SAM GABARSKI: Die wichsende Witwe

Marianne Faithfull, die Popikone der 60er Jahre, brilliert in „Irina Palm“. An der Produktion war auch die Luxemburger Samsa Film beteiligt.

I wank men off. I’m Irina Palm … Marianne Faithfull in der Hauptrolle.

Maggie führt ein eher beschauliches Leben in einem piefigen Vorort von London. Verwitwet, verbringt sie ihre Tage bügelnd in ihrem Reihenhaus oder Bridge spielend mit ihren verklemmten Freundinnen. Ihr einziger Lebensinhalt ist ihr Sohn und dessen Ehefrau, sowie ihr vergötterter Enkelsohn Olly. Dieser ist jedoch schwer krank, und nur eine Operation im fernen Australien kann sein Leben retten. Die mittellosen Eltern können das Geld aber nicht aufbringen, so dass sich Maggie auf die Suche nach einem Job macht.

Auf dem Arbeitsamt macht man ihr allerdings keine Hoffnungen. Sie sei zu alt, habe nichts gelernt und keine Berufserfahrung. Als sie deprimiert in London herumirrt, kommt sie an einem Laden namens „Sexy World“ vorbei, der auf der Suche nach „Hostessen“ ist. Ohne zu wissen, was genau sich hinter diesem Begriff verbirgt, meldet sie sich und sitzt, ehe sie sich’s versieht, beim Bewerbungsgespräch im Büro von Miki, dem Chef des Etablissements. Dieser sieht sich genau ihre Hände an und will schließlich von ihr wissen, ob sie gut im Wichsen sei. Da fällt auch bei Maggie der Groschen. Schockiert von einer Welt, mit der sie vorher nie in Berührung gekommen war, verlässt sie erbost das Lokal.

Doch schon wenige Tage später steht sie erneut vor der Tür, getrieben von der Sorge um ihren Enkel. Maggie bekommt den Kunstnamen Irina Palm und verhilft hinter Sperrholzwänden mit Loch Männern zum Orgasmus. Nach anfänglichem Ekel entwickelt sie bald Routine und geht derart geschickt vor, dass kurz darauf eine ihrer Kolleginnen wegen Unterbeschäftigung entlassen wird. Denn alle wollen nur noch zu Irina Palm. „You’ve got the best right hand in London“ wird ihr Miki bald bestätigen, und die ersten Abwerbungsversuche von konkurrierenden Etablissements lassen auch nicht lange auf sich warten.

Lässt die Story eher auf ein schmieriges C-Movie schließen, so ist „Irina Palm“ ein herzerwärmender Film, der nicht nur von Liebe und Einsamkeit handelt, sondern auch die Bigotterie des englischen Kleinbürgertums auf die Schippe nimmt. Als Maggie dem Drängen ihrer Freundinnen bei Kaffe und Kuchen nachgibt, doch endlich zu erzählen, was sie denn da in London so mache, antwortet sie „I wank men of. I’m Irina Palm“. Die englischen Damen wirken zunächst etwas verlegen, bis sich eine traut zu fragen, ob ihr denn auch schon besonders große Exemplare des männlichen Gemächts untergekommen seien.

Auf der Berlinale wurde „Irina Palm“ vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert und wurde als Favorit auf den Goldenen Bären gehandelt. Die Enttäuschung war groß, als Irina Palm von der Jury nicht bedacht wurde. Der Film wurde nicht nur von der Luxemburger Samsa Film koproduziert – zudem spielte der Luxemburger Jules Werner eine Nebenrolle. Er war deshalb auf der Berlinale im Februar als Luxemburger „Shooting Star“ eingeladen (woxx 889).

„Irina Palm“ ist exzellent besetzt, vor allem die überragende Marianne Faithfull, die als Popikone der 60er Jahre bekannt wurde, brilliert in der Rolle der wichsenden Witwe. Regisseur Sam Gabarski gelingt es, ein Milieu zu skizzieren, ohne die üblichen Klischees zu transportieren. Neben Maggie, die an ihrer neuen Aufgabe nicht zerbricht, sondern eine zweite Blüte erlebt und vielleicht das erste Mal in ihrem Leben wirklich Anerkennung erfährt, ist es der Sexclubbesitzer Miki (gespielt von Miki Manojlovic), der als zunächst etwas raubeiniger, im weiteren Verlauf jedoch mitfühlender und liebevoller Chef von Irina Palm überzeugt. Der Film ist ein Meisterwerk; dass er teilweise in Luxemburg produziert wurde, gereicht der hiesigen Filmindustrie zur Ehre.

Irina Palm, im Utopia


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