Luftqualität: Ungesund bis 2050

Noch ein Vierteljahrhundert sollen Europäer*innen schlechter Luftqualität ausgesetzt sein. Die EU will die Grenzwerte zwar anpassen, doch das wird nicht reichen.

Umweltschützer*innen waren seit langem vor schlechter Luftqualität – auf dem Bild ist eine Aktion von „Friends of the Earth Scotland“ aus dem Jahr 2015 zu sehen. (Foto: CC-BY Maverick Photo Agency)

Sieben Millionen Menschen sterben jedes Jahr einen vorzeitigen, vermeidbaren Tod, weil sie schlechter Luftqualität ausgesetzt sind. So hat es zumindest die Weltgesundheitsorganisation WHO berechnet. Sie fordert seit Jahren strengere Standards und gibt eigene, sehr niedrige Richtwerte heraus. Die EU hat zwar verkündet, dem Rechnung tragen zu wollen, doch die Realität sieht anders aus. Auch die neue Abgasnorm Euro7 steht einer Besserung im Weg. Die Luxemburger Regierung verhält sich – wie gewohnt – passiv.

Schlechte Luftqualität geht nicht nur mit frühzeitigen Todesfällen einher, sondern kann auch Krankheiten verschlimmern. Studien haben gezeigt, dass Menschen, die erhöhten Feinstaubkonzentrationen (PM 2,5) ausgesetzt waren, eine höhere Chance hatten, an Covid-19 zu sterben. Dies war vor allem zu Beginn der Pandemie der Fall, als das Virus noch nicht allgegenwärtig war.

Eine Mehrheit der EU-Bürger*innen will strengere Standards zur Luftqualität. Das ist das Resultat einer Eurobarometer-Studie, die am 24. Oktober veröffentlicht wurde. Zwar hat weniger als ein Drittel der Befragten von den EU-Standards für Luftqualität gehört, dennoch sind im europäischen Durchschnitt 67 Prozent dafür, sie zu stärken. In nur fünf Ländern ist die Mehrheit der Befragten dagegen. Mit 66 Prozent Zustimmung liegt Luxemburg im EU-Durchschnitt. Lediglich zwei Prozent sind hierzulande der Ansicht, die aktuellen Maßnahmen seien zu streng.

Luftqualiwas?

Allerdings gab etwas mehr als die Hälfte (53 Prozent) der Befragten aus Luxemburg an, gar nicht oder nicht gut über die Probleme mit der Luftqualität im Großherzogtum informiert zu sein – eine schlechte Zensur für die App „Meng Loft“, mit der das Umweltministerium seit Mai 2018 Luftqualitätsdaten zur Verfügung stellt. Die App ist ohnehin nicht sonderlich beliebt: Im Apple App Store sind eher schlechte Bewertungen zu lesen, im Android Play Store sind lediglich um die 5.000 Downloads verzeichnet.

Kein Wunder also, dass sich viele schlecht informiert fühlen. Aus den Kommentaren im App Store lässt sich auch herauslesen, dass das Prinzip der App nicht unbedingt verstanden wurde. Die rechnet aus den Messdaten der wenigen – vor allem im Süden des Landes vorhandenen – Messstationen und den Wetterdaten einen Luftqualitätsindex für den aktuellen Standort des*der Nutzer*in. Die relativ niedrige Anzahl der Stationen sorgt für Kritik bei den Nutzer*innen.

Auch aus der Forschung gibt es Stimmen, die an dem bodenbasierten Messsystem zweifeln: Im März 2020 veröffentlichte das Luxembourg Institute of Socio-Economic Research (Liser) eine Studie, für die die Konzentration von Stickstoffdioxid (NO2) in der Großregion mittels Satellit gemessen worden war. Die größeren Städte wie Lüttich, Namur und Saarbrücken sind deutlich stärker betroffen als Luxemburg, aber gerade entlang der Autobahnen, über die tagtäglich tausende Pendler*innen fahren, waren die NO2-Emissionen hoch. Da die Messstationen vor allem in großen Städten stehen, ist das Ausmaß der NO2-Belastung in den Orten rund um die Autobahnen vielleicht gar nicht bekannt – und die „Meng Loft“-App wiegt ihre Nutzer*innen in falscher Sicherheit.

Halbiert und trotzdem zu hoch

Egal, mit welchen Methoden gemessen wird: In der EU soll sich die Luftqualität auf lange Sicht verbessern. Zwei Tage nach den Eurobarometer-Resultaten stellte die EU-Kommission ihre Pläne zur Verbesserung der Luftqualität vor. Ziel sei es, bis 2050 „Zero Pollution“, also keine Luftverschmutzung, zu erreichen. Man wolle sich den Richtwerten der WHO annähern, hieß es in der Pressemitteilung, die den neuen Entwurf ankündigte. So werde man den Grenzwert für Feinstaub (PM 2,5) über die Hälfte absenken: Statt des aktuellen Grenzwerts von 25 µg/m³ im Jahresmittel sollen 2030 nur noch 10 µg/m³ erlaubt sein.

Die Aussage ist jedoch etwas irreführend, denn 10 µg/m³ ist immer noch doppelt so hoch wie der Vorschlag der Weltgesundheitsorganisation, die lediglich 5 µg/m³ im Jahresmittel empfiehlt. Nur bei dem größeren und weniger gefährlichen PM10-Feinstaub schlägt die EU-Kommission einen Tagesgrenzwert vor, der identisch mit dem der WHO ist. In Luxemburg sind die Feinstaubwerte aktuell unter den EU-Grenzwerten und sogar leicht unter den anvisierten Grenzwerten. Der Richtwert, den die WHO für gesundheitlich unbedenklich hält, wird jedoch seit Jahren überschritten.

Feinstaub ist ein besonders tückischer Luftschadstoff. Er existiert in verschiedenen Größen, und je kleiner er ist, umso tiefer kann er in die Lunge eindringen und dort Schäden verursachen. Feinstaub kommt nicht nur aus Verbrennungsmotoren, sondern entsteht auch in den Heizungsanlagen von Wohnhäusern. Der Abrieb von Autoreifen, der beim Bremsen entsteht, ist ebenfalls eine große Quelle von Feinstaubemissionen – und wenn der nicht in den menschlichen Lungen landet, verursacht er in Gewässern und Böden ein Mikroplastikproblem. Anders als die meisten anderen Luftschadstoffe ist dem Feinstaubproblem nicht beizukommen, indem man alleine auf die Elektrifizierung des Fuhrparks setzt. Elektroautos verursachen zwar weniger Feinstaub, aber um die Feinstaubwerte wirklich zu senken, muss die Mobilitätspolitik vermehrt auf den öffentlichen Transport sowie Rad- und Fußverkehr setzen.

Zieht man die strengeren WHO-Richtlinien heran, wird deutlich, dass ein Großteil der EU-Bürger*innen in Gebieten mit schlechter Luftqualität lebt. (Grafik: EEA)

Bei anderen Luftschadstoffen, die durch Verbrennungsmotoren entstehen, wie zum Beispiel Stickoxide (NOx) wie etwa Stickstoffdioxid (NO2) ist das Muster der EU-Kommission ähnlich: Im Vorschlag für die neue Direktive wurden die Grenzwerte, die 2030 eingehalten werden müssten, zwar gesenkt, sind aber noch immer doppelt so hoch wie die Richtwerte der WHO.

„Es ist positiv, dass der Vorschlag da ist, damit wir einen EU-weiten Ansatz haben, um die Luftqualität im Interesse der Gesundheit der Menschen, aber auch für die Ökosysteme, zu verbessern“, urteilt Gilles Irthum vom Luxemburger Umweltministerium auf Anfrage der woxx hin. „Es ist wichtig, dass wir ambitionierte, aber auch erreichbare Ziele in den Direktiven setzen. Auch deswegen hat die EU ein Impact Assessment durchgeführt. Wir müssen einen Wert definieren, den alle Mitgliedsstaaten umsetzen können“, so der Beamte über den Fakt, dass die Werte nicht mit den WHO-Richtlinien übereinstimmen. Längerfristig sei genau das aber das Ziel: „Man muss aber auch sagen, dass der Feinstaub PM 2,5 über die Grenzen hinweg transportiert wird und deswegen nicht alles über nationale Maßnahmen erreicht werden kann. Die Direktive schlägt deswegen vor, in Etappen vorzugehen. Mit dem Ziel, 2050 den WHO-Grenzwert zu erreichen. Die WHO Guidance ist auf EU-Ebene die Grundlage.“

96 Prozent leben mit schlechter Luft

Bis 2050 werden sich die meisten Mitgliedsstaaten vermutlich auch nur auf die rechtlich bindenden EU-Grenzwerte berufen, wenn es um Luftqualität geht. Was im Klartext heißt, dass viele EU-Bürger*innen mit ungesunder Luft leben müssen und deswegen frühzeitige, vermeidbare Tode sterben. Die Europäische Umweltagentur (EEA) veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht über den Status der Luftqualität in der EU. Im diesjährigen Bericht ist eine Grafik veröffentlicht, die aufschlüsselt, welcher Anteil der urbanen Bevölkerung mit Luftverschmutzung über den EU-Grenzwerten und über den WHO-Richtwerten lebt. So könnte man meinen, beim besonders gesundheitsschädlichen Feinstaub PM 2,5 sei das Ziel beinahe erreicht: Nur weniger als ein Prozent der Bevölkerung ist Werten über dem EU-Grenzwert ausgesetzt. Betrachtet man den viel strengeren, medizinischen Wert der WHO, sind es ganze 96 Prozent, die Feinstaub in gefährlicher Menge ausgesetzt sind. Ähnlich sieht es bei der NO2-Belastung aus: ein Prozent lebt über dem EU-Grenzwert, 89 Prozent über dem WHO-Grenzwert.

Um das „Zero Emission“-Ziel zu erreichen, sind neue, niedrige Grenzwerte eine Möglichkeit. Die Mitgliedsstaaten müssen die Luftqualität in ihren Städten messen und Maßnahmen treffen, falls sie die Grenzwerte nicht einhalten. Ein anderes politisches Werkzeug sind die Grenzwerte für Automobile, die in den sogenannten Euro-Normen festgeschrieben sind. Je nach Fahrzeugklasse und -größe dürfen die Motoren verschieden viele Schadstoffe ausstoßen. Vor einigen Jahren war dies Anlass für den sogenannten Dieselskandal, als herauskam, dass deutsche Automobilkonstrukteure ihre Fahrzeuge mit einer Abschaltanlage ausgestattet hatten, die dazu führte, dass die Abgasreinigung erst ab einer Umgebungstemperatur von 15 Grad Celsius zu 100 Prozent arbeitete.

Die NGO „Deutsche Umwelthilfe“ klagte mehrfach dagegen, was Volkswagen in einem Fall dazu verleitete, juristisch anzufechten, ob die Umwelthilfe überhaupt klagen darf. Am vergangenen Dienstag urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die Klage zulässig und die Abschalteinrichtung vermutlich illegal sei – über dieses Detail muss jedoch ein Gericht in Deutschland entscheiden. Legal könnten solche Abschaltanlagen nur sein, wenn das Fahrzeug ohne sie beschädigt würde – zwischen den Zeilen liest man, dass das Gericht Volkswagen nicht wirklich glaubt.

Ein Kuss für den Null-Emissionsbus

Ab 2025 soll mit der siebten Version eine neue, schärfere Norm gelten. Doch für manche Fahrzeuge ist sie überhaupt nicht schärfer. Die Website Euractiv hat einen kommissionsinternen Entwurf der neuen Euro7-Norm geleakt. Darin wurden die Werte für Stickoxid-Emissionen (NOx) gegenüber der aktuellen Euro6-Norm nicht verändert. Lediglich für Dieselfahrzeuge sollen die gleichen Normen gelten wie bereits jetzt für Benziner. Diese umstrittene Entscheidung soll auf Lobbyarbeit der Automobilindustrie zurückgehen, die mit erhöhten Kosten und Absatzschwierigkeiten zu kämpfen hat. Mit dem Argument, dass ansonsten Autos teurer würden, soll nun also eine Abgasnorm erlassen werden, mit der die Luftqualität weiterhin ungesund schlecht bleibt.

Während die EU-Kommission der Autoindustrie also noch ein paar Jahre leichte Profite aus dem Verkauf luftverschmutzender Verbrennermotoren gönnen will, haben Umweltaktivist*innen und einige europäische Großstädte komplett andere Ideen. Die EU solle 2027 als Deadline für Null-Emissionsbusse festlegen. Neben vielen NGOs forderten dies auch Barcelona, Cluj-Napoca, Kopenhagen, Hamburg, Malaga, Mailand, Palma, Paris, Rotterdam, Sevilla und Valencia. Der Verkauf von Null-Emissionsbussen sei in den letzten Jahren rasant angestiegen, 23 Prozent der Neuregistrierungen von urbanen Bussen stießen keine Emissionen aus, heißt es in dem Brief. „Ohne Maßnahmen auf EU-Ebene wird die Nachfrage nach emissionsfreien Stadtbussen jedoch nicht durch das Angebot gedeckt werden. Dies würde die Verpflichtungen führender Städte in Frage stellen und die Bürger der EU länger der Luftverschmutzung aussetzen. […] Deshalb fordern wir – Städte, Organisationen der Zivilgesellschaft und andere Akteure – die Europäische Kommission auf, ein Verkaufsziel für alle neuen emissionsfreien Stadtbusse bis 2027 in ihren kommenden Vorschlag aufzunehmen.“

In Luxemburg versprach sich die Regierung durch die Einführung der Tram eine Verbesserung der Luftqualität innerhalb von Luxemburg-Stadt. Durch die Elektrifizierung der Busflotte soll der Trend fortgesetzt werden. Dann muss nur noch ein Weg gefunden werden, die vielen Autofahrer*innen dazu zu bringen, auch in sie einzusteigen.


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