Mit „After the Wedding“ gelingt Susanne Bier ein emotionales Familiendrama zwischen Dogmaästhetik und Seifenoper.
Trotz aller Hingabe und Liebe, mit der er sich der Kinder annimmt, hat Jacob wenig Sanftes an sich. Er ist ein wütender Mensch. Seine Bewegungen wirken abrupt, seine Stimme ist nicht ohne Schärfe. Es sind nicht nur Ideale, die den dänischen Auswanderer in Indien festhalten, wo er ein Waisenhaus leitet. Sein selbst auferlegtes Exil in Mumbai, einem farbenprächtigen Meer aus Lärm und Leben, ist auch eine Flucht vor quälenden Erinnerungen und bitterer Enttäuschung. So viel ahnen wir.
Das Waisenhaus steht kurz vor dem finanziellen Ruin, als ein dänischer Multimillionär eine großzügige Spende in Aussicht stellt. Nur unwillig kehrt Jacob nach Kopenhagen zurück, das er zwanzig Jahre lang sorgfältig gemieden hat, um den Deal persönlich abzuschließen. Als er an einer Hochzeit teilnimmt, zu der sein Geschäftspartner ihn einlädt, dämmert ihm, dass die Angelegenheit noch weitere Haken hat.
Von den ersten Sekunden an, in denen Mumbais Geräuschkulisse in einen minimalistischen und zugleich sehr eindringlichen und intimen Soundtrack übergeht, steckt Susanne Bier das atmosphärisch dichte Feld ab, in dem „After The Wedding“ uns gefangen hält. Allzu gerne lassen wir uns fesseln von diesem packenden Psychodrama um Liebe und Verrat, Schuld und Versöhnung, Kinderlachen und Todesangst. Die Handlung kreist um Familienbande, um die Erfüllung und das Glück, das sie möglich machen, um die Kollateralschäden, die sie anrichten und ganz besonders um die schmerzlichen Leerstellen, da wo sie fehlen. Vor allem zeigt uns der Film das schier unauslotbare Potenzial an Schmerz und Verletzung im Kern und an der Außenmembran dieser gesellschaftlichen Keimzelle und zugleich die einzigartige Beständigkeit, den Schutz und die Wärme, die sie bietet und die alles wettmachen.
Im skandinavischen Kino sieht das Familiendrama auf eine beeindruckende Tradition zurück. Man denkt unweigerlich an Ingmar Bergmans existenzialistische und psychoanalytische Kammerspiele und an das Dogmaprojekt um Lars von Trier und Thomas Winterberg, dessen asketisches Regelwerk sich bestens dazu eignet, zärtlich aber schonungslos am Lack der kleinen Welt zu kratzen.
Susanne Bier, die ihrem eigenen Dogmafilm „Open Hearts“ ihren Durchbruch verdankt, geht in „After The Wedding“ leicht andere Wege. Indem sie die Authentizität mitunter wackliger Handkameraeinstellungen mit einem emotionalen Soundtrack und einer glätteren Inszenierung verbindet, geht Bier einen Schritt in Richtung Mainstreamkino und Telenovela. Dass der Plot dabei genug Spannungsmomente und überraschende Wendungen bietet, um gleich mehrere Seifenopern zu füllen, stört nicht unbedingt, auch wenn manche Entwicklungen recht schnell vorangetrieben werden.
Anders als Bergman bohrt Bier nicht obsessiv in die Tiefe, sondern geht nur eine Handbreit unter eine weit gezeichnete Oberfläche. Sie zerrt keine Emotionen aus dem Unbewussten hervor, sondern führt uns sehr vielfältige Gefühle vor, die wir nachempfinden können, insofern wir sie selbst bereits kennen. Wir lernen nichts hinzu.
Dass ihre Rechnung aufgeht, verdankt sie nicht zuletzt einem hervorragenden Casting. Allen voran versieht Mads Mikkelsen Jacob mit der richtigen Mischung an Schroffheit und kindlicher Offenherzigkeit, während Rolf Lassgard als zwischen Selbstherrlichkeit und Selbstlosigkeit torkelnder Familienvater besticht.
Besonders intrigierend ist der Gegensatz zwischen Kopenhagen und Mumbai. Dänemark ist das Land der engen Familie, der Innerlichkeit, der intensiven, tiefen und ernsten Emotionen, das Land der Erwachsenen. Großaufnahmen der Augenpartien beschwören die Gefühle und Gedanken, die hinter ihnen ablaufen. Hingegen scheint Mumbai ein Ort der Wärme, des Lachens, der Kindlichkeit, in dem man auch ohne Familie auskommt. Fast scheint es, als wolle Bier die Obsessionen, auf denen das Genre des Familiendramas gründet, ironisch unterwandern und uns ein wenig Distanz gönnen. Eine Handbreit vielleicht.
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After the Wedding,
im Utopia