Womex: Im Rausch globaler Klänge
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In der letzten Woche habe ich vor allem über die Konzerte auf der Weltmusikmesse WOMEX, die im Oktober in Santiago de Compostella stattfand, berichtet. Dort wurde auch über die Zukunft der Weltmusik hinsichtlich ihrer Verbreitung diskutiert.

Galizische Klangwelten, 
die man allzu selten hört: Xabier Diaz auf der Womex. (Photo  : ©Eric van Nieuwland)

Galizische Klangwelten, 
die man allzu selten hört: Xabier Diaz auf der Womex. (Photo  : ©Eric van Nieuwland)

Die CD im Kampf mit Download und Streaming – wer gewinnt, wer verliert? Eine der zahlreichen Diskussionsveranstaltungen beschäftigte sich mit der Frage, ob Weltmusikalben noch eine Zukunft haben, und zwar sowohl in physikalischer Hinsicht, als materielle CD, als auch in Form der Zusammenstellung mehrerer Stücke auf einer Platte. Diese Frage stellt sich ebenso für alle anderen Musikgattungen. Im Wesentlichen bestand der Teilnehmerkreis aus InhaberInnen von Musiklabels, die kontroverse Positionen vertraten. Tatsächlich nutzen zunehmend mehr MusikhörerInnen Downloads und Streaming, was in vielen Bereichen zu deutlich sinkenden Verkaufszahlen von CDs führt. Im Weltmusikbereich müssen Produktionskosten zwischen 8.000 und 10.000 Euro für die Herstellung eines Albums veranschlagt werden. Die Einnahmen für KünstlerInnen und Labels sind aber bei Downloads deutlich geringer als beim Verkauf einer CD, unter anderem deshalb, weil in der Regel nur einige wenige Titel einer Platte erworben werden, und nicht das ganze Album. Beim mittlerweile sehr beliebten Streaming kommt hinzu, dass von den Einnahmen nur wenig an die KünstlerInnen ausgeschüttet wird und der Löwenanteil in die Taschen der Streaminganbieter fließt.

Und von dem Wenigen, was für die Musikschaffenden übrig bleibt, profitieren die Großen des Pop-Business überproportional, sodass weniger bekannte Bands und Plattenfirmen lediglich ein paar armselige Cent abbekommen. Unter diesen Umständen verzichten selbst etablierte Bands aus dem Rockbereich, wie The Who, auf die Produktion eines Albums, wie ihr Sänger Roger Daltrey kürzlich erklärte, da nicht einmal die Produktionskosten erwirtschaftet werden können, von Gewinnen ganz zu schweigen.

Streaming bedroht die Welt(musik)

In der Folge produzieren mittlerweile auch einige Weltmusiklabels nur noch einzelne Songs; andere behelfen sich mit Mischkalkulationen, bei denen die Einkünfte aus dem Verkauf von einzelnen Stücken über die Internetanbieter genutzt werden, um zusätzlich auch vollständige CD-Alben zu produzieren. Doch es gibt auch immer noch viele, die der CD treu bleiben. Aus meiner Sicht wäre das Verschwinden von physikalische CDs mit einer Laufzeit von mehr oder weniger eine Stunde inklusive informativem und oft schön gestaltetem Booklet in jedem Fall ein großer Verlust, denn kommt es dazu, wird Musikkonsum vollends zum Häppchen-Verzehr, bei dem Musikschaffende auf eine breite Dokumentation ihrer Fähigkeiten verzichten müssten. Im Gastronomiebereich gibt es neben der Fast-Food-Welle glücklicherweise auch eine breite Bewegung des Slow-Food, die sich mit Häppchen nicht zufrieden gibt, wie eine Teilnehmerin auf dem Podium zu Recht feststellte. Ich erinnere mich noch gut an die 1960er Jahre, als durch Bands wie die Beatles und Cream die bis dahin dominierenden Singles unmodern wurden und es zum „guten Ton“ gehörte, ganze Alben zu kaufen und zu hören. Ich hoffe heute auf eine ähnliche Trendwende.

Denn ohne diese wären KünstlerInnen und Plattenfirmen ohne ausreichendes Einkommen gezwungen, sich ihre Brötchen auf andere Weise zu verdienen, und ihre Musik würde verschwinden. Ein gigantischer Verlust! In weiten Kreisen von Musikkonsumenten hat sich die Einstellung etabliert, Musik müsse kostenlos oder mindestens billig sein. Das ist grundfalsch! Musik zu machen und Musik an den Hörer zu bringen ist Arbeit, und für die gebührt dem Musiker, wie jedem anderen, ein anständiges Einkommen. Meine Empfehlung: Auf Downloads und Streaming verzichten und CDs kaufen, am Besten durch Bestellung bei den wenigen verbliebenen Plattenläden und Spezialversendern oder – wenn es nicht anders geht – bei den großen Internetfirmen, die ein breites Angebot bereit halten. Das gilt für jede Form von Musik, für Weltmusik mit kleinen Auflagen aber in besonderem Maße. Die großen Multis haben Weltmusik weitestgehend gestrichen. Zahlreiche kleine Plattenlabels haben bereits schließen müssen, und viele KünstlerInnen, vor allem, wenn sie außerhalb Europas und der USA leben, bleiben deshalb ungehört.

Weltmusik im Radio und Live – oft klein aber fein

Hoffnung macht, dass in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge das Label Glitterbeat den Womex Label Award gewonnen hat; eine recht junge, erfolgreiche Firma, die sich sehr breit aufstellt und eine beeindruckend große Palette von KünstlerInnen in ihrem Katalog hat. Auf der Womex habe ich auch Kate und Mattias kennenglernt, die ganz frisch ihr Label Spare Dog Records aus der Taufe gehoben haben. Die beiden veröffentlichen mit großem Enthusiasmus wunderbare Musik aus Malawi. Damit dies so bleibt, müssen ihre Platten gekauft werden. Ich empfehle ihre aktuelle Veröffentlichung von Gasper Nali mit dem Titel Abale Ndikuwuzeni. Diese Szene, wie viele andere Szenen, lebt von den Begeisterten und den Idealisten, die es weiterhin gibt. Das gibt ein wenig Zuversicht. Allerdings braucht sie auch den/die KäuferIn.

Es ist gar nicht ganz einfach, Weltmusik zu hören: Die großen Radiostationen konzentrieren sich auf Musik, die Einschaltquote liefert. In Deutschland hat die Weltmusik-Pionierstation des WDR, Funkhaus Europa, massiv abgespeckt und sendet im Wesentlichen „Middle of the Road“, den man dort Global Pop nennt; die britische BBC hat ihr Weltmusikprogramm fast ganz eliminiert. Es sind vor allem die kleinen Formate, in der Regel auf nicht-kommerziellen Sendern, produziert von Weltmusikenthusiasten, die bei der Stange bleiben. Neben einer Reihe von internationalen Internetradiostationen gibt es auch in Luxemburg einige Radiosendungen, die hierauf spezialisiert sind. Man kann sagen, dass das Angebot in dieser Hinsicht hier vergleichsweise beachtlich ist. Auf Radio Ara sind am Sonntagvormittag seit vielen Jahren Raagamalika und Desi Vibes mit indisch geprägten Klängen, gefolgt von Malinyé, auf Sendung, und am Mittwochabend laufen Spirit of Africa und Mondophon. Auch Radio 100,7 leistet seinen Beitrag und berichtet über die globale Musikszene. Konzerte kann man bei Meyouzik und in der Philharmonie erleben und unregelmäßig bei den Atelier, in Neimënster, der Escher Kulturfabrik und bei verschiedenen Anlässen in Dudelingen und anderen Orten. Nicht vergessen sollte man die rege Kulturszene der hier lebenden Kapverdianer, mit zwei sehr interessanten hier ansässigen Gruppen. Oft holen sie auch bedeutende Vertreter ihrer beachtenswerten Musikszene nach Luxembourg. Es lohnt sich auch, einen Blick ins nahe Ausland zu werfen. Im Sommer kann man große Namen in Belgien erleben, wenn man das Festival d‘Art de Huy, das Brüsseler Couleur Café Festival oder das Sfinks Festival in Boechout, nahe Antwerpen besucht. Hilfreich für die Orientierung über aktuelle Entwicklungen sind die monatlichen Transglobal World Music Charts und die World Music Charts Europe. Leider mangelt es hier im Land an Koordination in Bezug auf Ankündigung entsprechender Veranstaltungen, so dass auch ich schon einige vielversprechende Konzerte leider verpasst habe.

Weltmusik – schön und gut, aber was bringt das? Natürlich ist die anthropologisch-soziologische Feststellung richtig, dass Weltmusik der akustische Ausdruck der Vielfalt menschlicher Kulturen ist und zur internationalen Verständigung beitragen kann. Aber aus analytischen Gründen kauft man keine CD und besucht kein Konzert. Musik generell ist eine emotionale, in der Regel lustvolle Erfahrung. Auch wenn manche Musikstile zunächst fremd erscheinen mögen, kann man viele Zugänge finden. Dem Bluesfan werden die Gitarrensounds der Tuareggruppen aus der Sahara gefallen. Die koreanische Band Black Strings ist für Jazzbegeisterte mit Sicherheit interessant. Klassikhörer werden erstaunt sein, wie gut die westafrikanische Kora mit dem klassischen Cello bei den ausgezeichneten Instrumentalisten Ballaké Sissoko und Vincent Segal harmoniert. Viele wissen längst, dass man bei den Blasinstrumentspezialisten Fanfare Ciocarlia aus Rumänien und bei Goran Bregovic aus Serbien ausgelassen tanzen kann. Der Ozean Weltmusik ist voller Überraschungen. Sushi und selbst Spaghetti galten in Nordeuropa früher als exotisch und ungenießbar, aber heute will niemand ernsthaft auf die vielfältigen Genuss-
alternativen verzichten.

Warum also akustischen Genuss auf das Übliche reduzieren, wenn die Welt voll ist mit wunderschönen Klängen die es zu entdecken gilt, wie die Womex wieder eindrucksvoll bewiesen hat. Ob man dies Weltmusik oder sonstwie nennt, ist dabei zweitrangig. Wer Ohren hat, der höre!


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