Sprachen: Ortstafelstreit, 
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Schilder am Ortseingang sind eigentlich eine sehr banale Sache. Dennoch sind sie immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen – nun auch in Luxemburg.

Bereits vor der Staatsgrenze mit Luxemburgisch in Kontakt kommen: Was wie der Traum von ADR-Politiker*innen klingt, ist in Hettange bereits Realität. (Foto: CC-BY-SA Cornischong/Wikimedia)

Die Szene an sich ist schon etwas absurd: Auf der Braderie in Mondorf laufen die Kandidat*innen der rechtspopulistischen ADR/Wee2050-Koalition mit einem gelben Ortseingangsschild herum. Darauf sind die drei Namen einer anderen Ortschaft zu lesen: Ëlwen, Troisvierges, Ulflingen. Es ist eins der plakativsten Beispiele für die teilweise sehr unterschiedlichen Ortsnamen im Großherzogtum. Die ADR-Truppe will damit ihre Forderung nach dreisprachigen Ortstafeln, auf denen der luxemburgische Ortsname in großer Schrift steht, illustrieren. Die potenziellen Wähler*innen werden via Facebook dazu eingeladen, sich mit dem Schild fotografieren zu lassen. Am Ende finden sich auf dem sozialen Netzwerk zwar viele Fotos, alle allerdings mit Wee-Kandidaten. Der selbsternannte Kommunikationsexperte Daniel Rinck hält die Ortstafel wie eine Gitarre und schreibt dazu: „Wir rocken das!“

Die Forderung der ADR hat vor allem symbolischen Wert, die Diskussionen über die mutmaßlichen Kosten eines neuen Schilderwaldes und den Sinn und Zweck der Maßnahme laufen natürlich trotzdem. Eventuell unterschätzt die rechtspopulistische Partei aber auch den Symbolcharakter ihrer Vorschläge: Immerhin gibt es eine lange Geschichte der Auseinandersetzungen um mehrsprachige Beschilderungen. Das bekannteste Beispiel stammt aus Österreich: der Kärntner Ortstafelstreit.

Mehrsprachiges Österreich

Als ehemaliger „Vielvölkerstaat“ ist auch das Nachkriegsösterreich noch immer ein mehrsprachiges Land. Zehn Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde in Wien der sogenannte Staatsvertrag unterschrieben, mit dem die Alliierten die Alpenrepublik in die Souveränität entließen. Darin sind auch Rechte für Minderheiten, die kein Deutsch sprechen, zugesichert. In den Bundesländern Kärnten, Steiermark und Burgenland müssen Slowenisch und Kroatisch ebenfalls als Amtssprachen verwendet werden.

Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem Krieg wurden in Kärnten zweisprachige Kindergärten und Schulen errichtet, der ORF sendete Radio- und Fernsehsendungen auf Slowenisch. Zweisprachige Ortstafeln wurden, zum Ärger der Kärntner Slowen*innen, jedoch nicht aufgestellt. Mehrmals kam es in den 1970er-Jahren zu Protestaktionen, so wurde beispielsweise in Klagenfurt der deutsche Name übermalt und durch „Celovec“ ersetzt.

Unter der Regierung des Sozialdemokraten Bruno Kreisky wurde 1972 ein Gesetz zur Errichtung zweisprachiger Schilder in Kärnten erlassen – gegen die Stimmen der konservativen ÖVP und der FPÖ. Insgesamt sollten 205 Ortschaften eine zweisprachige Ortstafel bekommen. Die ersten Tafeln wurden im September 1972 aufgestellt, blieben jedoch nicht lange stehen. Es kam zum sogenannten „Ortstafelsturm“ – ein Begriff, der als verharmlosend verstanden wird. Die zweisprachigen Beschilderungen wurden teilweise vor laufender Kamera und im Beisein der Gendarmerie heruntergerissen.

Konsens und Boykott

Diese Aktionen waren keineswegs spontan, sondern von langer Hand vorbereitet. Bereits im April hatte der deutschnationale „Kärntner Abwehrbund“ davon gesprochen, wieder in „einen Abwehrkampf, wenn auch mit geistigen Waffen“ eingetreten zu sein. Die FPÖ-nahen „Kärntner Nachrichten“ schürten die Angst, durch zweisprachige Ortstafeln könne eine Annexion Kärntens an Jugoslawien vorbereitet werden: „Eine planmäßige Aussiedlung aller Deutschen aus dem gemischtsprachigen Gebiet wird vorbereitet.“ Es wurden nicht nur Schilder abmontiert: Partisanendenkmäler der Kärntner Slowen*innen wurden beschmiert, der Landeshauptmann Hans Sima wurde mit Eiern und Tomaten beworfen und dankte unter dem politischen Druck ab, Bundeskanzler Kreisky wurde bei einer Demonstration antisemitisch beschimpft und bedroht.

1977 trat schließlich das Volksgruppengesetz in Kraft, das die Rechte der Burgenlandkroat*innen, der Kärntner Slowen*innen und der Slowen*innen in der Steiermark regelte. Neben dem Recht, ihre Erstsprache als Amtssprache benutzen zu dürfen, wurde auch die Verwendung von zweisprachigen Ortstafeln festgelegt. Ortschaften, in denen diese Minderheiten ein Viertel der Bevölkerung ausmachen, sollten ein Schild mit dem deutschen und dem slowenischen Ortsnamen bekommen. In welchen Ortschaften nun zweisprachige Schilder aufgestellt werden sollten, sollte eine anonyme Volkszählung klären. Allerdings gab es teilweise Boykottversuche der Kärntner Slowen*innen. Dennoch wurden 91 Orte bestimmt, deren Eingang nunmehr zweisprachige Ortstafeln zieren sollten. Dies beendete den Streit jedoch keineswegs. 20 Ortschaften weigerten sich bis ins beginnende 21. Jahrhundert, zweisprachige Schilder zu installieren.

2001 fällte der österreichische Verfassungsgerichtshof eine Grundsatzerkenntnis: Innerhalb eines Jahres müssten in jenen Gemeinden, in denen mindestens zehn Prozent Kärntner Slowen*innen lebten, zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden. Doch auch nach dieser Gerichtsentscheidung regte sich lange Zeit nichts. 2005 kam die fünfte „Konsenskonferenz“ zwar zu einem Ergebnis, das dennoch nicht umgesetzt wurde.

Zweisprachige Ortstafel von Ludmannsdorf/Bilčovs in Kärnten. (Foto: Alexander Krischnig/Wikimedia)

Jörg Haider, der Bremser

Jörg Haider spielte eine Schlüsselrolle in der Verhinderungs- und Verzögerungstaktik. Der FPÖ-Politiker war 2000 zwar an der Regierungsbildung einer ÖVP-FPÖ-Koalition beteiligt gewesen, hatte sich jedoch schnell wieder in die Landespolitik zurückgezogen. 2004 wurde er Landeshauptmann in Kärnten, zwei Jahre später beschloss er, sämtliche zweisprachigen Ortstafeln durch einsprachige zu ersetzen – die slowenische Bezeichnung sollte durch eine kleinere Zusatztafel gekennzeichnet werden. In Folge wurde gegen Haider und seinen Straßenbaureferenten Gerhard Dörfler wegen Amtsmissbrauchs ermittelt. Das Verfahren gegen Dörfler wurde eingestellt und Haider starb bei einem Autounfall, bevor es zur Anklage kommen konnte.

2011 – 56 Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrages – kam es schließlich zu einer Einigung: Statt 25 oder 10 Prozent wurden salomonische 17,5 Prozent slowenischsprachige Bevölkerung gewählt, die mindestens zur Aufstellung einer zweisprachigen Ortstafel in Kärnten lebten mussten. Ein Gesetz in Verfassungsrang wurde beschlossen, der Ortstafelstreit damit endgültig beigelegt.

Die Geschichte aus Österreich, die hier nur in groben Zügen wiedergegeben werden kann, zeigt eindrucksvoll, dass Konflikte um Sprachregelungen in eigentlich banalen Gegenständen wie einer mehrsprachigen Beschilderung explodieren können. Aber eigentlich sind Schilder, die Namen von Ortschaften in mehreren Sprachen angeben, gar keine so große Seltenheit.

Die Konflikte darum allerdings auch nicht. Ein kurzer Blick ins Netz reicht, um allerlei Beispiele zu finden: die seltenen zweisprachigen Schilder in Belgien werden meistens recht schnell übermalt, die italienischen oder französischen Namen korsischer Ortschaften ebenfalls.

Andere Beispiele mehrsprachiger Beschilderung sind allerdings eher friedlich. Vor allem in Ländern, in denen mehrere Alphabete verwendet werden, sind zweisprachige oder gar dreisprachige Schilder schlichtweg notwendig. Und um sprachunkundige Tourist*innen oder Migrant*innen nicht zu vergraulen (oder ihnen ständig den Weg erklären zu müssen) werden auch zum Beispiel in Japan latinisierte Versionen der Städtenamen auf Straßenschilder gedruckt. Ein eher unerwartetes Beispiel findet sich auch in Frankreich: Fünf Kilometer von der luxemburgischen Grenze entfernt findet sich am Ortseingang von Hettange ebenfalls ein Schild mit der Aufschrift „Grouss Hettengen“.

Zumindest einige der französischen Grenzgänger*innen kommen also bereits vor der Landesgrenze mit dem Luxemburgischen in Berührung – erklärtes Ziel von Keup und Co. Vordergründig haben die Forderungen der ADR wenig mit dem Kärntner Ortstafelstreit zu tun – immerhin ging es in Österreich um Minderheitensprachen, in Luxemburg gibt es drei offizielle Sprachen, von denen die rechtspopulistische Partei eine symbolisch erhöhen will.

Einsprachiges Luxemburg?

Aber genauso wie Jörg Haider „Kärnten wird einsprachig!“ verkündete, so gehen auch die ADR-Forderungen weiter. Die dreisprachigen Straßenschilder mit dem großen luxemburgischen Ortsnamen sind eigentlich eine harmlose Forderung mit nationalistischem Touch – die konsequente Lösung wären natürlich dreisprachige Ortstafeln, auf denen alle drei Sprachen in der gleichen Schriftart und -größe vorkämen würden.

Allerdings beinhaltet das Wahlprogramm der ADR auch andere Vorschläge: „Wo luxemburgische Straßen- oder Flurnamen existieren, werden diese exklusiv benutzt“. Die ADR will also jede „Grand Rue“ in „Groussgaass“ umtaufen, obwohl sie stets betont, doch für „echte Mehrsprachigkeit“ zu stehen. Auch auf den Gemeindegebäuden sollen nach dem Willen der rechtspopulistischen Partei die französischen Ortsnamen getilgt werden.

Eine solche Umbenennung würde nicht nur die historische Mehrsprachigkeit Luxemburgs unterlaufen, sondern auch – ganz abgesehen von dem administrativen Chaos, das dadurch entstünde – erhebliches Konfliktpotential bergen. Aber vermutlich ist es genau das, was die ADR sucht. Ihre Rhetorik lebt, ganz ähnlich wie jene der Deutschnationalen in Kärnten, von der Fiktion einer historisch einsprachigen Nation, die von einer fremden Annektion gefährdet sei. Immerhin schrieb „Nee 2015“ vor drei Jahren von einer drohenden Übernahme Luxemburgs durch Frankreich, würde sich das Einwohner*innenwahlrecht durchsetzen. Mit solchen Untergangsfantasien können linguistische Säuberungen gerechtfertigt werden – sie tun aber vor allem eins, nämlich Hass und Spaltung in der Gesellschaft sähen. Die vermeintlich harmlose Forderung nach einer dreisprachigen Ortstafel ist also in Wahrheit brandgefährlich.


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