Den Beitritt der Türkei sollte man grundsätzlich bejahen. Die für einen Erfolg notwendigen Bedingungen werden aber derzeit nicht erfüllt – auf beiden Seiten.
Am kommenden Montag sollen die EU-Beitrittsgespräche mit der EU beginnen. Doch am Sonntagabend werden die 25 Regierungen ein weiteres Mal über den Verhandlungsrahmen feilschen. Das Problem macht sich an einem entscheidenden Punkt fest: Soll es um eine Vollmitgliedschaft gehen oder steht auch eine „privilegierte Partnerschaft“ zur Diskussion? Denn obwohl der Europäische Rat bereits 1999 der Türkei das Kandidatenstatut zuerkannt hat, bleibt in der politischen Diskussion offen, ob das Land überhaupt seinen Platz in der EU hat. Nein, antworten nicht nur österreichische, deutsche und französische Konservative; auch innerhalb der Linken gibt es Bedenken.
Ein Argument ist, das europäische Projekt müsse Grenzen haben, und die Türkei liege außerhalb von diesen. Geografisch gesehen ist das eine Halbwahrheit, politisch gesehen eine gewagte Behauptung. Die Grenzen des politischen Projektes EU werden vom Willen der Bürgerinnen und Bürger gesetzt. So weit entfernt, wie manche es glauben machen wollen, ist die Türkei nicht: 2,5 Millionen MigrantInnen alleine in Deutschland stehen für ein Zusammenwachsen der Kulturen. Und fremder als die lettische oder die griechische Kultur dürfte den WesteuropäerInnen die türkische auch nicht sein.
Historisch gesehen ist die Türkei – Kernland des Osmanischen Reiches – seit Jahrhunderten an den europäischen Kontinent angebunden. Dass zu dieser Anbindung auch die Türkenkriege und die Belagerungen Wiens zählen, sollte kein Grund sein, sie aus der EU auszusperren. Schließlich standen die deutsch-französischen Kriege und die zahlreichen Plünderungen Roms der Gründung der Europäischen Gemeinschaft seinerzeit auch nicht im Wege. Der Zypern-Streit zwischen Griechenland und der Türkei ist ebenfalls kein entscheidendes Hindernis. Immerhin steht die Regierung in Ankara nicht mehr allein als Buhmann da, seit ein UN-Friedensplan von der griechisch-zypriotischen Bevölkerung verworfen wurde.
Bedrohlicher erscheint da schon, auch in den Augen mancher Linker, die Perspektive, dass 80 Millionen MuslimInnen EU-BürgerInnen werden. Richtig ist, dass in der offiziell laizistischen Türkei das Religiöse weiterhin das Verhältnis zu Werten und Normen prägt. Doch die als islamisch auftretenden Parteien sind nicht wirklich bedrohlicher als die polnischen oder deutschen christlichen Wertkonservativen. Und es gibt viele weltoffene und fortschrittliche TürkInnen, die auf eine stärkere Einbindung in die EU setzen, um ihre Ideen voran zu bringen. Will man dem Paradigma eines Kampfes der Kulturen ein multikulturelles Projekt entgegenstellen, so hätte die Aufnahme der Türkei in die EU hohen Symbolwert.
Die Frage, wie diese Aufnahme vor sich gehen soll, ist allerdings aus linker Sicht berechtigt. Nicht etwa, dass ein Türkeibeitritt die EU „sprengen“ würde. Der bisher funktionierende institutionelle und finanzielle Rahmen wurde im Zuge der Osterweiterung sowieso gesprengt. So lange die Regierungen der reichen Länder sich nicht dazu durchringen, die kontinentale Solidarität in Form von massiver finanzieller Unterstützung umzusetzen, wird eine Integration der Zehn nicht gelingen und den BeitrittsgegnerInnen Argumente liefern.
Auch bei den Menschenrechten geht es weniger um das Ob als um das Wie eines türkischen Beitritts. Ganz klar: Die Verhandlungen mit der EU haben unerhörte Fortschritte mit sich gebracht und positive Entwicklungen ausgelöst. Ein Stopp der Gespräche würde dies in Frage stellen. Andererseits wirkt ein Blick in den Amnesty-Länderbericht ernüchternd. Die Erfüllung der EU-Bedingungen nimmt bizarre Formen an: Verschleppung von Prozessen gegen folternde Polizisten, Verunglimpfung von unabhängigen MenschenrechtlerInnen und die Einführung neuer Foltertechniken, die keine Spuren hinterlassen. Dass die EU-VertreterInnen diesem Staat im Rahmen der Beitrittsverhandlungen attestiert haben, die Menschenrechte zu achten, ist nicht nachvollziehbar. Und ein gefährliches Signal in Zeiten, in denen auch in den etablierten Demokratien die Standards in Sachen Grundrechte aufgeweicht werden. Ein weiterer Grund, dem Ja zum Türkeibeitritt ein Aber zur Seite zu stellen.