Einwohner*innen errichten. Beträgt die „Couvert boisé“, auf Deutsch Baumkronenabdeckung, im urbanen Raum einer Gemeinde über 20 Prozent, so müssen bestimmte „Abmilderungsmaßnahmen“ nicht mehr getroffen werden. Beim Méco lässt das die Alarmglocken schrillen: „Der Anreiz, mehr zu machen, geht komplett verloren. Außerdem haben schon 40 Prozent der Gemeinden, die beim Naturpakt mitmachen, eine Baumkronenabdeckung von 20 Prozent oder mehr. Dennoch befinden sich viele Arten in Luxemburg in einem schlechten Zustand. Außerdem gibt es Arten, die überhaupt nicht davon profitieren, aber dennoch vom Siedlungsausbau betroffen sind“, so Claire Wolff. Blanche Weber betonte außerdem, dass es erhebliche rechtliche Unsicherheiten gebe, wann der Grad der Abdeckung geprüft würde. Die Méco-Präsidentin kündigte an, bei Umsetzung dieser Maßnahme die EU einzuschalten. Sie sieht auch Ungerechtigkeiten zwischen den Gemeinden oder einzelnen Ortschaften: „Wenn in einer Gemeinde zwei Ortschaften sind, eine mit vielen Bäumen und eine, die stark urbanisiert ist, könnten die Einwohner der stark urbanisierten den Kürzeren ziehen.“
Ist man als Bauherr*in beim „Couvert boisé“ zumindest zum Teil darauf angewiesen, dass die Einwohner*innen einer Gemeinde viele Bäume in ihren Gärten haben, so kann man sich bei der dritten viel kritisierten Maßnahme ganz auf den Staat verlassen. Bei der „Ein für alle Mal“-Kompensierung soll der Staat auf seinen Flächen – meist landwirtschaftlich genutzt – Kompensationsmaßnahmen durchführen. Damit wäre es dann nicht mehr wie bislang nötig, die Jagdreviere verschiedener Arten zu kompensieren. Hintergrund dieser Maßnahme ist wohl nicht nur der Wunsch, potenzielle Bauherr*innen zum Bauen zu animieren, sondern das relativ häufige Vorkommen des Rotmilans in Luxemburg. „EU-weit ist die Art streng geschützt, weltweit ist sie selten. Wie die Maßnahmenpläne jedoch aussehen sollen, ist für uns noch unklar“, so Fernand Schoos vom Mouvement écologique am vergangenen Montag. Zwischen 32.200 und 37.700 Brutpaare des Rotmilans gibt es weltweit, fast alle davon in Europa, die Hälfte in Deutschland. Zwischen 1990 und 2000 gingen die Zahlen zurück, mittlerweile hat sich die Art etwas erholt. In den Augen des Méco könnte die „Ein für alle Mal“-Kompensierung EU-rechtswidrig sein. „Wir werden da unsere Verantwortung übernehmen“, kündigte Blanche Weber mögliche legale Schritte an.
Neben dem Rotmilan sind auch einige Fledermausarten visiert, wie Gilles Biver vom Umweltministerium der woxx bestätigte. „Das Gesetz ist so verfasst, dass der Zustand der Arten erhalten oder verbessert werden soll. Noch gibt es keine endgültige Liste der Arten, weil wir erst gemeinsam mit Experten sogenannte Kompensierungs-Pläne aufstellen wollen. Die Staatsflächen und die Pläne mit den umzusetzenden Maßnahmen müssen bezüglich der Entfernung, Qualität und Quantität zu den Arten passen. Es ist nicht möglich, sich am Erhaltungszustand der Arten vorbeizumogeln.“ Auf die Frage, ob die Flächen, mit denen „kompensiert“ würde, nicht ohnehin Jagdgebiet von geschützten Arten sein könnten, antwortete Biver: „Es geht dem Rotmilan zum Beispiel ja nicht um die Quadratmeterzahl der Kompensierungen, sondern um das verfügbare Nahrungsangebot, um beispielsweise seine Jungen aufzuziehen, das erhöht werden muss. Mit auf die Arten fachlich gezielten Maßnahmen kann man das Nahrungsangebot auf den Kompensierungsflächen optimieren, sodass zeitgleich mehrere Arten und Individuen sich dort ernähren können.“
Chaotischer Gesetzgebungsprozess
Der Méco bemängelt, dass die Entscheidungsprozedur für die Frage, ob die „Ein für alle Mal“-Kompensierung angewandt werden kann, und die genauen Kriterien, nach denen die Kompensationsflächen ausgesucht werden, nicht im Gesetz stehen, sondern erst in einem großherzoglichen Reglement nachgereicht werden. Die NGO befürchtet außerdem, dass Landwirt*innen im ländlichen Raum „die Konsequenzen der verstärkten Siedlungsentwicklung in den Ballungsräumen“ tragen müssen und „aufgrund von Ausnahmeregelungen aber nur begrenzt Kompensierungen stattfinden werden“, wie es in der 20-seitigen Analyse heißt.
Die Kritik bezieht sich dabei nicht nur auf den aus Sicht der Naturschutzorganisation schwammigen Gesetzestext, sondern auch auf die Prozedur. Weder der Méco selbst, noch das Observatoire de l’environnement naturel sei im Vorfeld zu dem Gesetz befragt worden. Die Präsidentin des Gremiums, das die Regierung in Naturschutzfragen beraten soll, Jessie Thill, bestätigte dies gegenüber der woxx: „Wir wurden nicht konsultiert, aber eine interne Arbeitsgruppe ist dabei, eine Stellungnahme zu verfassen.“
Umweltminister Serge Wilmes wollte schnell liefern und auch deswegen steht er nun in der Kritik. Nicht nur, dass das Gesetz ohne Einbezug einschlägiger Organisationen ausgearbeitet wurde, es fehlen auch noch entscheidende Elemente. Neben den Listen geschützter Arten, die von den Maßnahmen der Reform betroffen sind, sollen auch die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe zum Bauen in der Grünzone in Abänderungsanträge der Regierung einfließen. „Es war die Entscheidung (der Regierung, Anm. d. Red.), jetzt damit anzufangen und nicht zu warten, bis alles da ist“, erklärte Wilmes in der Umweltkommission der Chamber. Bei einigen Abgeordneten sorgte das für Unmut. Franz Fayot (LSAP) nannte diese Vorgehensweise „eine etwas spezielle Methode“ und war nicht begeistert von der Idee, die komplexe Materie durch zusätzliche Änderungen noch weiter zu verkomplizieren. Der Méco kritisierte zusätzlich, dass Luxemburg mit der Reform trotzdem noch keine Durchgrünungsstrategie für den urbanen Raum bekäme, während die linken Oppositionsparteien feststellten, dass Naturschutzprozeduren wohl die kleinere Bremse für den Wohnungsbau seien. Vielmehr trage, wie Déi Lénk-Abgeordneter David Wagner betonte, die Konzentration des Baulands in der Hand einiger weniger Besitzer*innen die Schuld an der Wohnungsnot. Jene können sich in Zukunft auch noch das Benzin für die Mähmaschine sparen.
Seltenes Lob
Wilmes’ Reformvorschlag wurde zwar viel kritisiert, doch sowohl Méco als auch Déi Gréng lobten einige Punkte: Künftig übernimmt die Natur- und Forstverwaltung bei kleineren Bauprojekten die Studien und Gutachten zum Zustand der Natur auf dem Bauland. Außerdem werden kommunale Flächenpools zur Kompensation eingeführt, womit die Ausgleichsflächen näher dort sind, wo der Eingriff passiert. Auch für Naturschützer*innen soll das Gesetz einiges erleichtern: Das Anlegen eines Teiches, das Bauen einer Trockenmauer und bestimmte Pflegemaßnahmen in Naturschutzzonen sollen künftig keiner Genehmigung mehr bedürfen.