Die Folterungen irakischer Gefangener durch amerikanische SoldatInnen sind kein Zufall. Ebenso wenig die Hinrichtung eines amerikanischen Zivilisten durch irakische Extremisten.
„Es genügt einem Menschen, eine Uniform anzuziehen, ihn von seiner Familie zu trennen und die Trommel zu rühren, um ein wildes Tier aus ihm zu machen“, schrieb schon Leo Tolstoi. Aber den hat US-Präsident George W. Bush wohl nie gelesen, sonst hätte er SoldatInnen nicht in einen Krieg für Frieden schicken dürfen.
Geschichtsbücher interessierten die amerikanische Regierung auch nicht, als sie ihre Truppen im März vergangenen Jahres in den Irak entsandten. In diesen lassen sich nämlich genügend Beispiele für Besatzungen finden, die zu brutalen Reaktionen führten: bei britischen Truppen im Kampf gegen die Mau-Mau-Rebellen in Kenia, bei US-Truppen in Vietnam und heute bei der russischen Armee in Tschetschenien. Krieg funktioniert nicht ohne Gewalt. Und Gewalt löst Gegengewalt aus. An dieser traurigen Wahrheit lässt auch der Irak keinen Zweifel.
Das Ergebnis ist eine Gewalteskalation. Misshandlungen wurden mit vollem Wissen der Geheimdienste und Militärs aller Hierarchieebenen durchgeführt. Die Antwort irakischer Extremisten war noch blutiger: Sie köpften einen amerikanischen Zivilisten.
Auslöser für diese Verbrechen ist auch Bushs Dialektik gegen den Terror. Der amerikanische Präsident schürte das Bild vom minderwertigen, bestialischen Feind, der außerhalb jedes Gesetzes stehe. Im Klartext heißt das: Ein Terrorist ist kein Mensch. Der Dämonisierung entsprechend begegneten die SoldatInnen auch ihren Feinden – spätestens als man die Truppen unter Druck setzte. Sie sollten die Inhaftierten „weich“ machen für spätere Verhöre. Um Komplikationen auszuschließen und Widerspruch im Keime zu ersticken, bekamen sie gleich einen Folter-Experten vorgesetzt: Geoffrey Miller ist der Leiter des Gefangenenlagers im kubanischen Guantánamo Bay. Dort meint die US-Regierung, die dosierte Anwendung von Gewalt unter Kontrolle zu haben.
Im Irak eskalierten sie aber zum sadistischen Exzess. Zu lauter Musik und Schlafentzug kamen sexuelle Misshandlungen und andere systematischen Quälereien.
Unbequem, aber Tatsache ist: In rund 130 Ländern werden Misshandlungen routinemäßig an Häftlingen ausgeübt. Und die TäterInnen fühlen sich im Recht. Sie sehen sich als HüterInnen des Gemeinwohls, als diejenigen, die sich ihre Hände für eine gute Sache schmutzig machen. Sie führen Befehle aus und sind auch noch stolz darauf.
Der Gehorsam funktioniert. Da hat die US-Regierung gar nicht erst weiter geprüft, ob ihre SoldatInnen auch ehrwürdige StaatsbürgerInnen sind. Die Genfer Konventionen waren nicht mehr als Wortgespinst im irakischen Gefängnis von Abu Ghraib. Das Völkerrecht war keine Pflichtlektüre. Nach dem Motto: Mit solchen Schriften lässt sich kein Krieg gewinnen. Aber vielleicht mit Bildern. Denn die SoldatInnen quälten ihre Gefangenen nicht nur, sondern fotografierten die Folterungen auch noch. Eine Dokumentation mit mehr als 1.600 sadistischen Bildern rückt gängige Kriegsverbrechen wie Folter plötzlich in ein neues Licht. Irakische Extremisten fuhren gleich weitere Geschütze auf: die Hinrichtung des amerikanischen Geschäftsmanns filmten sie und setzen das Video ins Internet.
Erst diese Bilder öffneten auch vielen US-BürgerInnen die Augen für die Folgen dieses Krieges. Bush ist so schlecht angesehen wie nie zuvor. Um seinen Ruf zu retten, muss der US-Präsident die Folterungen beenden. Um die allerdings zu stoppen, muss er die Gewaltspirale durchbrechen. Aber wie man der ein Ende setzt, das weiß zurzeit weder Präsident Bush noch sein demokratischer Herausforderer Senator John Kerry.