Nachhaltigkeit war ein wichtiges Schlagwort für die blau-rot-grüne Regierung. Im zweiten Teil unserer Serie über gehaltene und gebrochene Versprechen der Regierung gehen wir auf die Themen Biodiversität, Wasser- und Luftqualität ein.
Vor zwei Wochen hat die woxx im ersten Teil dieser Artikelserie die Versprechen des Koalitionsabkommens in den Bereichen Klima, Abfall, Energie und Forstwirtschaft analysiert. Während die Müllberge bekämpft wurden und der Wald ein neues Gesetz bekam, muss das Klima weiterhin auf seine Rettung warten. Die Klimakrise geht Hand in Hand mit der Biodiversitätskrise, die Luxemburg hart trifft, was das Land – und die Regierung – in den letzten fünf Jahren immer wieder von diversen Organisationen bestätigt bekam.
Gerade im Bereich Artenschutz gab es in den letzten Jahren doch einige Fortschritte zu verzeichnen: Neue Gebiete wurden unter Schutz gestellt, Arten wie der Wolf und der Biber sind zurück in Luxemburg. Doch gleichzeitig gibt es immer wieder schlechte Nachrichten: Nur 32 Prozent der natürlichen Habitate sind in einem guten Zustand, nur 15 Prozent der geschützten Spezies in einem guten Erhaltungszustand, ein Viertel der Arten vom Aussterben bedroht, 93 Prozent der Landesfläche stark fragmentiert – das stellte etwa die OECD 2020 fest. Ein Jahr zuvor hatten Mouvement écologique und Natur&Ëmwelt, die Association des biologistes luxembourgeois, das Nationalmuseum für Naturgeschichte (MNHN) und die Société des naturalistes luxembourgeois auf das dramatische Vogelsterben in Luxemburg aufmerksam gemacht: Über die Hälfte der 131 Brutvogelarten in Luxemburg stehen auf der Roten Liste. 13 Arten gelten als ausgestorben, sieben sind davon bedroht, acht stark gefährdet, elf haben den Status „gefährdet“ und 24 Arten stehen auf der Vorwarnliste.
Ständig neue Hiobsbotschaften
Im März 2022 bestätigte ein Bericht des Observatoire de l’environnement naturel diese Zahlen und machte darauf aufmerksam, viele Arten würden überhaupt nicht beobachtet, weil sie nicht EU-weit geschützt sind. Über den Zustand von Schmetterlingen und Wildbienen in Luxemburg wissen wir also so gut wie nichts, weil es kaum Forschung dazu gibt – und wenn, dann muss diese oft von Freiwilligen durchgeführt werden. Das Observatoire verortete die Schuld am Rückgang der Arten ganz klar in der Landwirtschaft. Das Verbot von Glyphosat sollte ein erster Schritt in Richtung pestizidfreies Luxemburg sein, doch dieser Traum wurde im März 2023 vom Verwaltungsgericht zerstört: Das Verbot ist aufgehoben und obwohl Landwirtschaftsminister Claude Haagen (LSAP) ankündigte, ein neues Verbot prüfen zu wollen, kam es bisher nicht dazu.
Die Idee, mehr Daten über geschützte Arten zu sammeln und zur Verfügung zu stellen, ist im Anbetracht der dramatischen Lage sicherlich nicht verkehrt. Dennoch lässt eine versprochene Maßnahme aus dem Koalitionsabkommen eine*n auch etwas sprachlos zurück. Im Naturmusée sollte eine Datenbank zu geschützten Arten eingerichtet werden. Das Nationalmuseum für Naturgeschichte (MNHN) betreibt bereits seit 2010 die Website data.mnhn.lu, auf der Beobachtungen gesammelt werden. Gesammelt werden jedoch Daten aller Arten, unabhängig von ihrem Schutzstatus. Die gesammelten Beobachtungen sind auch in internationalen Datenbanken wie der Global Biodiversity Information Facility abrufbar. Das hätten die Koalitionär*innen, die ja bereits fünf Jahre zuvor in der Regierungsverantwortung waren, wissen können.
Ein Plan für die Bienen, keiner für die Transition
Doch nicht nur Vögel sind bedroht, denn die Zerstörung von Lebensräumen, der Einsatz von Pestiziden und die erhöhten Temperaturen machen allen Arten zu schaffen, zum Beispiel auch den Insekten. So stand der Schutz der Bestäuberinsekten in den letzten fünf Jahren immer wieder auf der politischen Tagesordnung, hier hatte die Regierung sogar einen eigenen Aktionsplan ausgearbeitet.
Eine Überprüfung der Luxemburger Umweltpolitik durch die EU-Kommission im September 2022 ergab ebenfalls schlechte Noten: Miserabler Zustand der Natur, eine der schlechtesten Bodenversiegelungsraten in der Union, nur 2,7 Prozent der Oberflächenwasser in einem guten ökologischen Zustand. Die Kommission berechnete außerdem 230 vorzeitige Tode durch schlechte Luftqualität. Dazu passt auch, dass die Regierung ihr Ziel, das Luftqualitätsmessnetzwerk zu überarbeiten, nicht erreicht hat. Auch ein interministerielles Komitee, das sich mit dem Zustand der Luft auseinandersetzen sollte, ist – soweit wir es in Erfahrung bringen konnten – nicht wie geplant ins Leben gerufen worden. Stattdessen setzt die Regierung auf Kosmetik und betont oft, unter den EU-Grenzwerten zu liegen. Die Richtwerte der WHO, die nicht auf einem politischen Kompromiss, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußen, werden dabei nicht erwähnt. Eine Auswertung der europäischen Umweltagentur EEA zeigte, dass 96 Prozent der Luxemburger*innen in Gebieten mit schlechter Luftqualität leben. Die zunehmende Elektrifizierung des Fuhrparks wird dieses Problem vermutlich verringern – doch Feinstaub entsteht nicht nur in Verbrennungsmotoren, sondern auch in Holzheizungen oder durch Reifenabrieb.
Wann kommt der System Change?
Im Grunde sind die Schlussfolgerungen der Berichte – und der Aktionspläne der Regierung – immer die gleichen: Weniger Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln, mehr Schutzgebiete, weniger Versiegelung und Zerschneidung durch Straßenbau, mehr naturnahe Grünflächen auch innerhalb von Siedlungen. Oft wird zumindest angedeutet, dass unsere Art und Weise zu wirtschaften alles andere als nachhaltig ist.
Die Wissenschaftler*innen der Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES), des Weltbiodiversitätsrates, forderten, wie viele Umwelt- und Klimaaktivist*innen auch, einen Systemwechsel. Es ist relativ klar, dass die kapitalistische Logik von ewigem, auf der Extraktion von Ressourcen basierendem Wachstum auf kurz oder lang die Kapazitäten des Planeten sprengen wird. Das ist keine neue Erkenntnis, sie wurde schon 1972 vom Club of Rome in dem bahnbrechenden Bericht „Limits of Growth“ (Grenzen des Wachstums) beschrieben. Es handelt sich demnach um Wissen, auf das die aktuelle Politiker*innengeneration, insbesondere die Minister*innen von Déi Gréng, bereits lange vor ihrer Amtsübernahme zurückgreifen konnten.
Die Frage, welche Partei die besten Ideen hat, um Klima und Umwelt konsequent zu schützen, ist noch nicht vollends zu beantworten. Das, weil noch nicht jede der Parteien, die am 8. Oktober zur Parlamentswahl antreten, ihr Wahlprogramm veröffentlicht hat. Außerdem müsste die Frage vermutlich ergänzt werden: Welche Partei kann sich bei den Koalitionspartner*innen am besten durchsetzen, um ihre ökologische Politik nicht komplett zu verwässern?