Harry Potter ist kein Kind mehr. Regisseur Alfonso Cuarón zeigt im dritten Teil der Fantasy-Saga einen 13-Jährigen auf der Suche nach sich selbst – eine reife Leistung.
Harry schnappt sich seinen Koffer und verlässt wütend das Haus. Er ist es auch der plötzlich aus einer Kneipe rennt. Er hastet bis zu einem großen Stein und weint. Wenige Minuten später schreit er verbittert los. Kein Zweifel: Potter kommt in die Pubertät. „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“, Teil drei einer Saga mit sieben Folgen, vollzieht hier eine entscheidende Wende – die auch in der Verfilmung gelingt: der Zauberlehrling verliert seine Naivität.
Joanne K. Rowlings Romanvorlage folgend beginnt noch alles wie gewohnt im Haus der Stiefeltern. Aber schon nach der ersten Einstellung ist klar: Hier droht Harry keine Gefahr mehr. Die Filmszene endet in einem grotesken, tricktechnisch brillianten Abflug von Harrys Tante Magda.
Auf dem Weg zur Zauberschule Hogwarts erfährt der 13-Jährige dann, dass der Zauberer Sirius Black aus dem Gefängnis von Askaban ausgebrochen ist. Es heißt, er sei ein Gehilfe des bösen Lord Voldemorts, und wolle Harry töten, um seinem Herrn zur Macht zur verhelfen.
Und es wird noch gruseliger: Um die Schule sind die Gefängniswärter, Dementoren, positioniert. Die fliegenden schwarzen Gestalten, die an den Tod selbst erinnern, saugen ihren Opfern die Seelen aus. Ausgerechnet sie sollen die SchülerInnen schützen – auch Harry Potter.
Für den Zauberlehrling sind sie die eigentliche Gefahr, denn sie zwingen ihn, sich seiner eigenen Psyche zu stellen. „Es ist der Augenblick, in dem du merkst, dass das Monster nicht unter dem Bett lauert, sondern in dir – und dass die einzige Waffe dagegen auch in dir steckt“, sagt Regisseur Alfonso Cuarón. Der Mexikaner macht aus dem kleinen Potter, der sich in der Nase bohrt und gegen jeden Zauber gewinnt, einen nachdenklichen Teenager in lässigen Jeans, den das Erwachsenwerden stresst. Nur allmählich vermag er zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
Eine spannende Entwicklung: DarstellerInnen Daniel Radcliffe (Harry), Emma Watson (Hermine) und Rupert Grint (Ron) wachsen in ihre Rollen hinein. Und Alfonso Cuarón gibt ihnen mehr Raum, mehr Macht, mehr Selbstständigkeit. Im Nachhinein wundert da auch niemanden, dass Chris Columbus auf dem Regiestuhl abgelöst wurde. „Die Filme müssen mit den Kindern wachsen und sich entwicklen“, erklärt Produzent David Heyman den veränderten Grundton.
Cuarón hatte zuvor mit dem Roadmovie „Y tu mamá también“ provokant die Geschichte zweier mexikanischer Großstadtjugendlicher inszeniert, die nur an das Eine denken. Im neuen Potter-Film beweist er nun Gespür für Kinder, die zu Teenagern werden. Die Schatten sind länger, die Farben blasser, die Handlung komplexer und die neuen Figuren noch gruseliger, wie etwa der von Gary Oldman verkörperte Zauberer Sirius Black. Emma Thompson – im seegrünen Kleid mit langen verwuschelten Locken und Hornbrille – prophezeit Harry als esoterisch verwirrte Wahrsagerin das Omen des Todes. Ihre überzeichnete Rolle ist ein kleines Highlight des Films.
Cuarón macht „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ zu einer Mischung aus Entwicklungsroman und groteskem Märchen – zum Beispiel, wenn eine „peitschende Weide“ niedliche Vögel verschluckt. Bei genauer Beobachtung lassen sich solche Details erkennen, aber auch ernste Zwischentöne wahrnehmen: Denn neben Magie prägen Rassismus, soziale Unterschiede, Macht, Gier und Einsamkeit das Internatsleben. Im Vordergrund stehen jedoch bis zu letzt die pubertären Unsicherheiten von Harry Potter und seinen Freunden. Selbst Musterschülerin Hermine interessiert plötzlich nicht mehr allein für Bücher: „So sieht meine Frisur von hinten aus?“, fragt sie ungläubig und vergisst dabei fast, dass sie gerade dabei ist, ein Leben zu retten.
Im Utopolis (Luxemburg), Ciné Scala (Diekirch), Ariston (Esch) und Kursaal (Rumelange).