SPANIEN: Strauchelnder Musterschüler

Nach langem Zögern nimmt die spanische Regierung den europäischen „Rettungsschirm“ in Anspruch. Doch gerettet ist das Land damit nicht.

Sie haben allen Grund, sauer zu sein:
Unter Spaniens Jugendlichen liegt die Arbeitslosenquote bei 50 Prozent.

Auch in schwerer Not weiß der Staatsmann die Contenance zu wahren. Die Lage sei „sehr heikel“, sagte Spaniens konservativer Ministerpräsident Mariano Rajoy Ende vergangener Woche – und umschrieb damit diplomatisch die ausweglose Situation, in der sich das Land seit geraumer Zeit befindet. Seit acht Monaten geht die Industrieproduktion kontinuierlich zurück, im April lag sie um über acht Prozent unter dem Wert des Vorjahresmonats. Die Arbeitslosenquote beträgt derzeit 25, unter Jugendlichen sogar über 50 Prozent.

Nun eskaliert die Krise in der spanischen Finanzbranche. Am vergangenen Wochenende nahm Spanien den europäischen „Rettungsschirm“ EFSF in Anspruch. Bis zu 100 Milliarden Euro soll Spanien erhalten, um seine Banken zu sanieren. Bislang hatte die spanische Regierung diesen Schritt vehement abgelehnt. Weil die EFSF-Kredite stets mit weitreichenden Auflagen verbunden sind, befürchtete Rajoy, dass das Land und vor allem seine Regierung dadurch enorm an Reputation verlieren würden. Die Flucht unter den „Rettungsschirm“ erscheint als Eingeständnis, dass Spanien nicht mehr in der Lage ist, die Krise selbst zu bewältigen. Höchst unwahrscheinlich allerdings, dass Spanien sonst in absehbarer Zeit noch Kredite auf dem Finanzmarkt erhalten hätte.

Dennoch bemühte sich die Regierung, die Entscheidung als Erfolgsnachricht zu verkaufen. „Wir erhalten einen Kredit zu sehr günstigen Konditionen, auf die Spanier selbst warten keine zusätzlichen Opfer“, sagte Wirtschaftsminister Luis de Guindos am vergangenen Samstag. Nur einen Tag später relativierte Ministerpräsident Rajoy die frohe Botschaft. Er sei überzeugt, dass die Wirtschaftsleistung des Landes weiter sinken werde, erklärte er. Und die Arbeitslosenquote werde weiter steigen. Die Finanzhilfe werde Spanien aber „vor dem kompletten wirtschaftlichen Niedergang“ retten und die „Glaubwürdigkeit des Euro“ stärken.

Immerhin konnte Rajoy erreichen, dass die Hilfe und die damit verbundenen Auflagen nur für den Bankensektor gelten. Das Geld fließt an den spanischen Rettungsfonds FROB, der es an die Geldinstitute verteilt. Im Gegenzug werden Vertreter der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) die Sanierung des Bankensystems überwachen. Deren Anwesenheit hatte Rajoy unbedingt vermeiden wollen.

Zumindest kurzfristig konnte so der Kollaps der viertgrößten Wirtschaft im Euro-Raum verhindert werden. Zum ersten Mal wurden dabei die Maßnahmen des Rettungsfonds spezifisch auf die Finanzbranche beschränkt und nicht, wie im Falle Griechenlands, Portugals und Irlands, auf den gesamten Staatshaushalt angewandt. Weil aber noch gar nicht klar ist, wann und wie die Bankenkrise beendet werden kann, ergibt diese Maßnahme nur Sinn, wenn sie in einen größeren Kontext eingebettet ist. Andernfalls wird die nächste Rettungsaktion nicht lange auf sich warten lassen.

Möglicherweise stellt die Hilfe für Spaniens Finanzsystem nur den ersten Schritt zur Schaffung einer europaweiten Bankenunion dar.

Es ist daher möglich, dass die Hilfe für Spaniens Finanzsystem nur den ersten Schritt zur Schaffung einer europaweiten Bankenunion darstellt. Dann könnten die nationalen Banken bald unter einer europäischen Oberaufsicht stehen, die mit weitgehenden Eingriffsrechten ausgestattet wäre. Im Gegenzug würden die Euro-Staaten einen gemeinsamen Fonds auflegen, um in die Krise geratene Banken aufzufangen oder abzuwickeln.

Davon gibt es in Spanien mehr als genug. So hat ein „Stresstest“ im Auftrag des IWF ergeben, dass rund ein Drittel der nationalen Banken angeschlagen ist. Wie hoch der Anteil an faulen Krediten aus der Immobilienkrise tatsächlich ist, weiß vermutlich auch heute niemand genau. Staatlichen Schätzungen zufolge sind von den insgesamt 320 Milliarden Euro umfassenden Immobilienkrediten rund 180 Milliarden Euro „problematisch“.

Die spanische Regierung reagierte lange Zeit nur zaghaft auf die Bankenkrise. Erst 2009 legte sie den Rettungsfonds FROB auf, rund zehn Milliarden Euro flossen auf diese Weise in die spanische Finanzbranche. Insbesondere drängte die Regierung darauf, die Sparkassen rund um die marode Caja Madrid zu fusionieren, woraus Bankia als viertgrößtes Geldinstitut des Landes mit rund zehn Millionen Kundinnen und Kunden entstand. Allerdings änderte der Zusammenschluss nichts daran, dass Bankia in großem Umfang Kredite abschreiben musste. Um das Geldinstitut vor
dem völligen Zusammenbruch zu bewahren, wurde es im Mai verstaatlicht und mit 4,6 Milliarden Euro unterstützt.

Damit waren aber die Finanzierungsschwierigkeiten bei weitem nicht beseitigt. Wochenlang leugnete die spanische Regierung die Probleme bei Bankia, bis sie schließlich einräumen musste, dass in der Bilanz des Geldhauses 23 Milliarden Euro fehlen. Kurz darauf fiel Spaniens Börsenindex rapide, der Eurokurs sank und Investoren verkauften spanische Staatsanleihen. „Es gibt eine erste Schätzung, dann eine zweite, eine dritte, eine vierte“, kommentierte EZB-Präsident Mario Draghi das Vorgehen der Regierung Rajoy. „Schlechter kann man die Dinge nicht angehen.“ Anfang der vergangenen Woche stufte die Rating-Agentur Fitch spanische Staatsanleihen dann fast auf „Ramschniveau“ herab.

Die Regierung in Madrid stand in den vergangenen Monaten von zwei Seiten unter Druck. Einerseits musste sie die  Bankenkrise bekämpfen, damit diese nicht außer Kontrolle geriet. Zugleich war sie aber dazu angehalten, die mit der EU vereinbarten Sparziele zu erreichen. Im kommenden Jahr soll das Haushaltsdefizit nur rund fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen, es müsste fast halbiert werden. Beide Vorgaben widersprechen sich. Für die Bankenrettung musste die Regierung Geld ausgeben, das sie eigentlich einsparen sollte. Weil aber die Summe, die zur Sanierung der Finanzbranche nötig ist, die Kapazitäten des spanischen Bankenfonds sprengte, erhöhte sich der Druck, den „Rettungsschirm“ in Anspruch zu nehmen.

Mit Zahlungen des EFSF sind aber stets rigide Auflagen verbunden, wie sie derzeit in Griechenland, Portugal und Irland angewendet werden. Für den konservativen Ministerpräsidenten Rajoy war es vermutlich weniger eine Frage der Contenance als eine des politischen Überlebens, ob er diese Hilfe in Anspruch nimmt.

Dabei ist es mehr als zweifelhaft, ob die üblichen Sparvorgaben der so genannten Troika sinnvoll sind. Die missliche Lage, in der sich Spanien momentan befindet, ist schließlich nicht exorbitanten Staatsausgaben geschuldet. In den vergangenen Jahren galt das Land als Musterschüler in der Euro-Zone, wenn es um die Haushaltsführung ging. Noch immer liegt die spanische Schuldenquote um rund zehn Prozent niedriger als diejenige Deutschlands.

Tatsächlich ähnelt die spanische Entwicklung jener in Irland. Auch dort stürzte ein Immobiliencrash die Bankenbranche in die Krise, worauf sich die Regierung zu enormen Hilfszahlungen gezwungen sah. In der Folge geriet die Staatsverschuldung außer Kontrolle, worauf Irland unter den „Rettungsschirm“ flüchten musste. Die erheblichen Kürzungen der öffentlichen Ausgaben, forciert durch die Vorgaben der Troika, verstärkten wiederum den wirtschaftlichen Niedergang.

Diesem fatalen Kreislauf wollte die spanische Regierung eigentlich entkommen. Es ist ihr nur zum Teil gelungen. Nachdem sie nun die Hilfskredite für den Bankensektor akzeptiert hat, gibt es in der Euro-Krise eine kurze Atempause. Sie wird vermutlich aber nicht von langer Dauer sein. Mit Contenance alleine ist Spanien jedenfalls kaum zu retten.

Anton Landgraf arbeitet als Publizist und lebt in Berlin.


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