25 Jahre Radio Ara
: Radiophones Gegengewicht

Das einzige Freie Radio Luxemburgs feiert seinen 25. Geburtstag. Die MacherInnen blicken mit vorsichtigem Optimismus in die Zukunft.

(Fotos: woxx)

„Wir sind so etwas wie ein alternativer Chartsender“, sagt Manon Bissen und lacht. Die Sozialpädagogin arbeitet seit Anfang 2008 bei Graffiti, dem Jugendprogramm von Radio Ara, und beschreibt die musikalische Vielfalt des Freien Senders so: „Es gibt zwar keine Pop-Charts, aber wenn du dich für ein bestimmtes Genre interessierst, egal ob Jazz, Metal oder Weltmusik, findest du bei Ara die Sendung, die dir genau das spielt, was in diesen Szenen gerade aktuell ist.“ Am 6. Dezember feiert Radio Ara 25 Jahre Sendelizenz – das Vorgängerprojekt „Radau“ war, zu Zeiten des Rundfunkmonopols, nämlich ein Piratensender. Ambitioniert war das Programm auch schon vor der Legalisierung. „Damals gab es Lehrer, die um 6 Uhr in der Früh Morgensendung moderierten, bevor sie um 8 zur Schule mussten.“, erzählt Robert Garcia, Grünen-Politiker und Geschäftsführer der Sàrl, die hinter dem Projekt steht. „Viele Sendungen waren live, und wenig wurde wiederholt. Sonntags morgens gab es Diskussionsrunden mit Politikern, die merkwürdigerweise auch immer alle kamen. Aber ehrenamtlich inhaltliche und politische Sendungen zu machen, ist schwer und nach einigen Jahren waren viele Leute ausgebrannt.“

Es folgten turbulente Jahre – schon 1993 musste der Sender eine Art „Crowdfunding“ veranstalten, um finanziell zu überleben. Um die Jahrtausendwende begann Ara, das Zeitfenster von 6 bis 14 Uhr an das englischsprachige „Ara City Radio“ abzutreten. Mit einer klaren Zielgruppe und einem kommerzielleren Programm gelang es dem englischen Sender, WerbekundInnen zu akquirieren. 2004 erhielt Ara zum ersten Mal staatliche Unterstützung: Die Jugendsendungen „Graffiti“ wurden als Jugendhaus anerkannt und konnten so eine Sozialpädagogin einstellen, mittlerweile sind es drei. In den letzten dreizehn Jahren wurde „Graffiti“ immer bekannter, vernetzte sich international, organisierte Workshops in Schulen und in anderen Jugendhäusern. Aber auch die Jugendlichen, die wochentags zwischen 14 und 17 Uhr hier Sendung machen, sind anders geworden: „Früher hatten viele Zeit für eine wöchentliche Sendung, heute geschieht das eher im zweiwöchentlichen oder monatlichen Rhythmus.“, erzählt Sandra Laborier, die seit 2004 Jugendliche dabei betreut, ihre eigene Sendung auf die Beine zu stellen.

In Vielfalt vereint

„Viele sind neben dem Radio bei anderen Organisationen engagiert, sodass ihre Sendung nur eine von vielen Beschäftigungen ist.“ Im Programm von Graffiti gibt es aktuell auch einige Löcher, die aber sicher bald gefüllt werden. „Wir sind enorm flexibel, das ist eine unserer großen Stärken“, betont Laborier, „das ist bei den Organisationen, mit denen wir gerne zusammenarbeiten würden, aber nicht immer der Fall.“ Seit beinahe zwei Jahren gibt es eine dezidiert politische Sendung bei Graffiti: „Ënnert dem Pavé“ wird abwechselnd von den Jugendorganisationen OGBL-jeunes, UNEL, Jonk Lénk und Richtung 22 gestaltet. Gerade die Sendungen des KünstlerInnenkollektivs sind ein gutes Beispiel dafür, dass Produktionen von „AmateurInnen“ nicht notwendigerweise von geringerer Qualität sind. Im Gegenteil – eine Sendung bei Ara scheint sogar eine gute Schule für angehende JournalistInnen zu sein, finden sich doch in den Redaktionen luxemburgischer Medien nicht wenige ehemalige ModeratorInnen. „Verschiedene Ara-Konzepte werden von anderen Sendern übernommen. Manchmal sogar zusammen mit den Machern“, sagt Laborier. Im Gegensatz zu anderen Sendern arbeiten bei Ara beinahe nur Ehrenamtliche in den Studios. Trotzdem ist der Geldmangel ein Problem. „Mit mehr Mitteln könnte Ara sichtbarer sein und ein größeres Sendegebiet abdecken. Es wäre auch gut, wenn eine zusätzliche Person da wäre, um die Freiwilligen im ‚Erwachsenen‘-Programm zu betreuen und für mehr Koordination zu sorgen.“, sagt Manon Bissen.

An finanziellen Mitteln mag es Ara mangeln, an Vielfalt im Programm jedoch nicht. Neben Sendungen, die sich mit speziellen Musikrichtungen befassen, finden sich welche aus den italienischen, indischen oder albanischen Gemeinschaften. Spezialisierte Sendungen über Science Fiction, Hacking und Hörspiele sind genauso vertreten wie die „Prisongssendung“, die jeden Freitag den Insassen des Schrassiger Gefängnis eine Stimme gibt. Mit „Salam“ gibt es seit über einem Jahr auch die erste Sendung von Geflüchteten in Luxemburg, die teilweise auf Arabisch moderiert wird.

Das Thema Medienvielfalt erhitzt gegenwärtig die Gemüter in Luxemburg. Das zeigte nicht nur die erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne von „Reporter.lu“, sondern auch der erste Artikel des Projekts. Der beschäftigte sich mit dem „politisch-medialen Komplex“, also den Verstrickungen von Medien und Politik, beschränkte sich dabei aber fast ganz auf Luxemburger Wort und Tageblatt. Unabhängige Medien wie woxx, forum oder eben Radio Ara wurden nicht erwähnt. Dieses „Vergessen“ alternativer Medien ist symptomatisch für die Mediendebatte in Luxemburg, gerade auch in Bezug auf das einzige Freie Radio des Landes.

„Erst kommt das Fressen, dann erst die Moral“, kommentiert Robert Garcia die Tatsache, dass Radio Ara in der medialen Debatte oft nicht vorkommt. „Ich habe den Eindruck, dass professionelle Journalisten es nicht mögen, wenn Ehrenamtliche in ihrem Gebiet wildern. Vor allem dann nicht, wenn die Sendungen auf Ara besser sind als ihre Sachen. So lange wir nur Musik spielen, sind wir aber ganz sympathisch.“

Wie sympathisch Premier- und Medienminister Xavier Bettel das freie Radio findet, ist nicht bekannt – immerhin fand er, als das Parlament im Mai über die Qualität der heimischen Medien diskutierte, lobende Worte für Ara, auch wenn er etwas unzutreffend von einem Regionalsender für Luxemburg-Stadt sprach. Anders sah das sein Kabinettschef und Medienberater Paul Konsbrück, der in einem Interview mit forum etwas vorwurfsvoll befand: „Radio Ara ist kein Radio, das da ist, um Menschen über Aktualitätsthemen zu informieren, wohl aber für Hintergrundberichte. Es handelt sich nicht um einen Sender, der z. B. Unfälle meldet.“ Er meinte außerdem, dass in einem kleinen Land wie Luxemburg eigentlich jedes Medium unvermeidlich ein „community media“ sei – was weder ein Kompliment für die etablierten Medien ist, noch von besonderer Kenntnis der Materie zeugt.

Medienpluralismus oder Tischtennisplatte?

In anderen europäischen Ländern, in Deutschland und der Schweiz etwa, stellen Freie Radios oder „community radios“ neben den privaten und den öffentlich-rechtlichen Sendern die sogenannte „dritte Säule“ des Rundfunks dar. Der Staat fördert sie mit – meistens recht bescheidenen – Mitteln, um eine gewisse Diversität der Stimmen zu gewährleisten. Neben ihrer Rolle als Sprachrohr für ausländische Gemeinden, NGOs, SchülerInnen und Studierende sind Freie Radios oftmals Garanten der Medienbildung, die andere AkteurInnen nur schwer leisten können. „Vielleicht haben wir es bisher verpasst, der Öffentlichkeit zu erklären, was ein Freies Radio sein und leisten kann“, meint Sandra Laborier. Isabel Scott, die 2006 mit einer eigenen Musiksendung bei Graffiti anfing, mittlerweile ins Ara-Programm gewechselt ist und die sonntägliche äußerst hörenswerte Musiksendung „The Deep End“ moderiert, stimmt zu. „Ara könnte sich viel besser nach Außen verkaufen, wenn wir es schaffen würden, unsere Identität als ‚community radio‘ zu stärken. Mir fehlt da ein wenig eine Vision, stattdessen wundern wir uns alle fünf Jahre, dass wir noch existieren. Ara sollte aber auf keinen Fall glatter werden, sondern sich besser präsentieren, mit seinen Kanten.“

In der oben erwähnten Parlamentsrede kündigte Premier Bettel an, Radio Ara künftig auch finanziell zu unterstützen. Bisher war dies ein Tabu; immerhin handelt es sich bei der Betreiberfirma „alter echos“ um eine ganz normale Sàrl. Im Budget des Staatsministeriums sind 80.000 Euro vorgesehen, für eine „Initiative en vue de préserver la diversité du paysage audiovisuel“. Das Geld muss sich Ara also vermutlich mit anderen kleinen Medien wie z.B. „Nordliicht TV“ teilen. Garcia klingt erbost: „Das ist wie eine Förderung für einen Tischtennisverein, damit der sich eine neue Platte kaufen kann. Eine nachhaltige Perspektive sieht anders aus. Und im Vergleich zu dem, was 100,7 und RTL erhalten, ist es ziemlich lächerlich. Für mich ist das eine reine Alibi-Aktion.“

Wenn der Staat nicht einspringen will und die Fangemeinde für ausreichendes Crowdfunding zu klein ist, gibt es dann irgendwelche Alternativen? Ara will, so Garcia, versuchen, ein Sozialunternehmen (Sis, „société d’impact sociétal“) zu werden, was einige Probleme lösen und den Zugang zu Förderungen erleichtern könnte. Eine andere Möglichkeit könnte ein Zusammenschluss „alternativer“ Medien sein – etwa eine Kooperation mit der woxx im Online-Bereich. Viel Arbeit also, die zum größten Teil Ehrenamtliche leisten, die sich natürlich zu allererst auf ihre Sendungen konzentrieren. Claude Michels, der im „Bloe Baaschtert“ jede Woche luxemburgische Musik präsentiert – meistens mit Studiogästen, was viel Vorbereitungszeit erfordert – blickt dennoch optimistisch in die Zukunft: „Radio Ara hat sich immer schon um sogenannte ‚Nischenthemen‘ gekümmert. Heute sind Begriffe wie ‚transgender‘ in aller Munde, bei Ara wurde schon viel früher darüber geredet. Egal, welche Themen in den nächsten Jahren die Aktualität bestimmen werden, es wird immer Gegengewichte brauchen. Und so lange es Leute gibt, die dies in radiophoner Form darstellen wollen, so lange wird es Radio Ara geben.“

*Offenlegung im Sinne der Transparenz: Der Autor ist seit Dezember 2004 ehrenamtlicher Mitarbeiter bei Radio Ara und moderiert die Sendung „Crumble“ im Jugendprogramm.

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