Im veganen Surf- und Yogacamp in Moliets-et-Maâ freut man sich aufs Resteessen und verfällt nach einer Nasenspülung in Euphorie. Ein kurzer Reisebericht.
„Massentierhaltung“, grölen zwei junge Männerstimmen nachts, „lecker Schweinefleisch!“ Sie brechen in schallendes Gelächter aus. Eine Veganerin zieht sich in ihrem Zelt unter Pinienbäumen in Moliets-et-Maâ die Decke über den Kopf und schmunzelt. Sie hatte früher mit einem flachen Anti-Veganismus-Kommentar gerechnet. Sie denkt an die Holzbuchstaben, die im Schein einer Lichterkette am Eingang zum veganen Surf- und Yogacamp an der französischen Atlantikküste baumeln. Nur das Wort „Vegan“ ist beleuchtet. Die anderen Glühbirnen haben den Geist aufgegeben.
Dabei sind längst nicht alle Veganer*innen, die in den anderen Zelten und Wohnmobilen dem Meeresrauschen lauschen. Auch wenn die Gespräche über eine umweltbewusste Ernährung und Nachhaltigkeit im Allgemeinen beim Surfbrett-Schleppen und beim gemeinsamen Ausflug ins spanische San Sebastián im Vordergrund stehen. In dem kleinen Refugium, das 2012 von der französischen NGO „L’Amour de la Terre“ auf dem Campingplatz „Les Cigales“ gegründet wurde, herrscht unter den Gästen und Betreiber*innen ein gewisser Konsens: Man versucht seinen ökologischen Fußabdruck sowohl im Alltag als auch im Urlaub, möglichst kleinzuhalten.
Für mehr Nachhaltigkeit
Viele Gäste sind mit Zug und Bus angereist, haben teilweise eine 24-stündige Reise hinter sich. Andere haben über die Facebook-Gruppe des Camps Fahrgemeinschaften gebildet oder sich die Kosten für Shuttles geteilt. Das Camp wirkt, umzingelt von anderen großen Surfcamps und Glampings, wie eine Öko-Insel. Die verwendeten Lebensmittel stammen aus dem Biolandbau und nach Möglichkeit aus der Region, die wenigen Verpackungen sind meist biologisch abbaubar. Besteck und Geschirr sind aus Holz oder Keramik. Für Kalt- und Heißgetränke, die den ganzen Tag über in Getränkespendern oder gefiltert aus der Leitung zur Verfügung stehen, gibt es Mehrwegbecher. Am Frühstücksbuffet füllen die Gäste ihre eigens mitgebrachten Tupperdosen und Einweckgläser: Jede*r stellt sich aus den Resten vom Vorabend und aus diversen anderen Gerichten eine Lunchbox zum Mittagessen zusammen. Das Essen an sich ist keine kulinarische Offenbarung, doch es ist abwechslungsreich und schmeckt. Im Camp landet wenig in der Tonne. Man setzt auf Zero-Waste. Das kommt nicht nur durch die Wiederverwertung der Zutaten und durch gemeinsame Beach-Cleanings zum Ausdruck, sondern spiegelt sich auch im Design und in Details wieder.
Die meisten Möbel im Camp wurden aus Europaletten und Holzresten handgefertigt. Am Empfang stehen „Give-Boxes“, in die Gäste beispielsweise angebrochene Pflegeprodukte an die nächsten Besucher*innen weitergeben können. Gleich daneben gibt es vegane Bio-Kosmetikprodukte zur Probe. Bei Workshops zum Thema lernt man, diese selber herzustellen. Am anderen Ende des Camps kann man ausgelesene Ferienlektüre im offenen Bücherschrank zurücklassen oder sich selbst bedienen.
Das Konzept trifft heute, wo der Kampf gegen den Klimawandel erneut an Fahrt gewinnt, voll ins Schwarze. „Als ich vor … lass mich mal überlegen … sechs Jahren angefangen habe, die Saison über hier zu arbeiten“, sagt Gero, einer der langjährigen Mitarbeiter des Camps, „hatten wir deutlich weniger Gäste als heute.“ Zum Saisonstart im Juni sind es in der Regel über 100, gegen Ende im September um die 50. Im Camp selber ist es überraschend ruhig. Anders als etwa in den benachbarten Ferienlagern, in denen anstelle von Yoga, Nachhaltigkeit und veganem Essen eher Partyabende zu Abba und Dubstep angesagt sind. Um 23 Uhr herrscht glücklicherweise für alle auf dem Campinggelände Nachtruhe, sodass es nicht allzu hart ist, wenn morgens vor acht der Wecker zum Früh-Yoga klingelt.
Schneidersitz und surfendes Treibholz
Die schmunzelnde Veganerin gewann während ihres Aufenthalts an der Atlantikküste gleich mehrere Erkenntnisse dazu. Eine davon: Nicht für jede Yoga-Art muss man sich die Füße hinters Ohr klemmen können. Sie, die nicht mal schmerzfrei im Schneidersitz sitzen kann, fand tatsächlich Gefallen an einer Bewegungsart, die sie bis dahin als langweilige Räucherstäbchen-Gymnastik abgetan hatte. Beim Yin-Yoga (einer meditativen Yoga-Art) lag sie auf einer Matte gebettet, eingemummelt in eine Decke und umwoben vom Duft der Räucherstäbchen, glückselig da und erfreute sich des Lebens. Die Yogalehrer*innen im Camp bieten an sechs Tagen der Woche unterschiedliche Kurse an. Die reichen vom dynamischen Ashtanga- oder Vinyasa-Yoga, über das akrobatische Acro-Yoga, bis hin zum absurd aussehenden Fun-Yoga. Die Einheiten, für die jeweils ein Betrag von fünf Euro fällig wird, finden mal im Camp, mal am wenige Gehminuten entfernten Strand statt. Sie bilden eine gute Ergänzung zu den Surfkursen, die man im Vorfeld und vor Ort buchen kann.
Die von der „International Surf Association“ zertifizierten Trainer*innen treiben einen entweder an zehn (125 Euro) oder an dreizehn Stunden (175 Euro), in Gruppen von maximal acht Teilnehmer*innen in die Fluten. Profis können sich Surfbretter – unter anderem die Ecoboards der Firma Notox aus dem benachbarten Anglet – zahlungspflichtig ausleihen oder an Kursen für Fortgeschrittene teilnehmen. Die Wellen in Moliets-et-Maâ eignen sich für alle Erfahrungsstufen. Die gesamte Region gilt übrigens als Geburtsort des Surfsports in Europa. Nur eine Stunde entfernt, in Biarritz, wurde in den 1950er-Jahren der erste Surfclub Europas gegründet.
Als Anfänger*in schleppt man erst mal ein Soft-Top-Surfbrett – ein Surfbrett mit weicher Oberfläche und abgerundeten Enden – zum Strand. Der obligatorische Wetsuit, den das Camp bereitstellt, klebt dabei unangenehm feucht an der schwitzenden Haut. Man kann ihn auch erst am mit Menschen überfüllten Strand überziehen, vorausgesetzt man hat keine Scheu davor, strampelnd und ächzend beim Versuch, sich eine zweite Haut auf Zeit überzuziehen, gesichtet zu werden. Elegant geht anders. Doch von dem Gedanken, auf dem Brett eine gute Figur zu machen, verabschiedet man sich ohnehin sobald einem die erste Welle schonungslos ins Gesicht schlägt. Stattdessen versucht man den gefühlt hundert anderen Surfschüler*innen, die ähnlich unbeholfen gegen das Meer ankämpfen, aus dem Weg zu paddeln.
Das Witzige daran: Das macht unglaublich Spaß. Die Sonne im Gesicht, den Surflehrer mit Sonnenhut und dick aufgetragener Sonnencreme im Nacken, fühlt man sich angesichts der Wucht, mit der einem die Wellen entgegenschlagen, klein und unwichtig. „Wenn du die Welle auf dich zukommen siehst: paddel“, hallen die Instruktionen des Surflehrers nach. „Und wenn sie dich trifft, dann paddelst du, wie eine Verrückte. Nicht wie ein Hund. Vergiss nicht: Das Surfbrett ist wie eine große Banane. Bewege dich so, wie eine kleine auf einer großen Banane.“
Nach mehreren Bauchklatschern und Nasenspülungen mit Salzwasser steht man – und spürt die Kraft des Meeres unter seinen Füßen. Es treibt einen voran, nimmt keine Rücksicht auf Unsicherheiten oder einen sorgenschweren Kopf. Das Meer schiebt einen mit einer Leichtigkeit vor sich her, als wäre man nichts weiter als eine der vielen Muscheln, die es immerzu an den Strand spült. Wer es kann, bezähmt die Wellen und sieht dabei unheimlich lässig aus – auch das kann man in Moliets-et-Maâ bewundern –, doch selbst wer bloß wenige Sekunden auf dem Brett steht, fühlt sich kurz wie die Königin der Meere. Auch wenn man vom Ufer aus vermutlich eher aussieht wie ein Stück Treibholz. An Orten wie diesem ist Träumen erlaubt. Spätestens dann, wenn die Sonne über dem abends fast menschenleeren Strand ungestört, unter dem zaghaften Applaus einiger Bewunder*innen und zum Wellentanz der Surfprofis untergeht.
Umso brutaler ist der Weg zurück in eine Welt, in der man sich schon fast für vegane Optionen bei den Restaurantbesitzer*innen bedanken will und Einweggeschirr noch entschieden zu oft angeboten wird. Szenenwechsel: Der Flughafen Bordeaux vor der Abreise nach Luxemburg. Hunderte Menschen stehen bei einem der Gastrobetriebe Schlange, halten in reichlich Plastik verpackte Salate in den Händen. Kinder wollen „des chiens chauds“ essen und meinen vermutlich Hot Dogs aus Billigfleisch. „Un café“, bestellt die Veganerin aus dem Zelt, „sur place, s’il vous plaît.“ Man reicht ihr einen Pappbecher. Auf die Frage, ob es denn keine Tassen gebe, reagiert der Angestellte verwirrt. Nein, gibt es nicht. Sie ärgert sich darüber, keinen eigenen To-Go-Becher dabei zu haben, lässt das Pappding später aber immerhin ein zweites Mal befüllen. Der Angestellte an der Kasse lächelt: „Cool, c’est un bon réflexe. Bravo.“ Dieses Mal schmunzelt sie nicht. Sie schüttelt nur den Kopf.