Schweiz
: Sozialpolitischer Blindgänger?


In der Schweiz sollen die Wahlberechtigten dieses Jahr per Volksentscheid über eine Initiative zum bedingungslosen Grundeinkommen abstimmen. Darüber freut man sich nicht nur bei der Luxemburger Piratenpartei. Doch gerade das eidgenössische Beispiel offenbart die fragwürdigen Seiten der bis in die radikale Linke hinein beliebten Idee.

Ist der gesellschaftliche Reichtum notwendig an Warenproduktion und Geld gebunden? Wie hinter der Idee einer Regionalwährung steckt auch hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen die Hoffnung auf mehr soziale Gerechtigkeit, ohne mit der kapitalistischen Produktionsweise zu brechen. (Foto: Flickr)

Ist der gesellschaftliche Reichtum notwendig an Warenproduktion und Geld gebunden? Wie hinter der Idee einer Regionalwährung steckt auch hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen die Hoffnung auf mehr soziale Gerechtigkeit, ohne mit der kapitalistischen Produktionsweise zu brechen. (Foto: Flickr)

In der Schweiz soll im Herbst 2016 über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) abgestimmt werden. Angesichts der politischen Entwicklung des Landes mag das erstaunen, aber im Modell der sogenannten direkten Demokratie kann jeder eine Abstimmung erzwingen, der innerhalb von 18 Monaten 100.000 Unterschriften von Stimmberechtigten zu sammeln vermag.

Die Initiative für das BGE konnte sogar 126.408 gültige Unterschriften vorlegen, die Aussicht auf einen Erfolg bei der Abstimmung ist jedoch generell gering. In der Schweiz wurde bislang über 198 solcher Volksinitiativen abgestimmt, nur 22 wurden angenommen. Von den letzten neun erfolgreichen Initiativen wurden acht gewonnen, weil es den rechten Initiatoren gelungen war, die entsprechenden Ressentiments zu mobilisieren. Linke Anliegen hingegen hatten es in jüngerer Vergangenheit schwer. Die Einführung eines Mindestlohns, einer moderaten Erbschaftssteuer oder die gesetzliche Festlegung von sechs Wochen Ferien – all diese Vorhaben wurden vom braven helvetischen Stimmvolk verworfen.

Das BGE hat einen schweren Stand, zumal der Nationalrat, die große Kammer des Parlaments, nach einer Debatte im September vergangenen Jahres mit 146 zu 14 Stimmen empfohlen hat, bei der Abstimmung das BGE abzulehnen. Dafür votiert hatten lediglich der linke Flügel der Sozialdemokraten (SP) und eine Minderheit der Grünen.

In der Diskussion sparten die Politiker nicht mit apokalyptischen Szenarien. Der Sprecher der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP), Sebastian Frehner, sprach von der „gefährlichsten“ und „schädlichsten“ Initiative aller Zeiten: „Die Annahme wäre das Ende der heutigen Schweiz.“ Der Nationalrat Daniel Stolz von den Schweizer Liberalen (FDP) meinte gar, die Vorlage sei eine „entsicherte Handgranate, die das ganze System in Stücke zu reißen droht“. Der handzahme linkssozialdemokratische Appell an Solidarität und Respekt ging im aufgeregten Getöse unter.

Nach der bisherigen Debatte kann man das Abstimmungsresultat fast so sicher vorhersagen wie die Kampagnen im Vorfeld: Alarmismus und Sorgen um den nationalen Standort schlagen das BGE, obwohl dieses ohnehin der bloße Abklatsch einer Utopie ist und mit der kapitalistischen Gesellschaft gar nicht brechen will. Dennoch lohnt es, sich den Inhalt und die Argumentation von Verfechtern und Gegnern etwas genauer anzusehen.

Dem Initiativtext zufolge soll in der Bundesverfassung verankert werden, dass der Staat ein bedingungsloses Einkommen einführt, das „der ganzen Bevölkerung ein menschenwürdiges Dasein und die Teilnahme am öffentlichen Leben“ ermöglicht. Zudem besagt der betreffende Artikel “Das Gesetz regelt insbesondere die Finanzierung und die Höhe des Grundeinkommens.“ Alles andere wird offengelassen.

Für Nationalrat Stolz von den Liberalen ist die Forderung nach Existenzgeld eine „Handgranate, die das System in Stücke zu reißen droht“.

Als Richthöhe schlägt das parteipolitisch neutrale Initiativkomitee unverbindlich 2.500 Franken (2.310 Euro) für Erwachsene und 625 Franken für Kinder vor. Das klingt zunächst nach viel Geld, aber eine Umsetzung in dieser Höhe dürfte sich angesichts der Kräfteverhältnisse als illusorisch erweisen. Man muss sich zudem vor Augen führen, dass das mittlere Einkommen in Zürich für Männer 8.385 Franken pro Monat beträgt und man heute im Falle der Arbeitslosigkeit als Alleinstehender 70 Prozent Lohnfortzahlung für um die 400 Tage erhält.

Die Lebenshaltungskosten sind entsprechend hoch. Mit 2.500 Franken in Zürich ein halbwegs erträgliches Auskommen zu finden, ist praktisch unmöglich. Das Grundeinkommen soll aber einen Großteil der heutigen Sozialleistungen ersetzen; Invalidenrente, Arbeitslosengeld und staatliche Altersversicherung würden dem Komitee zufolge wegfallen.

Ein Kritikpunkt der Linken im Nationalrat war dann auch, dass das Verhältnis des neuen Einkommens zu bestehenden Sozialleistungen nicht geklärt sei. Auch die Finanzierung sei weitgehend unklar. Die Kosten werden auf rund 208 Milliarden Schweizer Franken geschätzt; immerhin rund 33 Prozent des Schweizer Bruttoinlandproduktes. Rund 70 Milliarden Franken würden durch den Abbau bestehender Transferleistungen aufgebracht, der größte Teil der verbleibenden 138 Milliarden sei in den „bestehenden Einkommen enthalten“, bloß der Restbetrag müsse „durch Steuern oder durch eine Verlagerung im heutigen Staatshaushalt aufgebracht“ werden, beschwichtigt das Initiativkomitee die Kritiker. Näher betrachtet ist es diese Finanzierungsfrage, die aus linker Sicht die Initiative gleich doppelt fragwürdig macht.

Die Feststellung, dass das BGE in den bestehenden Einkommen enthalten sei, haben zwei Basler Unternehmer und Mitinitiatoren in einer Broschüre ausgeführt, in der sie den neoliberalen Vordenker Milton Friedman zu Ehren kommen lassen und dem Klassenkampf eine Abfuhr erteilen. Zusammengefasst kann man die Resultate beim Initiativkomitee nachlesen: „Für die meisten Personen ist das Grundeinkommen kein zusätzliches Geld, sondern ersetzt heutige Einkommen.“

Das bedeutet, dass künftig ein Teil der Reproduktionskosten der Lohnarbeiter vom Staat übernommen werden soll. Letztlich laufe das auf ein „gigantisches Subventionsprojekt für die Wirtschaft“ hinaus, befürchtet der grüne Nationalrat Balthasar Glättli. Zudem wird damit die ganze Lohnstruktur, die in der Schweiz in vielen Branchen von gewerkschaftlich ausgehandelten Gesamtarbeitsverträgen bestimmt wird, aufgebrochen. Die beiden Basler Initiatoren rühmen sich dessen und verweisen darauf, dass individuell bessere Verträge geschlossen werden könnten.

Wie hoch das Reproduktionsniveau der Proletarisierten am Ende ausfällt, hängt aber vom Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ab. Und da sieht es in der Schweiz recht düster aus, gerade auch wenn man die Bedenken ernst nimmt, dass das BGE einer weiteren Vereinzelung Vorschub leisten könnte. Entsprechend ist nicht nur zu befürchten, dass mit dem Projekt das Kapital subventioniert wird, sondern auch, dass für den Großteil der Lohnabhängigen keine Verbesserungen zu erwarten sind – im Gegenteil.

Die Frage der fehlenden Milliarden wäre ebenfalls unter diesem Gesichtspunkt zu diskutieren. In Zeiten, in denen Krise und nationalstaatliche Konkurrenz die Besteuerung von Kapital gelinde gesagt schwierig machen, bleibt offen, wo das Initiativkomitee das Geld eintreiben will. Dieses lässt lediglich verlauten, das müsse „politisch ausgehandelt werden“. Nationalökonomisch ist das wenig durchdacht. Es ist zwar sympathisch, dass man das BGE auf Grundlage der Bedürfnisse formuliert. Die Initiatoren wollen „alle Menschen an den Früchten der Maschinenarbeit angemessen beteiligen“. Das ist mit den Prinzipien einer kapitalistischen Ökonomie aber nicht zu vereinbaren. Die Vertreter des BGE verkennen, dass der stoffliche Reichtum in einer bestimmten gesellschaftlichen Form produziert wird: als Kapital, das Gesetzen unterliegt. Eine „angemessene“ bedingungslose Beteiligung aller Menschen am gesellschaftlichen Reichtum wäre aber nur jenseits von Kapital und Lohnarbeit vorstellbar.

Im April des vergangenen Jahres war in Luxemburg eine Petition für eine Parlamentsdiskussion zum Thema an der erforderlichen Anzahl von 4.500 Unterschriften gescheitert. Doch im Zuge der Schweizer Debatte wird nun auch hierzulande wieder vermehrt über das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Neben der „Initiativ bedingungslost Grondakommes Lëtzebuerg“ (IBGL) meldeten sich auch Politiker verschiedener Parteien zu Wort.

Skeptisch sieht etwa Serge Urbany von Déi Lénk Modelle wie jenes, das in der Schweiz propagiert und in ähnlicher Weise voraussichtlich 2017 in Finnland erprobt werden wird: „Es soll das Wohlfahrtssystem durch einen Pauschalbetrag ersetzt werden. Das ist nicht unsere Vision.“ Kritik kommt auch von DP-Vizepräsident Max Hahn: „Wir finden, dass jene vom Staat unterstützt werden sollen, die die Hilfe am dringendsten benötigen“, so der Politiker. Ein universelles Grundeinkommen hingegen widerspreche dem Luxemburger Sozialmodell.

Von der Luxemburger Piratenpartei wird die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ungeachtet solcher Einwände begrüßt. Das BGE könne den Unternehmergeist entfesseln, hofft Präsidiumsmitglied René Schmit. Heutzutage seien die finanziellen Risiken, einen Betrieb zu gründen, für Neueinsteiger ohne großes Startkapital insbesondere in Luxemburg unkalkulierbar hoch. Vom BGE erhoffen sich die Piraten daher einen absichernden Effekt.

Wie immer man zum Grundeinkommen und dessen Erfolgsaussichten in der Schweiz stehen mag: Vor der Abstimmung im Herbst wird die Schweizer BGE-Initiative auf diese Weise vielleicht wenigstens die Debatte über Arbeit und Einkommen in Luxemburg und andernorts weiter befeuern.

Thomas Schwendener ist Redaktor der sozialistischen Zeitung „vorwärts“ aus der Schweiz. Sein Artikel wurde redaktionell ergänzt.

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