Einfach weiter wie bisher geht nicht, so lautet das Ergebnis eines Podiumsgesprächs zum Wachstum. Die Empfehlungen für die Suche nach Alternativen waren eher widersprüchlich.
Jeremy Rifkin hat viele Fans. Aber auch viele Kritiker. „Seine Konstruktionen sind fantasievoll, blenden aber die materielle Basis aus“, so Harald Welzer. Die Vision, Internet, Sharing Economy und 3D-Drucker würden wie von selbst die Welt zum Besseren verändern, sei „Daniel Düsentrieb“. Der deutsche Publizist war einer der Disputanten bei dem vom Mouvement écologique am Dienstagabend veranstalteten Podiumsgespräch zur Wachstumsdebatte.
Rifkins Vision sei in der Tat „extrem optimistisch und stark vereinfachend“, pflichtete Welzers Kontrahent, der Ökonom Reinhard Loske bei. Er verwies auf die von anderen ausgemalte Schreckensvision, dass unter der Flagge der Sharing Economy endgültig alle Bereiche des menschlichen Lebens einer Wirtschafts- und Marktlogik unterworfen würden. „Ich denke, beide Szenarien sind möglich“, resümierte Loske. „Aber die Politik muss diese neuen ökonomischen Modelle regulieren, sonst enden wir wahrscheinlich in der Hölle des Sozialdumping.“
Systemwechsel statt Green Growth
Weitgehend einig waren sich die beiden Gesprächsteilnehmer darin, dass seit den 1970er Jahren alle Versuche einer grünen Umdefinierung des Wachstums gescheitert sind. Deshalb müsse man Wachstum an sich problematisieren, befand Loske: „Zu glauben, man könne vom Wachstum schweigen und trotzdem Nachhaltigkeit erreichen, hat nie funktioniert.“
Gegen Ende der Diskussion warf Welzer die Systemfrage auf: „Im Kapitalismus, wie er heute funktioniert, scheinen Nachhaltigkeit und eine gewisse Sicherheit des Lebens einander auszuschließen.“ Man brauche also etwas Neues. Auch Loske ordnete das jetzige System als keinesfalls zukunftsfähig ein. Als dann noch die Interventionen des Publikums die soziale Frage aufwarfen, wurde klar, dass eine Politik der kleinen Schritte, die niemandem wehtut, den Herausforderungen nicht gewachsen ist. Man darf gespannt sein, ob die bei dieser alternativen Veranstaltung anwesenden MinisterInnen die Botschaft mit in die derzeit stattfindenden Mainstream-Events nehmen.
Selektiv wachsen
Was aber tun? Hier waren sich Welzer und Loske nicht einig. Ersterer geht davon aus, niemand habe heute eine wirkliche Vorstellung von einem nachhaltigen Modell. Deshalb sei es am wichtigsten, neue Wege auszuprobieren, wie es die Bewegungen des „Urban Gardening“ oder der „Transition Towns“ tun. Loske dagegen hält politische Entscheidungen für unabdingbar. Zu diesen gehöre die Förderung der neuen Bewegungen, aber auch die Festlegung konkreter, quantifizierter Ziele.
Ob sich Luxemburg im Rahmen der offiziellen Zukunftsdiskussion solche Ziele – die über die von der EU verordneten hinausgehen – geben wird, bleibt abzuwarten. Die Wachstumspläne an sich – bis zu über eine Million Einwohner im Jahre 2060 – stellte Loske interessanterweise nicht grundsätzlich in Frage. Statt von qualitativem solle man aber besser von selektivem Wachstum – in bestimmten Bereichen – reden. Ziel sei, dass ein reiches Land wie Deutschland insgesamt betrachtet nicht mehr weiterwachse, und in bestimmten Regionen müsse man die Schrumpfung managen. Doch urbane Räume mit Innovationsclustern und Zuwanderung könnten durchaus noch wachsen – was wohl auch auf Luxemburg zutreffe.
woxx-Interview mit Harald Welzer im Vorfeld einer ähnlichen Veranstaltung in Luxemburg 2014.