Weinstein-Skandal
: Nicht nur in Hollywood!

In der Diskussion rund um die Anschuldigungen gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein tauchen immer wieder die gleichen Fragen auf: Wo fängt sexuelle Belästigung an? Wieviel kann ein Social-Media-Aufschrei bewirken? Was kann jede_r einzelne tun?

Neben #metoo werden mittlerweile auch Hashtags wie #itwasme, #Ihave und #guilty verwendet. (© Pixabay)

Harvey Weinstein – diese zwei Wörter scheinen in den letzten Wochen zum Inbegriff sexueller Belästigung geworden zu sein. Harvey Weinstein hat von Frauen verlangt, dass sie ihm beim Baden zuschauen. Er hat vor einer Reporterin in eine Topfpflanze masturbiert und er hat Frauen vergewaltigt. Innerhalb weniger Tage ist dieser Mann zur Verkörperung alles Abgründigen an Hollywood geworden: des Machtmissbrauchs, des Sexismus, der schieren Tyrannei. Weinsteins Handlungen sind so gravierend, dass niemand, nicht einmal Sexismus-VerharmloserInnen, sie als Altherrenwitze oder Flirts abtun können – nett gemeint und einfach falsch aufgefasst. Nein, Weinsteins Verhalten ist mit nichts zu entschuldigen.

Die Welle von Anschuldigungen, Empörungsbekundungen und Solidaritätserklärungen hat innerhalb kürzester Zeit derartige Ausmaße angenommen, dass die meisten wahrscheinlich gar nicht mitbekommen oder aber schon wieder vergessen haben, wie alles begann: Anfang diesen Monats veröffentlichte die New York Times einen Artikel, in dem erstmals von sexuellen Belästigungen durch den Hollywood-Produzenten die Rede war. Dieser habe seine Opfer jahrzehntelang mit Geldabfindungen zum Schweigen gebracht, hieß es im Text. Er habe um sich herum ein Klima der Einschüchterung und des Schweigens geschaffen.

Auf die Enthüllungen hin gab sich ganz Hollywood schockiert. Bei so manchem, der seine Empörung öffentlich machte, ging der Schuss allerdings nach hinten los: So wurde Ben Affleck selbst früher begangener Belästigungen beschuldigt. Zahlreiche weitere Beschuldigungen folgten, nicht nur gegenüber Weinstein, sondern auch gegenüber anderen Filmemachern wie Roman Polanski und James Tobak, Schauspielern wie Val Kilmer und sogar sonstigen, in der Öffentlichkeit stehenden Personen, wie George W. Bush sen.

Vorurteile und victim-blaming

Nun stellt sich die Frage, in welchem Grade sich ein Zusammenhang herstellen lässt zwischen den Erfahrungen dieser Hollywood-Schaupielerinnen und dem Rest der Welt. In der Filmmetropole mögen in nächster Zeit zwar andere Saiten aufgezogen werden, doch wem hilft das außerhalb einer kleinen, größtenteils weißen Elite? Wenn der Fall Weinstein aber etwas deutlich gemacht hat, dann dieses: Wenn selbst einige der berühmtesten und reichsten Frauen der Welt im Arbeitsalltag um ihre Sicherheit fürchten müssen, lässt sich ermessen, wie schlecht es dann erst um weniger privilegierte Frauen bestellt ist.

Die Ereignisse in Hollywood haben zudem gezeigt, dass es Aufklärungsbedarf gibt. Sowohl die professionnelle Berichterstattung als auch private Kommentare über den Skandal waren gespickt mit Fehlinterpretationen, victim-blaming und Beileidsbekundungen für den Beschuldigten.

Besonders herausstechend war hierbei die Aussage der Modedesignerin Donna Karen, sexy gekleidete Frauen seien selber schuld, wenn sie sexuell belästigt werden. Für negative Schlagzeilen sorgte ebenfalls eine Wortmeldung des Filmemachers Woody Allen, der selbst bereits des sexuellen Missbrauchs beschuldigt worden ist, Weinstein sei ein trauriger, kranker Mann. Es sei allerdings zu hoffen, dass es in Folge der Anschuldigungen nicht zu einer Hexenjagd kommen werde. Es müsse verhindert werden, dass jeder Mann, der einer Frau zuzwinkert, sich künftig mit einem Anwalt verteidigen müsse. Ähnliche Bedenken äußert Birgit Kelle in einem Welt-Artikel, wenn sie kritisiert, dass es mittlerweile für jegliches männliche Fehlverhalten einen Ausdruck gibt – von „lookism“, über „victim blaming“ bis zu „manspreading“.

Doch auch abseits der Medien kursieren zahlreiche Fehleinschätzungen. Besonders vor dem Hintergrund, dass dem Produzenten vielfach vorgeworfen wurde, Frauen in seinem Hotelzimmer belästigt zu haben, stellen viele die Frage, wieso sich diese Frauen überhaupt bereit gefunden hatten, sich dorthin zu begeben. Vor allem, da Weinsteins Belästigungen als offenes Geheimnis galten. Weshalb geht eine Frau das Risiko ein, mit einem solchen Mann alleine in einem Raum zu sein? Nun ist es in Hollywood nicht unüblich, Geschäftsmeetings in Hotelzimmern abzuhalten – die Frauen taten also nichts Ungewöhnliches. Zudem konnte Arbeitspersonal des Produzenten mittlerweile zur Klärung des Ablaufs solcher Treffen beitragen. So habe Weinstein SchauspielerInnen von seinen AssistentInnen empfangen lassen, diese jedoch nach einiger Zeit aus dem Raum geschickt.

Solche Details sollten zur Beurteilung dieser Situationen aber im Grunde keine Rolle spielen. Weinstein scheute keine Mittel, um zu bekommen, was er wollte. Er schmeichelte ihnen, manipulierte, erpresste und bedrohte seine Opfer. Viele der Frauen waren zum Zeitpunkt des Angriffs jung und befanden sich in einer verletzlichen Lage. Weinstein nutzte die Karrierehoffnungen dieser Frauen, und ihre Angst, sich in Hollywood unbeliebt zu machen, schamlos aus.

Als traurige Tatsache kommt hinzu, dass vielen Menschen nicht klar zu sein scheint, wo sexuelle Belästigung anfängt. In einem Wort-Editorial fragt sich Gaston Carré, ob es nicht etwas übertrieben sei, wenn Frauen einen Mann öffentlich dafür kritisieren, dass er versucht haben, sie zu küssen. Was hier übersehen wird, ist, dass es sich in diesem Fall nicht um irgendeinen beliebigen Mann handelt. Es geht um einen Filmproduzenten, der während eines Geschäftsmeetings versucht, eine Schauspielerin zu küssen. Das aber ist ein ganz klarer Fall von Machtmissbrauch. Bei der Diskussion um die Grenze zwischen harmlosem Flirt und sexueller Belästigung muss immer auch der jeweilige Kontext mitbedacht werden. Befanden sich die involvierten Personen in einem asymmetrischen Machtverhältnis zueinander? Kam es zu Grenzüberschreitungen? Wurde die Frau auf ihr Aussehen reduziert? Fanden die Übergriffe systematisch statt? Besonders die erste Frage stellt sich recht kompliziert dar, da Männer* sich qua Geburt Frauen gegenüber in einer überlegenen Position befinden. Hinterherpfeifen, Begrapschen, plumpe Anmachsprüche sind allesamt Resultat einer Sicht von Frauen als minderwertig, und, ja: als Objekt.

(Foto: Wikimedia Commons)

Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen einem anzüglichen Spruch und sexueller Nötigung. Unterschiedliche Übergriffe als sexuelle Belästigung zu bezeichnen, bedeutet jedoch nicht, alles in einen Topf zu werfen. Darum geht es bei den Bekenntnissen auch nicht. Fokussieren wir uns darauf, wird die eigentliche Problematik übersehen: Frauen werden in unserer Gesellschaft diskriminiert, und daran muss sich etwas ändern.

Tausende Wortmeldungen

Nachdem bereits in Hollywood dutzendfach Anschuldigungen veröffentlicht worden waren, fingen auch in den sozialen Netzwerken tausende Frauen an, sich unter dem Hashtag #metoo als Opfer sexueller Übergriffe erkennen zu geben. Auch wenn der Hashtag generell dafür gelobt wurde, dass er Visibilität für eine oftmals unter den Teppich gekehrte Problematik schuf, motivierte er doch viele zu kritischen Stellungnahmen. Statt der Täter stelle der Hashtag die Opfer in den Vordergrund. In der Tat sind es meist die Opfer, die sich dem Enthüllungs- und Erklärungsdruck ausgesetzt sehen.

Obwohl sich unter den Hashtags #Ihave, #itwasme und #guilty mittlerweile auch zahlreiche Täter zu Wort gemeldet haben, halten sich Bedenken gegenüber #metoo hartnäckig. Im Lëtzebuerger Land äußerte Michèle Sinner die Befürchtung, der Hashtag könne dazu führen, dass Opfer untereinander in einen Konkurrenzkampf um die schlimmste Erfahrung verfallen. Doch selbst wenn dem so wäre, läge der Grund dafür immer noch bei den Belästigungen selbst und nicht beim Hashtag. Dass eine Offenbarung die andere an Drastik übertrifft, ist auf eine zutiefst frauenfeindliche Kultur zurückzuführen, nicht auf ein Social-media-Phänomen. Dieses hat lediglich mehr Visibilität verschafft. „Das hatten wir doch alles schon mal“, könnte man darauf mit Verweis auf den von Anne Witzorek ins Leben gerufenen #Aufschrei entgegnen, der vor nicht allzu langer Zeit die Social-Media-Plattform Twitter für Frauenbegrapscher zu einem ungemütlichen Ort werden ließ. Doch kann man überhaupt häufig und laut genug auf die Problematik aufmerksam machen?

Sinners Kommentar hat aber aus noch einem weiteren Grund einen faden Beigeschmack: Auf indirekte Weise unterfüttert er den Mythos der erfundenen Beschuldigungen durch Frauen, die nur um der Aufmerksamkeit oder persönlichen Vendetta willen Männer der sexuellen Belästigung bezichtigen.

In seinem Editorial stellt Carré die rezenten Vorkommnisse als Amerika-typisches Phänomen dar. Er zeigt sich überrascht ob der angeblichen Naivität vieler Schauspielerinnen, denn so funktioniere Hollywood nun einmal. So funktioniert nicht nur Hollywood, sondern unsere Gesellschaft insgesamt, aber genau darin liegt doch gerade das Problem. Und darüber müssen wir sprechen. Bezeichnenderweise scheint die Motivation größer, über einen weit weg liegenden Fall, wie den eines Hollywood-Produzenten zu reden als beispielsweise über Übergriffe am eigenen Arbeitsplatz.

In einem hat Carré aber nicht ganz unrecht: Das Ausmaß eines Machtmissbrauchs und Schweigekartells, wie im Falle Weinstein offenbar wurde, ist nur an wenigen Orten vorstellbar. Wenige Männer verfügen über so viel Macht wie er, und in nur wenigen Arbeitsbereichen kommt es derart auf Attraktivität, Image und stabile Beziehungsnetzwerke an wie in der Filmbranche. Geld führt zu Macht, und das bedeutet immer auch sexuelle Macht. Dennoch – was sich in der Traumfabrik ereignet, findet in gewisser Form überall statt. Georg Seeßlen schreibt in der Zeit „Man kann nicht nachdenken über Harvey Weinstein, ohne zugleich über Hollywood nachzudenken“. Dem wäre noch hinzuzufügen: Man kann nicht nachdenken über Hollywood, ohne zugleich über die strukturelle Diskriminierung von Frauen weltweit nachzudenken.

Nein, Opfer sexualisierter Gewalt sollten sich nicht zu Wort melden müssen, damit aktiv gegen hegemoniale Männlichkeitsstrukturen vorgegangen wird. Die rezenten Enthüllungen sowie die Hashtags können immerhin einerseits ein Bewusstsein dafür schaffen, dass es ein Problem gibt, andererseits helfen, mit der kollektiven Kultur des Schweigens zu brechen. Doch auch (potenzielle) Täter können etwas tun: Sie können ihren eigenen Umgang mit Frauen kritisch reflektieren. In einer Sitzung im Europaparlament am vergangenen Mittwoch sprach sich die Österreicherin Angelika Mlinar für ein neues Ziel im Kampf gegen sexuelle Belästigung aus: #notme.

*Hier ist die Rede von Cis-Männern, also Personen, die sich mit dem (in diesem Fall männlichen) Geschlecht identifizieren, das ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde.

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